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Wie eine Brücke über stürmisches Wasser…

Da war er also, der kleine Garten, und in ihm ein Teich, so klein, dass er kaum als solcher bezeichnet werden kann. Liebevoll eingebettet in den kleinen Garten liegt er da, der kleine Teich, der wirklich kleine Teich. Ein winziger Teich, ja, das ist der richtige Ausdruck: ein winziger Teich. Das besondere an diesem winzigen Teich ist nun, dass über ihn eine Holzbrücke führt, sodass er fast gänzlich unter der Holzbrücke verschwindet, obwohl die Holzbrücke auch winzig ist. Eine winzige Holzbrücke über einen winzigen Teich. Eine Brücke ohne Funktion, so möchte man meinen, und trotzdem oder deswegen notierte ich sie als Brücke über stürmisches Wasser, ihre Winzigkeit durch Überhöhung doppelt betonend.

Ich war noch ganz in diesen Gedanken vertieft, als wir weitergingen zur großen Wiese. Dort legte ich mich ins Gras, um weitere Gedanken der winzigen Brücke über stürmisches Wasser zu widmen. Paul und Lia, meine beiden Begleiter, krabbelten und kletterten auf mir herum, und es bedarf vermutlich der zusätzlichen Information, dass Paul und Lia gerade zwei Jahre alt geworden sind, um den Leser dieser Zeilen nicht zu irritieren mit der Aussage, dass Paul und Lia auf mir herumkrabbelten und -kletterten. Kinder krabbeln und klettern auf Erwachsenen herum wie Erwachsene auf einer Brücke über stürmisches Wasser, dachte ich, diesen Gedanken jedoch nicht weiterdenkend, denn nun kamen Max und Isa auf die große Wiese, und ich dachte: Wahnsinn, Max und Isa, die sind jetzt beide schon acht Jahre alt, wobei mich Isa gestern, ja es war erst gestern, korrigiert hatte und gesagt hatte, Max wäre gerade erst acht geworden, während sie bald neun werden würde.

Bevor ich zu tief in diese Altersdebatten einsteige, ist zu erwähnen, dass Isa, als sie Paul und Lia auf mir herumkrabbeln und -klettern sah, fragte, was das sei, was Paul und Lia und ich machen würden. Sie verlangte also nach einer Bezeichnung für dieses Spiel, woraufhin ich sagte, ich sei die Brücke über stürmisches Wasser, auf der Paul und Lia gerade einen reißenden Fluss überqueren.
„Aber du bist doch ein Mensch und liegst im Gras und nicht auf einem reißenden Fluss!“ entgegnete Isa.
„Die Wiese ist ein reißender Fluss“, sagte ich:
„Siehst du, wie die Grashalme im Wind hohe Wellen schlagen! Siehst du die Menschen um uns, wie sie kämpfen mit den Wellen, um sich aus dem tosenden Wasser ans Ufer zu retten, ans Ufer dort drüben bei den Bäumen!“
In Maxes Augen sah ich nun, dass er all das sah, was ich gesagt hatte: die hohen Wellen und die kämpfenden Menschen und das tosende Wasser und das rettende Ufer bei den Bäumen und er stieg in ein Boot und begann zu rudern. Isa begann mitzurudern, und gemeinsam versuchten sie, zu den Bäumen ans rettende Ufer zu gelangen. Paul und Lia saßen unterdessen still auf der Brücke und schauten dem dramatischen Schauspiel aufmerksam zu.

So lag ich also in der Wiese als Brücke über stürmisches Wasser, als Max und Isa mit dem Boot in einer dramatischen Aktion das rettende Ufer bei den Bäumen erreicht hatten. Max sagte zu Isa: „Jetzt hat sich der Sturm beruhigt. Gottseidank saßen Paul und Lia während des Sturms auf der sicheren Brücke und nicht bei uns im Boot im tosenden Wasser! Dazu sind sie noch viel zu klein!“ Paul und Lia verließen nun die Brücke und liefen zu den beiden unter die Bäume, während ich mein Brückendasein beendete, aufstand und Max und Isa für die tolle Aufführung applaudierte. „Bravo!“ rief ich und summte, quasi als Epilog: Wie eine Brücke über stürmisches Wasser werde ich mich ausbreiten…

Empfohlen

Eine Pferdegeschichte

In einer Stadt namens Emp werden schon seit langer Zeit Fohlen gezüchtet. Diese Fohlen sind so bekannt, dass man von den Empfohlen spricht. Es gab eine Zeit, da wollte jeder, der was auf sich hielt, ein Empfohlen haben, und den wenigen, die ein Fohlen haben wollten und noch nie in Emp gewesen waren, wurde ein Empfohlen empfohlen.

