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Akazien in Kroazien

Ich sitze an meinem Schreibtisch vor einem Blatt Papier, um eine Geschichte zu Papier zu bringen. Plötzlich stürmt Vorderbrandner zur Tür herein.

„Deine Geschichte von letzter Woche. Sie lässt mich nicht in Ruhe!“

„Die Geschichte von Isaria Esel, meiner ersten großen Liebe?“ Ich komme ins Träumen.

„Neinnein, deine Eselin mit ihrem komischen Namen ist mir egal. Es ist der Perserkönig Serse unter der Platane, der mich nicht in Ruhe lässt. Wie schön er doch den Schatten des Baumes besingt!“

„Der Perserkönig Serse? Das ist ein Spinner! Der besingt den Schatten einer Platane wie eine Frau, in die er sich unsterblich verliebt hat.“

„Das ist es, ja. Wie eine Frau, in die er sich unsterblich verliebt hat. Ich habe letzten Sommer, in den milden frühen Abendstunden eines heißen Tages, mit Agathe im zarten Licht unter dem Schatten einer Akazie gesessen. Ich hatte das schon vergessen, doch als ich deine Geschichte gelesen habe, habe ich bemerkt, dass ich mich an diesem Abend unsterblich in Agathe verliebt habe. Ich denke ständig daran, wie ich mit ihr unter der Akazie gesessen habe. Ich singe ständig die Arie des Serse: Nie ist der Schatten einer Pflanze lieblicher, angenehmer und süßer, als wenn ich mit dir, Agathe, daruntersitze.“

Betretenes Schweigen meinerseits. Die Leidenschaft Vorderbrandners für Akazien-Agathe schlägt die meine für Esel-Isaria um Längen. Ich schaue auf das Blatt vor mir mit der angefangenen Geschichte.

„Schreib schnell eine neue Geschichte, damit ich Agathe vergessen kann!“ sagt Vorderbrandner. „Ich kann doch Agathe jetzt nicht anrufen und sagen: Vor ein paar Monaten, unter der Akazie, da habe ich mich unsterblich in dich verliebt. Ich hatte es vergessen, doch jetzt ist es mir wieder eingefallen.“

„Ich weiß nicht, ob dir meine neue Geschichte beim Vergessen hilft. Denn sie hat den Titel Akazien in Kroazien. Wobei ich mit dem Titel große Schwierigkeiten habe, denn Kroatien schreibt man nicht mit z. Also wollte ich die Geschichte Akatien in Kroatien nennen, aber das gefällt mir nicht, denn dann habe ich zwei Wörter im Titel, die man nicht so spricht wie man sie schreibt. Es bliebe die Variante, die Geschichte Akazien in Kroatien zu nennen, doch dann habe ich zwei Wörter im Titel, die man gleich ausspricht, aber unterschiedlich schreibt.“

„Akazien in Kroazien!“ ruft Vorderbrandner und stürmt zur Tür hinaus. „Agathe, lass uns reisen, zu den Akazien in Kroazien!“ höre ich ihn im Gang noch singen.

Ich sitze vor dem Blatt Papier und habe keine Ahnung, wie ich meine Geschichte mit den Akazien fortsetze. Ich habe das Gefühl, Vorderbrandner und ich haben heute aneinander vorbeigeredet.

 

Isaria Esel

Meine erste Freundin hieß Isaria Esel. Ja, so hieß sie. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir beide acht Jahre alt, als wir uns das erste Mal küssten. Ich fand es lustig, dass Isaria mit Nachnamen Esel heißt, noch dazu, wo in ihrem Vornamen zweimal die Vokale i und a enthalten sind und das in dieser Reihenfolge. Passend für einen Esel ein: ia ia.

Ihr Vorname endet außerdem mit aria, was mich immer an große Musik denken lässt, zum Beispiel an die Arie Ombra mai fu aus der Oper Serse von Georg Friedrich Händel. Mit dieser Arie preist der Perserkönig Serse den Schatten einer Platane. Ich bin mit Isaria zwar nicht unter Platanen gesessen, aber oft unter den Buchen auf unserem Schulweg.

Als ich eines Tages bemerkte, dass Esel sich rückwärts Lese liest, hat mich das der Literatur nähergebracht. Es war sozusagen eine Aufforderung zum Lesen. Ich habe so große Werke wie Don Quijote von Miguel de Cervantes entdeckt. Sancho Pansa auf dem Esel ist seitdem ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Selbst in der Bibel reitet Jesus auf einem Esel.