Funklöcher: Rechte und Pflichten

Brotlose Kunst – dieser Begriff schwirrt mir oft durch den Kopf. Vorderbrandner und ich können uns unser Schreibbüro nur leisten, weil wir alle möglichen anderen Jobs machen. Außerdem hat es uns sehr geholfen, dass Vorderbrandner, den ich inzwischen zu meinem Teilhaber gemacht habe, das Erbe seines reichen Onkels aus Amerika erhalten hat, das er fast vollständig in unser Büro investiert hat.

Trotzdem ist unsere Finanzlage nach wie vor angespannt. Deshalb freut es mich sehr, dass mich Modern Life – laut Eigendefinition das Onlinemagazin für modernes Leben – damit beauftragt hat, wöchentlich eine Kolumne zu schreiben. Es wurde mir gesagt, dass meine bisherigen Texte einen anderen Blick auf die Dinge werfen würden, was genau die Philosophie des Magazins widerspiegelt. Außerdem wurde ich damit beauftragt, fremde Texte ad-hoc zu redigieren, was ich als angenehme Möglichkeit für zusätzlichen, artverwandten Verdienst sehe.

Nach Ideen für meine Kolumne suchend, schlage ich die Zeitung auf und lese: Der neue Minister für digitale Infrastruktur fordert das flächendeckende Bürgerrecht auf Funklochfreiheit. Wenig inspiriert von dieser Nachricht, schlage ich die Zeitung wieder zu und beschließe, draußen nach Ideen weiterzusuchen. Ich stecke meinen Notizblock in meine Tasche zwecks Ideenskizzierung und fahre mit dem Fahrrad in den Nachmittag.

Weiße Wolken ziehen am blauen Himmel, als ich die alte Trambahntrasse entlangfahre, die nun ein mit Sträuchern und Büschen durchsetzter Grünstreifen ist. Als die U-Bahn noch oberirdisch fuhr, skizziere ich in meinen Block. An der ehemaligen Endhaltestelle angekommen, deren Schleife noch gut erkennbar ist, verkeilt sich die Schaufel eines Baggers in die Mauern eines Hauses, um es abzureissen. Ein älterer Mann beobachtet den Abriss und sagt mir in mein fragendes Gesicht: Das war ein Haus für Vertriebene aus dem Zweiten Weltkrieg – für Sudetendeusche, für Schlesier. Hier bin ich aufgewachsen. Neben dieser Abrissbaustelle steht ein Containerbau für Flüchtlinge aus dem Afghanistan- und Syrienkrieg. Flüchtlinge gestern und heute, notiere ich in meinen Block, als mögliches Thema für meine Kolumne.

Hinter diesen Bauten hört die Stadt auf und geht unmittelbar über in eine weite Heidelandschaft. Ich komme gerne hierher und streune im Weit der Heide: der weite Himmel über mir; die alleinstehenden Kiefern im Gräsermeer; die weidenden Schafe. Aufgeregt höre ich einen Kiebitz rufen. Der Kiebitz am Rande der Stadt, schreibe ich in meinen Ideenblock.

Erholt und voller Ideen komme ich zuhause an, als ich zuallererst auf mein Handy blicke. Ich hatte nämlich vergessen, es auf meinen Ausflug mitzunehmen. In meiner E-Mail-Inbox sechs neue Nachrichten von Modern Life:

Auftrag zum Redigieren des Textes: Hund macht Häufchen und Herrchen macht's nicht weg - Bürgerinitiativen fordern höhere Strafen
Auftrag zum Redigieren des Textes: Hitze im Frühling - steuert die Erde auf ihren Untergang zu?
Auftrag zum Redigieren des Textes: Brustvergrößerung - Tipps und Adressen
Erinnerung - Auftrag zum Redigieren des Textes: Hund macht Häufchen und Herrchen macht's nicht weg - Bürgerinitiativen fordern höhere Strafen
Erinnerung - Auftrag zum Redigieren des Textes: Hitze im Frühling - steuert die Erde auf ihren Untergang zu?
Erinnerung - Auftrag zum Redigieren des Textes: Brustvergrößerung - Tipps und Adressen

Ich lege das Handy zur Seite und mache mir zunächst einen Teller Nudeln, um dann gestärkt die Aufträge abzuarbeiten. Als ich vom Essen zurückkomme, ist eine weitere E-Mail von Modern Life angekommen:

Betreff: Sperre Ihres Auftragskontos

Sie haben die vereinbarte Responsezeit für Ihnen erteilte Aufträge überschritten. Ihr Konto ist   deshalb für weitere Aufträge gesperrt.