Doch nicht genug, dass Isaria mich mit ihrem Namen zur Musik und Literatur geführt hat: Ihr Vorname beginnt mit Isar, und deshalb spaziere ich so gern an diesem Fluss. An seinen Ufern fallen mir die tollsten Geschichten ein: Zum Beispiel die, dass Isaria Esel ein toller Name ist.

In Salzburg stehen zu viele Kirchen

In Salzburg stehen zu viele Kirchen

Etwas trieb mich hierher, obwohl ich Grübeldinger seit Jahren nicht gesehen habe. Grübeldingers Bruder hat mich angerufen, und ich habe daraufhin den nächsten Zug nach Salzburg genommen.

Grübeldinger hat immer gesagt, in Salzburg stehen zu viele Kirchen. Oben auf dem Mönchsberg, den er fast täglich beschritten hat, hat er sie gezählt, immer wieder, die Salzburger Kirchen. Er hat gesagt: Ich kann einen Gott, der in diesen Kirchen wohnt, nicht lieben. Aber ich bin gezwungen, diesen Gott zu lieben, der in diesen Kirchen wohnt. Etwas in mir zwingt mich, diesen Gott zu lieben. Eines Tages werde ich es nicht mehr aushalten, diesen Gott zu lieben, dann werde ich mich von hier, vom Mönchsberg, auf die Kirchen stürzen. Ich sagte ihm, er solle öfter zur Richterhöhe gehen, auf die andere Seite des Mönchsbergs, um von dort nach Süden zu blicken, raus aus der Stadt. Das geht nicht, sagte Grübeldinger, denn wenn er nach Süden blickt, dann sieht er die Schlösser, die sich die prunksüchtigen Erzbischöfe gebaut haben. Einmal sei er auf die Richterhöhe gegangen, und als er von dort Schloss Hellbrunn erblickte, hat er einen Wutanfall bekommen und laut zu schreien begonnen. Hellbrunn, sagte er, sei der Gipfel der Heuchelei, wodurch sich die Erzbischöfe schließlich verraten hätten. Denn in den Kirchen von Gott zu predigen, dem sich jeder zu unterwerfen habe, und in Hellbrunn den weltlichen Freuden zu frönen, das hätte ihnen das Volk nicht mehr abgenommen, sagte Grübeldinger, und das Volk hätte zu zweifeln begonnen, ob es an diesen Gott glauben soll, denn das Volk hat erkannt, dass dieser Gott nur vorgeschoben war, um es ruhig zu halten. Doch das Volk heute, sagte Grübeldinger, ist auch nicht viel gescheiter, nur dass die Mächtigen heute nicht mehr Erzbischöfe heißen, und dass sie den Gott, von dem sie sprechen, nicht mehr Gott nennen.

In jedem Fall, sagte Grübeldinger, bin ich seit diesem Wutanfall nicht mehr auf die Richterhöhe gegangen und beabsichtige auch nicht, es noch einmal zu tun. Stattdessen versuche ich seitdem, so nahe wie möglich an der stadtzugewandten Seite des Mönchsbergs zu spazieren. Ich versuche, bei diesen Spaziergängen immer wenigstens einen der vielen Kirchtürme zu sehen, denn so sehr ich die Kirchen auch hasse, in denen der Gott wohnt, den ich so hasse, weil ich dabei an die Erzbischöfe denken muss, so beruhigen mich andererseits diese Kirchen auch, denn hier bin ich geboren, und ich kenne nichts anderes als diese Kirchen, sagte Grübeldinger. So sehr sie ihn auch einengen, so sehr benötige er sie. Neulich habe er sich oben am Mönchsberg durch Bäume und Gebüsch geschlichen und habe eine Stelle entdeckt, wo er in die Tiefe blicken konnte zum St.-Peters-Friedhof. Er sei ganz ruhig gewesen, dort oben, beim Blick in diese Tiefe, habe aber trotzdem überlegt, ob dies der Moment sei, um in die Tiefe zu springen. Aber etwas zwang mich, es nicht zu tun, sagte er.

Ich blicke hinauf zur steilen Felswand und überlege, wo Grübeldinger wohl gestanden hat. Auch ich bin, wie Grübeldinger, in Salzburg geboren, doch ich bin schon lange weggezogen. Waren es die vielen Kirchen, die mich veranlassten wegzuziehen? Ich sagte Grübeldinger, er solle doch wegziehen, zumindest für eine Weile, um etwas Abstand von den Kirchen zu bekommen. Oder mich in München besuchen. Grübeldinger sagte, in München seien die Kirchen noch viel schlimmer, weil sie sich mehr verteilten als hier in Salzburg und die ganze Gegend weitläufig infiltrierten. Hier in Salzburg hingegen stünden sie konzentriert, eingezwängt zwischen Mönchsberg und Salzach. Hier in Salzburg könne er die Wesensart der Kirchen besser studieren, durch ihre Eingezwängtheit. Hier könne er den Gott, den die Erzbischöfe geschaffen haben, besser studieren, da der Gott hier gefangen sei in seiner eigenen Prunksucht. Ich sagte Grübeldinger, er solle doch einmal über die Salzach gehen und am anderen Ufer auf den Kapuzinerberg gehen, um mit etwas Abstand auf die Stadt und ihre Kirchen zu blicken. Grübeldinger erwiderte, das komme für ihn nicht in Frage, denn er wolle in Zukunft immer so nahe wie möglich an der stadtzugewandten Seite des Mönchsbergs spazieren, denn nur so könne er die Kirchen durchdringen, könne diesen Gott begreifen, der von den Erzbischöfen geschaffen wurde. Ich habe Angst vor diesen steilen stadtzugewandten Schluchten, sagte Grübeldinger. Er sei sicher, dass nur hier, in diesen dunklen Schluchten, die Erzbischöfe diesen Gott erschaffen konnten, während sie selbst, die Erzbischöfe, aus diesen dunklen Schluchten nach Hellbrunn geflüchtet seien, weil dieses dunkle Leben in diesen Schluchten nicht zu ertragen sei, sagte Grübeldinger. Deshalb spaziere er jeden Tag auf den Mönchsberg, um vor diesen dunklen Schluchten zu fliehen, aber dennoch gehe er immer ganz nah an diesen dunklen Schluchten entlang. Etwas zwinge ihn, dies zu tun. Zur Richterhöhe könne er nicht gehen, denn dort sieht er Hellbrunn, und das sei noch viel schlimmer als die Kirchen zu sehen. Der Anblick von Hellbrunn beunruhigt mich, während der Anblick der Kirchen mich beruhigt, sagte Grübeldinger.

Ich hatte Grübeldinger lange nicht gesehen, jahrelang, weil ich genug hatte von seinem Kirchenwahnsinn. Für Grübeldinger gab es nichts anderes als die Salzburger Kirchen, und als ich ihm noch einmal vorschlug, er solle die Salzach überqueren, auf den Kapuzinerberg gehen und von dort, mit etwas Abstand, Salzburg und seine Kirchen betrachten, sagte er, das würde er nicht aushalten, die Stadt und ihre Kirchen in der Totalen zu sehen, genauso wenig, wie er es aushält, von der Richterhöhe Hellbrunn zu sehen. Die Stadt vom Kapuzinerberg zu sehen würde ihn sicher sehr beunruhigen, da sei er sich sicher, während es ihn beruhigt, die Stadt und die Kirchen von oberhalb der stadtzugewandten Schluchten des Mönchsbergs zu sehen, denn hier sei er den Göttern nahe, mit denen die Erzbischöfe die Stadt infiltriert hätten. Diese Götter seien sein Leben und sein Tod zugleich.

Grübeldingers Bruder sagt, dass Grübeldinger in letzter Zeit nicht mehr so oft auf den Mönchsberg gegangen sei, und dass es daher völlig absurd sei, dass er sich jetzt vom Mönchsberg in den St.-Peters-Friedhof gestürzt hat, jetzt, wo er nicht mehr so oft auf den Mönchsberg gegangen sei wie in all den Jahren zuvor.

Ich weiß nicht, wieso ich gekommen bin. Ich habe Grübeldinger seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich habe ein Taxi genommen und bin vom Bahnhof sofort zum St.-Peters-Friedhof gefahren, wo Grübeldingers Bruder auf mich gewartet hat. Ich stehe inmitten der Gräber, blicke hinauf zur steilen Felswand und stelle mir vor, wie Grübeldinger sich in den St.-Peters-Friedhof gestürzt hat, umgeben von den Kirchen seiner Götter.

Kleine Philosophie des Lebens

Jeden Tag erwache ich und frage mich: Was ist das Leben? Dann lebe ich, den ganzen Tag, und vor lauter Leben vergesse ich die Frage, die ich mir am Morgen gestellt habe.

Abends gehe ich ins Bett und erinnere mich an die Frage die ich mir morgens gestellt habe: Was ist das Leben? Um eine Antwort zu finden, lasse ich den Tag Revue passieren und sage mir schließlich: Das ist es, das Leben. Und schlafe zufrieden ein.