Hastig mache ich mich an die Arbeit. Mir fällt der Zeitungsartikel bezüglich Bürgerrecht auf Funklochfreiheit wieder ein und ich leite daraus eine Bürgerpflicht zur Funklochfreiheit ab. Ich werde mich deshalb in Zukunft dieser Pflicht gewissenhaft unterwerfen und mein Handy auf alle Ausflüge mitnehmen, um den schlechten Start bei Modern Life wieder auszubügeln.

So lebe ich nun seit einiger Zeit, Funklöcher tunlichst vermeidend.

Jetzt ist der Sommer da, Urlaubszeit! Ich informiere Modern Life, dass ich für zwei Wochen auf eine Mittelmeerinsel reisen werde und dabei meiner Pflicht zur Funklochfreiheit nicht nachkommen werde.

„Aber Sie werden Ihr Mobilfunkgerät doch auf die Insel mitnehmen!“

„Doch, ja“, sage ich: „Allerdings gibt es auf der Insel noch nicht das lückenlose Recht auf Funklochfreiheit.“

„Reden Sie keinen Unsinn! Das ist mittlerweile EU-weit durchgesetztes Recht!“

Gegen diese wasserdichte, kein Funkloch zulassende Aussage kann ich nichts einweden. Also muss ich die Hosen runterlassen und verrate Modern Life ein großes persönliches Geheimnis:
„Es ist ein Erholungsrital von mir, auf der Mittelmeerinsel am kilometerlangen Strand nackt auf- und abzulaufen. Ich habe festgestellt, dass ich so neue Energie tanke.“

„Aber Sie können Ihr Mobilfunkgerät doch mitnehmen bei Ihren Läufen!“

„Wo soll ich es denn einstecken, wenn ich nackt bin?“

Ich vernehme ein Zähneknirschen meines Gegenübers und denke mir: Das moderne Leben ist ziemlich angespannt.

Trotz dieser Anspannung werde ich schließlich auf die Mittelmeerinsel entlassen, mit der Erlaubnis, selbstkreierte Funklöcher am Strand aufzusuchen. So nehme ich jedenfalls an.

Auf der Reise auf die Insel, als das Schiff auf hohe Wellen trifft, bange ich plötzlich um mein Recht auf Nacktheit. Würde die Bekleidungsindustrie eine Bekleidungspflicht einführen, um so ihren eigenen Absatz anzukurbeln und gleichzeitig der Medienindustrie bei ihrem Kampf um Funklochfreiheit beizustehen? Auf der Insel angekommen, öffne ich aus schlechtem Gewissen sofort die Inbox für meine E- Mails. Ich habe eine neue Nachricht von Modern Life erhalten:

Betreff: Beendigung Ihres Auftragsverhältnisses

...hat unsere Redaktion festgestellt, dass die Themenauswahl Ihrer Kolumne (Als die U-Bahn noch Trambahn war, Schlesische und afghanische Flüchtlinge und ihre Behausungen am Rande der Gesellschaft, der Kiebitz am Rande der Stadt usw.) nicht konform ist mit den Inhalten unseres Magazins. Wir haben deshalb beschlossen, das Auftragsverhältnis mit Ihnen zu beenden.

Fälscher, Stürzer und Schütter

Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, ist ein Lebensgrundsatz eines Mannes namens Fälscher. Die Statistik, aus der hervorgeht, dass Fliegen mit dem Flugzeug sicherer ist als Fahren mit dem Fahrrad, so Fälscher, geht davon aus, dass Terroranschläge auf Flugzeuge und militärische Abschüsse von selbigen keine Unfälle sind und daher nichts mit Sicherheit zu tun haben.

Ein Mann namens Stürzer, der den Ausführungen Fälschers aufmerksam gelauscht hat, meint daraufhin: Dann war es also kein Unfall, als ich – die Ostukraine mit dem Fahrrad durchquerend – von selbigem stürzte, weil ich von russischen Militärs beschossen wurde.

Nein, ganz sicher nicht, entgegnet Fälscher Stürzer: Wenn Sie vom Fahrrad stürzen, ist das allein auf ihren Namen zurückzuführen.

Das kann ich so nicht stehen lassen, sagt Stürzer. Es ist nämlich so: Stürzen bedeutete im Mittelhochdeutschen so viel wie heute schütten. Der Stürzer war der Mann, der das Korn vom Feld zur Mühle brachte und es zum Mahlen hineinschüttete. Hätte man damals unser heutiges Deutsch gesprochen, wären meine Vorfahren Schütter genannt worden.

Sie würden heute Schütter genannt werden, sagt Fälscher daraufhin, das schüttere Haar von Stürzer betrachtend.

Vielleicht, meint Stürzer, die Schütterkeit seines Haars mit seinen Fingern betastend. Aber in zehn Jahren müsste ich mich vielleicht von Schütter in Glatzmann umbenennen.

Sagen Sie: Wie haben Sie eigentlich den Beschuss der russischen Militärs in der Ostukraine auf ihrem Fahrrad überlebt? fragt Fälscher nun Stürzer.

Ich habe mich so erschrocken, dass ich rechtzeitig vom Fahrrad stürzte und mich alle Geschosse verfehlten.

War es dann vielleicht doch ein Unfall? räsoniert nun Fälscher, und nimmt sich vor, die Unfallstatistiken in der Ostukraine zu seinen künftigen Fälschungsobjekten zu machen.

Frühling mit Annabel

Es war der Frühling, dem ich begegnete, ja, er muss es gewesen sein. Aus dem Boden sprossen die Veilchen und Schlüsselblumen. Beim Blick nach oben durch die zarten Knospen der Bäume sah ich die Sonne hoch und warm am Himmel.

Mitten in diesem Frühling dachte ich an das Bad mit Annabel, das ich jedoch im Sommer verortete. Mir fiel ein, dass wir beide nackt waren bei diesem Bad, und es erschien mir merkwürdig, dass mir das jetzt einfiel, dass wir nackt waren bei diesem Bad, denn bisher waren nackt und nichtnackt keine Kategorien für mich gewesen, was dieses Bad betraf. Während ich an dieses Bad mit Annabel dachte, fand ich mich plötzlich im Bach wieder. Ich badete im Bach. Durch die Frühlingsluft erschien, als ob sie wusste, dass ich gerade an sie gedacht hatte: Annabel. Sie stand am Ufer, und als ich sie sah, dachte ich wieder an unser Bad im Sommer, als sich alles öffnete und der weite Wind des reifen Sommers über das Getreidefeld strich. Wir hatten viel mehr entblößt als unsere Körper. Wir waren unterwegs zu unseren Seelen, zum Grund unseres Seins. Dabei begegneten wir einem Wirrnis an Gefühlen, und aus Angst, uns in diesem Wirrnis zu verstricken, flohen wir vor diesem reifen Sommertag, nicht ahnend, dass die Flucht die Verstrickung vergrößert.

Doch zurück zu meinem Bad im Bach. Ich badete also im Bach, im Frühling und nicht im Sommer. Annabel stand am Ufer und zog ihre Jacke fester an sich. Ja, ich bin mir sicher, sie zog ihre Jacke fester an sich und ich dachte: Es muss kalt sein, wenn Annabel ihre Jacke fester an sich zieht und ich beschloss, mein Bad im Bach zu beenden. In diesem Moment, als ich beschloss, mein Bad im Bach zu beenden, begann Annabel zu laufen, über die Wiese aus Veilchen und Schlüsselblumen. Sie tanzte und drehte sich, leicht wie der Wind. Sie begann sich auszuziehen, bis sie nackt war, tanzte und drehte sich weiter. Ich stieg aus dem Bach und lief zu Annabel. Als ich näherkam, bemerkte ich, dass sie weinte und schluchzte, und ich erwartete von mir, dass ich sage: Wein doch nicht, Annabel!, aber ich sagte nichts. Ich fand das Weinen und Schluchzen schön. Es hatte etwas Befreiendes und strich wie der weite Wind des reifen Sommers über die Wiese aus Veilchen und Schlüsselblumen. Ich betrachtete Annabel und strich mit meinen Händen über ihre Haut. Sie lächelte.