Josef im Interview

Neulich bin ich in den Himmel aufgefahren und habe den heiligen Josef zu einem Interview getroffen.

Emil: Josef, die Menschen auf der Erde feiern wieder mal Weihnachten. Freust du dich darüber?
Josef: Ich weiß nicht recht. Ich bin etwas zwiegespalten.
Emil: Inwiefern?
Josef: Die Menschen feiern Jesus und Maria, und ich steh blöd daneben.
Emil: Wie war das damals, als Maria dir sagte, sie sei schwanger?
Josef: Sie druckste ganz schön rum. Klar, das Kind war ja nicht von mir, obwohl wir verlobt waren und heiraten wollten.
Emil: Von wem war denn das Kind?
Josef: Sie hat es mir nie gesagt. Ich vermute, sie hatte eine Affäre mit Hans dem Schreiner.
Emil: Was hat sie stattdessen gesagt?
Josef: Sie redete plötzlich davon, dass sie ein Kind von Gott empfange, und dass ihr, wie durch ein Wunder, ohne sexuelle Aktivität die Frucht in den Leib gelegt worden sei. Das fand ich komisch. Denn so schlimm finde ich sexuelle Aktivität nicht, dass man auf so ein Wunder hoffen müsste. Außerdem machte ich mir ernsthaft Sorgen um sie. Hatte sie solche Panik, dass ich sie verlasse, was sie dazu veranlasste, eine solch abstruse Geschichte zu erfinden? Oder geht mit Schwangeren generell die Phantasie durch?
Emil: Du bist aber dennoch bei ihr geblieben.
Josef: Ja. Da kam der Beschützerinstinkt in mir durch. Außerdem fand ich sie schon wahnsinnig toll. Sie hat sich ja auch trotz des Kindes für mich und gegen Hans den Schreiner entschieden. Außer beim Sex. Da blieb sie hartnäckig.
Emil: Wie? Sie hatte danach noch Sex mit Hans dem Schreiner?
Josef: Das weiß ich nicht. Jedenfalls nicht mit mir. Ich vermute, ihr damaliger PR-Manager, wie hieß der nochmal – Petrus, glaube ich – hatte großen Anteil daran. Also, ich weiß nicht ob sie mit dem auch was hatte, ist auch nicht wichtig, aber auf alle Fälle wollte der die Nummer mit dem Sohn Gottes groß rausbringen.
Emil: Du willst also sagen, Maria hat aus PR-technischen Gründen keinen Sex mit dir gehabt?
Josef: Als das Ding voll am Laufen war, also die Story mit dem Sohn Gottes und der Jungfräulichkeit, waren Maria und ich einmal sehr leidenschaftlich über uns hergefallen, als sie plötzlich von mir abrückte und sagte, sie dürfe keinen Sex mit mir haben, denn Petrus hätte gemeint, sie müsse als Jungfrau authentisch wirken. Wenn sie mit mir Sex hätte, würde man das merken. Da wurde ich wirklich zornig auf Petrus und wollte dafür sorgen, dass Maria aus dieser Nummer rauskommt. Sie aber meinte, ich solle bedenken, wieviel wir verdienen mit ihren Auftritten als Jungfrau Maria im Gegensatz zu meinem kärglichen Zimmermann-Lohn. Da habe ich klein beigegeben.
Emil: Und dein Sohn, ääh, ich meine Jesus, welche Rolle hat der dabei gespielt, als er auf die Welt gekommen war?
Josef: Bei seiner Geburt waren wir bei meinen Eltern im Bethlehem. Als bei Maria die Wehen einsetzten, verordnete Petrus, wir sollen in den alten Stall gehen, er habe dort bereits alles arrangiert. Der Stall war schön mit Kerzen und Fackeln ausgeleuchtet. Vier Reporter waren da: Lukas, Matthäus und… wie hießen die beiden anderen jetzt? Schließlich kamen auch noch drei maskierte Typen, als ob wir Fasching hätten, und haben sich als Heilige Drei Könige ausgegeben. Sie hatten Zeug dabei, das hat so gestunken, dass ich nach einer Weile unauffällig zum Holzhacken gegangen bin.
Emil: Wie ging es Jesus, als er so im Scheinwerferlicht heranwuchs?
Josef: Ich glaube, er hat es vom ersten Moment an genossen, im Mittelpunkt zu stehen. Er war ein Star, der Sohn Gottes, mehr geht nicht, und dazu seine Mutter, die ewige Jungfrau. Die Frauen kamen wegen ihm, die Männer wegen ihr. Später hat sich der Junge dann gewaltig inszeniert! Ein gigantisches Spektakel hat er abgezogen. Der Eselsritt zum Beispiel, ein Wahnsinn! Ich glaube, irgendwann hat er übertrieben und sich viele Feinde geschaffen. Einer der Jungs, die ständig an seiner Seite waren und mit ihm rumhingen, ich glaube es war Judas, ist dann von der Clique abgesprungen und hat den Römern gesagt, dass Jesus einen an der Klatsche habe.
Emil: Auffallend viele Frauen sind während der dramatischen letzten Stunden Jesus‘ gesehen worden.
Josef: Kein Wunder, er hat ja mit vielen was gehabt. Vor Verehrerinnen konnte er sich nicht retten. Richtig sexsüchtig war er, der Sohn der ewigen Jungfrau. (lacht)
Emil: Wie ging es Maria, als ihr Sohn gekreuzigt wurde?
Josef: Ich glaube, sie fühlte sich wie eine alte Jungfrau. (lacht wieder) Sie war traurig wie eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat. Sie wusste, mit Jesus war ihr kongenialer Gegenpart von ihr gegangen. Wer konnte schon ahnen, dass dieser PR-Coup des Petrus eine derart langandauernde Wirkung über den Tod Jesu hinaus haben würde.
Emil: Auch du wirst sehr verehrt von den Menschen. Es gibt viele Kirchen und Plätze auf der Erde, die deinen Namen tragen.
Josef: Ich habe keine Ahnung wieso. Ich finde, ich habe in dieser Geschichte ja schon die Arschkarte gezogen. Aber es ist halt wie es ist. – Wer hat das geschrieben? Sigmund Freud, euer neuer Gott?
Emil: Der Dichter Erich Fried hat geschrieben: Es ist was es ist, sagt die Liebe.
Josef: Auch gut. Ich geh jetzt holzhacken. Diese Tradition habe ich mir auch im Himmel beibehalten. Schöne Weihnachten!

Emil Hinterstoisser 2014 und 2015

Aufzug zur Tiefgarage

„Wir nehmen das Auto“, sagt Lene und geht zu einem kleinen Häuschen im Hof.
„Was ist das für ein Häuschen?“ frage ich sie.
„Das ist der Aufzug zur Tiefgarage.“
„Zur Tiefgarage fährt man doch hinab. Dann ist das also der Abzug zur Tiefgarage“, korrigiere ich sie und betrachte die Angelegenheit als erledigt.
„Nein“, sagt Lene, „ein Abzug ist etwas anderes“ und zitiert aus ihrem Smartphone: „Ein Abzug ist eine Absauganlage für gasförmige Substanzen, während ein Aufzug eine Anlage ist, mit der Personen oder Lasten in einer beweglichen Kabine zwischen zwei oder mehreren Ebenen transportiert werden können. Wie eben dieser Aufzug zur Tiefgarage.“

Ich bin verwirrt, denn wenn ich auf ebener Erde bin und zur Tiefgarage hinabfahre, kann ich dies doch unmöglich in einem Aufzug tun.
Lene sagt mir daraufhin, ich solle mir vorstellen, in der Tiefgarage zu stehen und mit dem Aufzug hinaufzufahren.
Ich sage, dass ich mir dies nicht vorstellen möchte, da ich ein Mensch bin, der sich bevorzugt auf ebener Erde aufhält und dass ich deshalb von der ebenen Erde meine Aktionen denken möchte. Jegliche andere Perspektive stört meinen inneren Seelenfrieden. Ich wiederhole, dass ich, um in die Tiefgarage hinabzufahren, dies unmöglich in einem Aufzug tun kann.

„Mir fällt etwas ein“, sagt Lene. „Wir nennen den Aufzug einfach Abzug. Dann können wir mit ihm zur Tiefgarage gelangen.“
Ich erwidere: „Bei der korrekten Benutzung des nun so genannten Abzugs riskieren wir, laut Definition, uns in gasförmige Substanzen zu verwandeln und abgesaugt zu werden, was ich mir ebenfalls nicht näher vorstellen möchte.“

Lene sieht mich an und geht plötzlich schnurstracks Richtung Straße.
„Was machst du?“ rufe ich ihr nach.
„Ich habe erkannt, dass es unmöglich ist, mit dem Aufzug in die Tiefgarage hinabzufahren und wenn wir dies mit dem Abzug tun, wir als gasförmige Wesen aus dem Leben gesaugt werden. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände habe ich beschlossen, dass wir zu Fuß gehen.“

Ich bin mit Lenes Vorschlag einverstanden, denn ich bewege mich, wie bereits erwähnt, bevorzugt auf ebener Erde. Mir fällt noch ein, ihr vorzuschlagen, die Treppe zur Tiefgarage zu benutzen, doch ich unterlasse diesen Vorschlag. Ich glaube, er würde in diesem Zusammenhang zu weit führen.