Ich erschrak, ohne einen Grund dafür zu haben, ich erschrak grundlos und sagte: Nein Annabel, das sind nicht die Knospen des Frühlings! Das sind die reifen Früchte des Sommers! Ich lief davon und Erdwälle taten sich vor mir auf, riesige Erdwälle. Ich grub mich geradewegs hinein in diese Erdwälle, tiefer und tiefer, und es wurde dunkler und dunkler. Ich grub weiter und weiter, bis ich ein kleines Licht in der Ferne sah. Ich kämpfte mich vorwärts zu diesem Licht, und als ich es erreicht hatte, war ich umringt von einer Wiese aus Veilchen und Schlüsselblumen. Durch die zarten Knospen der Bäume sah ich die Sonne hoch und warm über mir und dachte: Ein Sommer mit Annabel, das wäre schön!

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Der Buchhalter, dem sein Geld nichts mehr wert war

Auf der Suche nach unumstößlichen, über alles erhabenen Werten landete ich beim Geld. Ich zählte es, ich führte Listen über seine Bestände und Bewegungen. Allen Dingen maß ich einen Wert in Geld bei. Es fiel mir schwer, meine Beziehung zu Josefine in Geld zu bewerten. Deshalb beendete ich sie und ging dazu über, Frauen zu kaufen. Ich hatte einen unkalkulierbaren Posten entfernt und einen neuen geschaffen, den ich mit klar definiertem Wert in meine Geldbilanz aufnehmen konnte.

Ich kam an den Punkt, an dem ich absolut überzeugt war vom unumstößlichen, über alles erhabenen Wert des Geldes. Stolz betrachtete ich meine Bilanzen, die ich als Altare der Wahrheit bezeichnete. Mein ganzes Leben opferte ich, um bei ihnen Halt zu finden.

Es trieb mich immer weiter zum Geld, so weit, dass ich begann, es intensiv zu studieren. Bei meinen Studien stieß ich auf die Inflation, also auf das Phänomen, dass Geld nichts mehr wert ist. Es gibt also tatsächlich die Möglichkeit, dass Geld nichts mehr wert ist; eine Möglichkeit, die bisher in meinem Denken undenkbar war. Mich beschlich die Ahnung, dass Geld nur den Wert hat, den man ihm beimisst und den man glaubt, dass es hat. Ansonsten, wenn man das nicht glaubt, ist es nur aufwändig bedrucktes Papier. Anfangs sträubte ich mich, dieser Ahnung nachzugehen, doch schließlich beschlich sie mich so stark, dass der Grundwert meiner Existenz, der Wert des Geldes, wertlos wurde. Ich saß melancholisch über eine Stunde lang bewegungslos da, mit einem Zwanzig-Euro-Schein in der Hand. Ich betrachtete den Schein von allen Seiten, bis ich ihn schließlich zerriss und in den Müll warf. Eine Welt ohne Wert, in die ich nun geraten war.

Um Trost in dieser Trostlosigkeit zu finden, ging ich zu einer käuflichen Frau. Ich sagte ihr jedoch, dass ich nicht mehr an das Geld glaube und ich sie heute nicht bezahlen werde. Daraufhin verweigerte sie mir ihre Dienste. Das Geld hatte für sie nicht seinen Wert verloren, musste ich erkennen. Ich schlich von dannen, als mich wieder eine Ahnung beschlich: Es gibt wohl doch noch andere Werte als Geld, die ich aber allesamt für das Geld geopfert habe. Eine unheimliche Schlucht tat sich plötzlich vor mir auf, eine Welt ohne Geld, die ich mir bis eben nicht hatte vorstellen können. Ich fiel ins Bodenlose, das mich jedoch, zu meiner Überraschung, erstaunlich sanft in seinen Händen trug, so als warteten in diesem Bodenlosen Werte, die es für mich zu entdecken gilt.