Bulut Bayernhaupt

Mitterbichler stand vor meiner Tür, mit einem lustigen Holzgestell auf Rädern. Was das sei? fragte ich ihn.
„Das ist ein Registrierwagen, von mir selbst gebaut“, sagte Mitterbichler.
„Ein Registrierwagen, von dir selbst gebaut? Und was willst du damit?“
„Ich will die Behörden unterstützen beim Registrieren der Flüchtlinge“, sagte Mitterbichler. „Komm mit mir zum Bahnhof!“

Ich sah Mitterbichler verständnislos an. Ich wollte ihm sagen, dass ich seine Idee absurd finde, mit diesem selbstgebauten Holzgestell auf Rädern zum Bahnhof zu fahren und Flüchtlinge zu registrieren. Doch ich sagte nichts, sondern kam mit ihm mit. Ich war zu neugierig auf das, was Mitterbichler vorhatte, um mich ihm zu widersetzen.

Am Bahnhof sauste Mitterbichler wie wild mit seinem fahrenden Holzgestell durch die ankommenden Flüchtlinge. Wie ein Schäferhund durch seine Schafherde. Ich war mit ihm auf dem Gestell und klammerte mich daran, um nicht herunterzufallen.
„Wer möchte sich registrieren?“ rief Mitterbichler in die Menge. „Hier ist es möglich.“
„Die verstehen doch kein Deutsch!“ rief ich dazwischen, während Mitterbichler eine Kurve machte und ich beinahe vom Holzgestell fiel.
„Anybody would like to register? Here it is possible!“ rief Mitterbichler nun, als ich endgültig vom Holzgestell gefallen war.
Mitterbichler hielt an, und ich sagte daraufhin zu ihm: „Ich gehe nachhause. Das macht keinen Sinn. Die Leute kommen nicht hierher, um sich registrieren zu lassen.“
„Es geht auch nicht um die Leute“, sagte Mitterbichler. „Es geht um die Behörden, denen wir Arbeit abnehmen.“
„Wieso willst du den Behörden Arbeit abnehmen?“
„Das ist eine Idee, die ich gut finde.“

Ehe ich erwidern konnte, sagte Mitterbichler zu einem Vorbeikommenden: „Hey du, willst du dich registrieren lassen?“
„Wieso denn registrieren?“
„Wieso denn nicht?“
Ich weiß nicht wieso, doch ich wurde neugierig. Das ist immer so mit Mitterbichler: Bin ich auf dem Absprung, passiert irgendetwas, dass ich an Bord bleibe.
Ich fragte nun den Vorbeikommenden: „Bist du ein Flüchtling?“
„Kann man so sagen.“
„Wie? – Kann man so sagen? Du sprichst perfekt deutsch. Du bist doch kein Flüchtling.“
„Doch. Ich bin dauernd auf der Flucht. Bin ich hier, flüchte ich nach dort. Bin ich dort, flüchte ich nach hier.“ Er hatte sich mittlerweile auf das Holzgestell gesetzt. Offensichtlich hatte er eine Verschnaufpause nötig, von seinem rastlosen Von-hier-nach-dort.
„Was ist hier, was ist dort?“
„Hier ist Bayern, dort ist die Türkei. Oder umgekehrt.“
„Wie heißt du überhaupt?“ fragte Mitterbichler, wohl an seinen selbstgestellten Registrierungsauftrag denkend. Zumindest schließe ich das aus der Vehemenz, mit der er diese Frage stellte.
„Bulut Bayernhaupt.“

„Bayernhaupt!“ meinte Mitterbichler mit einem Ausdruck des Entzückens. „Horst Seehofer würde gern Bayernhaupt heißen. Horst Bayernhaupt – HBH. Jedesmal, wenn er am Hofbräuhaus vorbeigeht, würde er seine Initialen sehen.“
„Bayernhaupt ok, aber wieso Bulut?“ funkte ich dazwischen.
„Scholl ok, aber wieso Mehmet?“ äffte Mitterbichler mich nach und übernahm wieder die Initiative: „Bulut, das klingt wie Bulle. Du bist doch kein Bulle?“
„Ach Schmarren“, meinte Bulut. „Bulut ist türkisch und heißt auf deutsch Wolke. Mein Vater sagt, ich bin in Bayern geboren, also soll ich seinen Nachnamen haben. Meine Mutter sagt, ich bin der Sohn einer Türkin, also soll ich einen türkischen Vornamen haben.“
„Das ist eine schöne Geschichte“, sagte ich. „Schön?? Gezeugt, getrennt. Meine Mutter ist in der Türkei, mein Vater in Bayern. Wenn ich bei meiner Mutter bin, will ich bei meinem Vater sein. Und umgekehrt. Und manchmal will ich überhaupt nirgends sein. Mich auflösen wie eine Wolke. Meine beschissenen Eltern!“
„Bulut, du sollst Frieden mit deinen Eltern schließen“, sagte ich.
„Lass ihn in Frieden!“ meinte Mitterbichler in wirschem Ton zu mir.
„Aber es ist doch nicht gut für ihn, sich dauernd in seiner Scheiße zu wälzen.“
„Dauernd? Du kennst ihn ein paar Minuten. Lass ihn. Vielleicht ist Scheiße etwas Gutes für ihn und er nennt es nur Scheiße.“
Ich fühlte mich in die Enge getrieben von Mitterbichler und drehte mich um zu Bulut. Doch er war nicht mehr da. Hatte sich während der Diskussion zwischen Mitterbichler und mir unbemerkt aus dem Staub gemacht. Sich aufgelöst wie eine Wolke, um ihn zu zitieren.

So saßen wir zu zu zweit auf dem Holzgestell, während die Leute an uns vorbeiströmten.
„Sollen wir nun endlich Flüchtlinge registrieren?“ sagte ich zu Mitterbichler; mehr hilflos als überzeugend.
„Nein. Einer reicht für den ersten Tag. Wir wollen uns nicht übernehmen“, sagte Mitterbichler in einem für ihn so typisch selbstüberzeugten Ton.
„Wieso einer? Bulut ist doch kein Flüchtling!“ versuchte ich mich Mitterbichlers Entschlossenheit zu widersetzen.
„Bulut ist ein Flüchtling. Er hat doch selbst gesagt: Ich bin dauernd auf der Flucht.“
„Ja, aber…“
„Bestimmst du, ob jemand Flüchtling ist oder der, der es von sich sagt?“
Mitterbichler stieg auf das Holzgestell und rauschte davon. Ich war so verwirrt, dass ich im Moment nichts anderes zu tun wusste, als ihm zu folgen.

Unwichtige Brustgeschichte

Ich habe von einer Geschichte gehört, die mir nicht wichtig scheint. Dennoch will ich sie erzählen:

Ein Mann, ich weiß nicht welchen Alters, wobei auch das nicht wichtig ist, hatte über eine virtuelle Partnervermittlung Kontakt zu einer Frau aufgenommen. Nach einer Weile virtuellen Chattens beschlossen die beiden, sich zu sehen. Ich stellte Erkundungen über den Mann an und erfuhr, dass er recht üppig beleibt ist. Ich habe nicht erfahren, ob dies seinem Lebenswandel geschuldet ist oder aus einer Veranlagung kommt. Außerdem ist dies für den weiteren Fortgang der Geschichte nicht von Bedeutung. Weiters erfuhr ich, dass der Mann promovierter Naturwissenschaftler ist. Ich fragte nicht nach in welchem Fach. Auch das erschien mir nicht wichtig. Der Mann, so sagte man mir, sei recht klug und gebildet, doch von anderer Seite wurde mir herangetragen, dass er sich dies, seine Klugheit und Bildung, lediglich einbilde. Die Frau, mit der er sich traf, ist von zierlicher Natur und ohne rechte Kurven. Ich weiß das aus verlässlicher Quelle, kann es jedoch selbst nicht bestätigen.