Immerwährende Geschichte

Da ist eine immerwährende Geschichte, sage ich, und frage mich im selben Moment, wo sie eigentlich ist, die immerwährende Geschichte. Auf meinen Lippen, mit denen ich sie spreche, oder in meinen Fingern, mit denen ich sie schreibe? Mich an meinen Traum erinnernd, komme ich zu der Vermutung, dass sie in meinen Fingern ist. Ich habe geträumt, eine Feder in der Hand zu halten. Ich griff mit der Feder tief in ein Fass voll mit schwarzer Tinte. Als ich die Tinte zu Papier bringen wollte, zerfloss sie, ehe ich etwas dagegen tun konnte, auf das ganze Papier. Ich nahm neues Papier, tauchte mit der Feder wieder in das Tintenfass, nicht mehr ganz so tief wie zuvor, und als ich die Tinte aufs Papier bringen wollte, um die immerwährende Geschichte aufzuschreiben, zerfloss sie wieder auf das ganze Papier, ehe ich etwas dagegen tun konnte. Ist also die immerwährende Geschichte mit schwarzer Tinte vollgesaugtes Papier? überlege ich jetzt, in wachem Zustand, in welchem ich wieder versuche, die immerwährende Geschichte aufzuschreiben. Ich habe keine Feder und keine Tinte bei mir, nur ein leeres, weißes Blatt Papier, das mich anschweigt. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich die immerwährende Geschichte in diesem weißen Blatt manifestiert, das mich anschweigt. Nicht überzeugt, die immerwährende Geschichte auf diesem weißen, leeren Blatt zu belassen, bekomme ich plötzlich große Lust zu laufen. Ich richte mich auf und fange zu laufen an, so schnell ich kann. Es fühlt sich wie ein Weglaufen an, das Laufen, was mir merkwürdig erscheint. Kann es so etwas geben wie zuviel Liebe, vor der man wegläuft? Während ich über diese Merkwürdigkeiten nachdenke, laufe ich weiter so schnell ich kann, bis ich oben auf dem Hügel angelangt bin. Jetzt hat das Weglaufen also ein Ende, denke ich, als ich oben auf dem Hügel stehe und die Sonne mich erreicht. Nicht nur die Sonne erreicht mich, nein, auch deine Stimme, was ich so nicht erwartet habe. Ich höre deine Stimme, als ich oben auf dem Hügel stehe und denke: So ein Unsinn – wie kann man vor zuviel Liebe davonlaufen wollen? Schnell will ich wieder zurücklaufen, dahin, wo die Liebe ist, als ich plötzlich und unvermutet den schwarzen Hund neben mir bemerke, der mich – ja, so empfinde ich es – mit liebevollen Augen ansieht. Oder erwidert er nur meinen Blick? Ich beschließe, nicht mehr zu laufen, sondern langsam und bedächtig zu gehen. Ich bemerke, wie ich mit jedem Schritt Grashalme unter mir niedertrete und vermute, dass es wohl Teil der immerwährenden Geschichte ist, dass Grashalme von Menschenfüßen niedergetreten werden. Durch mein langsames Gehen bemerke ich die Menschen, die mir begegnen und nehme mir fest vor, sie in die immerwährende Geschichte aufzunehmen. Plötzlich aber erfasst mich Sorge: Mir fällt nämlich ein, dass ich das Fenster offen gelassen habe, als ich die Wohnung laufend verlassen habe. Durch das offene Fenster wird die Katze in die Wohnung gesprungen sein, mit ihrer Tatze das Fass mit schwarzer Tinte umgestoßen haben, wodurch sich die Tinte mittlerweile in der ganzen Wohnung verteilt haben wird. Hektisch laufe ich nach Hause, der Hund folgt mir auf dem Fuß. Zuhause angekommen, lasse ich den Hund vor der Tür, weil ich Angst habe, ihn mit seinem schwarzen Fell in der schwarzen Tinte nicht mehr zu finden, die, so ist zu vermuten, in der Zwischenzeit die ganze Wohnung überflutet haben wird. Als ich die Wohnungstür vorsichtig öffne, stellt sich die Wohnung zu meiner Überraschung in keinem tintenüberfluteten, sondern sonnendurchfluteten Zustand dar. Auf dem Tisch das weiße Blatt Papier, wie ich es verlassen habe. Keine Katze, und vor allem: kein Tintenfass! – Nein, kein Tintenfass, das habe ich wohl nur geträumt. Ergriffen stehe ich im Zimmer und schaue durch das geöffnete Fenster nach draußen, als eine Amsel auf dessen Sims landet. Sie sieht mich kurz an und beginnt daraufhin zu singen. Ihr Gesang ergreift mich noch mehr als es die Situation ohnehin schon tut, sodass mir die Tränen kommen. Singen soll man sie also, die immerwährende Geschichte, denke ich unter Tränen, und während ich das denke, spannt die Amsel ihre Flügel und fliegt davon.

 

Dank an:

Paul, den schwarzen Hund (porträtiert von Sara Stankovic)

Belle and Sebastian, die mich mit ihrem Lied There is an everlasting song zu dieser Geschichte inspiriert haben

Der Raub der Sabinerinnen

Eine kleine Gasse zwischen zwei Häuschen: Dort war es, wo Sabine und ich uns innig küssten. Ich gehe gerne durch diese kleine Gasse, weil ich mich gerne an diesen innigen Kuss erinnere. Jedesmal, wenn ich durch die kleine Gasse gehe, fallen mir die tiefhängenden Regenrinnen an jedem der beiden Häuschen auf. In Erinnerung an den innigen Kuss mit Sabine nenne ich sie Sabinerinnen.

Heute ging ich wieder einmal durch die kleine Gasse, aber alles war anders als sonst. Die Sabinerinnen hingen nicht mehr an den Dächern der beiden Häuschen. Ich war wie vom Blitz getroffen. Es schoss mir sofort durch den Kopf: der Raub der Sabinerinnen! Was sonst! Was sollte ich anderes annehmen, als dass die Rinnen, die mich so zärtlich an den innigen Kuss mit Sabine erinnern, gewaltsam und unerlaubt entfernt worden waren. Kein Zweifel: Er war geschehen, der Raub der Sabinerinnen, den es nun aufzuklären galt! Ich klopfte an die Türen der beiden Häuschen, um die Aufklärung dieser Schandtat zu starten, aber niemand öffnete. Traurig stand ich in der kleinen Gasse zwischen den beiden Häuschen ohne Rinnen. Schließlich – was sollte ich anderes tun – ging ich weiter meines Weges.

Im Büro erzählte mir Vorderbrandner von der neuen Inszenierung der alten Sage vom Raub der Sabinerinnen im antiken Rom. „Mit den Geschwistern Regener als Sabinerinnen“, meinte er weiter: „Du weißt schon: Regina und Ramona Regener, die wir vor kurzem für unser Magazin interviewt haben!“
„Der Raub der Regenerinnen also!“ entfuhr es mir.
„Seit wann ergehst du dich in Wortspielen?“ entgegnete Vorderbrandner und schmunzelte.
Ich fand es gar nicht lustig: „Das wird mir alles unheimlich!“ rief ich, sprang von meinem Stuhl hoch und verließ das Büro wieder.

Während ich ziellos dahinging und darüber grübelte, wieso mich die beiden geraubten Regenrinnen, die ich Sabinerinnen nenne, so beschäftigen und ob es mir nicht möglich wäre, den innigen Kuss mit Sabine trotz der geraubten Rinnen in guter Erinnerung zu behalten, schweifte mein Blick durch ein geöffnetes Tor in einen Innenhof. Ich sah eine Frau, über zwei Regenrinnen gebeugt, die dort am Boden lagen. Sie hatte eine Bürste in der Hand und machte sich daran, die Rinnen zu reinigen. Mir blieb das Herz stehen. Waren das etwa die geraubten Rinnen? Vorsichtig näherte ich mich, mit pochendem Puls. Als ich nah genug war, erkannte ich sie eindeutig an ihrer Patina: Es waren die geraubten Sabinerinnen, an denen sich die Frau zu schaffen machte.

Ich ging aus meiner Deckung und stellte die Frau zur Rede: „Was machen Sie mit den beiden Regenrinnen?“
„Die lagen auf der Straße rum“, sagte sie, „in einer kleinen Gasse ganz in der Nähe. Da habe ich sie mitgenommen, weil ich sie gut gebrauchen kann für mein kleines Atelier hier im Hof.“
„Aber die sind geraubt!“ sagte ich, nicht wagend, die Frau direkt als Räuberin anzusprechen: „Die gehören zu den beiden Häuschen in der kleinen Gasse!“
„Wirklich? – Ja,… dann bringen wir sie besser wieder dorthin.“

Weil sie so schnell einlenkte, verzichtete ich auf weitere Anschuldigungen. Sie und ich nahmen je eine Rinne in die Hand und gingen zu den Häuschen in der kleinen Gasse, um sie zurückzubringen. Dort angekommen, klopften wir an die Türen. Jetzt war jemand zuhause. Wir sagten den Bewohnern, dass wir ihnen ihre Regenrinnen zurückbringen.
„Sehr nett“, sagten die Bewohner, „aber wir haben sie gestern erst abmontiert, weil wir heute neue montieren wollen. Die können sie gerne behalten!“

Konsterniert stand ich da und musste akzeptieren, dass die Sabinerinnen künftig nicht mehr die Dächer der kleinen Häuschen zieren und mich nicht mehr zart an den innigen Kuss mit Sabine erinnern werden. Ihr Raub entpuppt als eine schnöde Erneuerungsmaßnahme. So rasch ich diesen Fall aufklären konnte, so enttäuscht war ich nun von seinem Ausgang.

Die Frau und ich gingen mit den Sabinerinnen in den Händen wieder zurück zum Atelier im Innenhof. Als wir so dahingingen, jeder eine Rinne in der Hand, sagte ich zu ihr:
„Ich weiß wie Sie heißen.“
„Ja?“
„Sabine.“
„Stimmt! Aber woher wissen Sie das?“

Der tägliche Kampf gegen den Faschismus

Matjaz sagt: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Immer wieder sagt Matjaz das. Dazwischen sagt er shit und fuck und dann sagt er wieder: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Matjaz sagt nicht, was er unter einem Faschisten versteht. Ich will ihn fragen, was er unter einem Faschisten versteht. Aber ich traue mich nicht, weil er so in Rage ist. Shit! Fuck! Faschisten! dröhnt es an mein Ohr. Matjaz muss ein Faschist sein, denke ich. Sonst könnte sein Kopf nicht so voll sein von diesem Wort.

Ich versuche, mir in meinem Kopf Klarheit zu verschaffen: Wenn ich an einen Faschisten denke, denke ich an jemanden, der anderen Vorwürfe macht, um von sich selbst abzulenken. Ist das auch, was Matjaz unter einem Faschisten versteht? Oder meint er etwas ganz anderes? Ich weiß es nicht, weil ich ihn nicht frage, nehme also an, dass er das meint.

Matjaz beruhigt sich, aber nur ein wenig, und sagt: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Mit Ausnahme der Deutschen, die dürfen keine Faschisten mehr sein. Weil sie die Schuld haben. Die Deutschen haben es mit den Vorwürfen an die Juden übertrieben, seitdem dürfen sie keine Faschisten mehr sein, obwohl sie gerne welche wären. Die Schuld klebt an ihnen. Stalin konnte im Windschatten der Judenvernichtung und unter dem Deckmantel des Kommunismus die Nachfolge Hitlers antreten. Seitdem besteht ganz Osteuropa aus Faschisten.

Krasser Vortrag! Was sagt Matjaz? Matjaz ist Slowene, der deutsch spricht. Er schreit es heraus: Slowenen! Faschisten! Aber auch Italiener, Spanier, Franzosen, Briten – alles Faschisten! Matjaz redet sich in Rage: Österreicher – Faschisten! Kärntner – die größten Faschisten, vor allem gegen die Slowenen! Kärntner – faschistische Arschlöcher! schreit Matjaz mit einer schrecklichen Fratze im Gesicht.

Matjaz macht eine Pause. Atmet durch. Dann sagt er: Ich bin Faschist. Matjaz klagt sich an und spricht sich schuldig. Matjaz ist Faschist gegen sich selbst. Gefangen im Selbstfaschismus. Ist Selbstfaschismus der erste Weg zur Selbsterkenntnis, oder ist er noch fataler als Fremdfaschismus?

Matjaz hört mir nicht zu als ich sage: Ich bin auch Faschist. Oft genug mache ich anderen Vorwürfe, um von mir selbst abzulenken. Täglich mache ich das. Wenn ich den Faschisten in mir bemerke, halte ich inne und sage zu ihm: Lieber Faschist! Ich weiß, dass du Angst hast, Angst vor dir selbst. Halte sie aus, diese Angst, sie wird vergehen! Es ist gut, wie du bist, genauso wie alle anderen gut sind, wie sie sind. Habe Mut zum Leben, wie es ist! Schau es an, und du wirst dich mit ihm versöhnen! Vertrau! Hier also beginnt der Kampf gegen den Faschismus: Bei mir selbst, und nirgends sonst. Alles Faschisten. Aber der einzige Faschist, den ich ändern kann, bin ich. Hoffentlich!

Matjaz hat sein Gesicht in seine Hände fallen lassen. Ich möchte Matjaz gerne umarmen. Es drängt mich dazu. Andererseits weiß ich nicht, ob Faschisten sich umarmen lassen.