Als sie sich nun trafen, in einem Lokal zum Abendessen, herrschte zunächst große Stille am Tisch. Ob die Stille an den enttäuschten gegenseitigen Erwartungen lag, lässt sich nicht ermitteln. Nach einiger Zeit wollte der Mann die Stille beenden. Es ist anzunehmen, dass er sie beenden wollte, denn er sagte:

„Es ist doch erstaunlich, dass die Brüste menschlicher Frauen wesentlich größer sind als die verwandter weiblicher Primaten.“

Ohne darauf eine abschließende Antwort zu finden, lässt sich nun spekulieren, warum der Mann dies sagte. Ist die weibliche Brust Gegenstand seiner beruflichen Forschungen? Wollte er mit dieser Aussage seine Bildung unterstreichen? Wollte er mit dieser Aussage etwas über die Brüste der Frau sagen, die ihm gegenübersaß? Die Frau war, wie gesagt, von zierlicher Natur und hatte, für eine menschliche Frau, recht kleine Brüste. Als sie den Mann reden hörte, dachte sie daran, dass sie sich schon öfter größere Brüste gewünscht hatte. Neuerdings war sie jedoch zu der Überzeugung gekommen, mit der Größe beziehungsweise Kleinheit ihrer Brüste Frieden schließen zu wollen. Sie hatte deshalb beschlossen, einen Mann zu finden, der ihre kleinen Brüste begehrt.

Sie hätte diese Gedanken nun dem Mann mitteilen können. Hätte er sie verstanden? Es ist müßig darüber nachzudenken, denn sie teilte diese Gedanken dem Mann nicht mit. Stattdessen gab sie der Kränkung nach, die sie in sich spürte, und sagte zu dem wohlbeleibten Mann, der ihr gegenübersaß:

„Es ist ebenfalls erstaunlich, wie groß die Brüste menschlicher Männer manchmal sein können, größer als die ihrer weiblichen Artgenossen. Jedoch zeigen sich die Fettablagerungen bei diesen Männern meist nicht nur in der Brust, sondern am ganzen Körper.“

Ich getraue mich anzunehmen, dass die Frau diese Aussage nicht tätigte, um den Gegenstand ihrer gegenwärtigen beruflichen Forschung zu beschreiben. Über die berufliche Tätigkeit der Frau habe ich im übrigen keine Kenntnisse. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie mit dieser Aussage etwas über die Brüste des Mannes sagen wollte. Wobei auch dies nicht endgültig bewiesen werden kann.

Rein naturwissenschaftlich gesehen hätte es nun viele Themen gegeben, über die die beiden hätten sprechen können, zum Beispiel über die Anatomie des Menschen im allgemeinen und die seiner Brüste im besonderen. Doch praktisch gesehen herrschte große Stille an ihrem Tisch.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass mein Freund Vorderbrandner bis zum Zeitpunkt dieser Stille am Nachbartisch gesessen hatte und mir die Ereignisse bis hierher geschildert hatte. (Wobei er sich bei seinen Ausführungen immer wieder auf Kenntnisse von Mitterbichler berief, den ich jedoch nicht für sehr glaubwürdig erachte.) Vorderbrandner ist kein Freund der Stille, sodass er sich aufgrund dieser Stille erhob und das Lokal verließ. Im weiteren Verlauf war also niemand anwesend, der jetzt über den Fortgang dieser Stille berichten könnte. Es wird jedoch gemutmaßt, dass sich der Mann nach einiger Zeit still erhob und die Frau allein am Tisch zurückließ. Die Frau, so sagt man, verfiel daraufhin in großen Kummer ob ihrer kleinen Brüste. Ein Kummer, der mir unnötig erscheint, doch ich glaube, es ist nicht wichtig, ob er mir nötig oder unnötig erscheint, sodass ich diesen Kummer nun nicht weiter verfolgen möchte.

Ich hatte die Geschichte schon vergessen, als ich vor ein paar Tagen von Vorderbrandner aufgehalten wurde und er mich fragte, ob ich mich noch an die Geschichte mit dem Mann und der Frau im Lokal erinnern könne. „Ist das die Geschichte mit den Brüsten?“ fragte ich. Auch, sagte Vorderbrandner, aber das sei nicht wichtig. Wichtig sei zu erwähnen, dass der Mann und die Frau in der virtuellen Partnervermittlung, über die sie sich kennengelernt hatten, sich nach ihrem Treffen so schlecht bewertet hätten, dass sie wegen des daraus resultierenden schlechten Rankings noch immer keinen Partner gefunden hätten. Ich fragte ihn, woher er das wisse? „Berufsgeheimnis“, sagte er: „Ich arbeite neuerdings in der digitalen Welt.“

Ich versuche nun, diese Geschichte endgültig zu vergessen. Sie beruht auf Indizien und auf Aussagen Vorderbrandners, die nichts beweisen, und wenn ich es mir so überlege, wüsste ich gar nicht, was zu beweisen wäre. Ich habe keine Ahnung, warum ich diese Geschichte überhaupt erzählt habe. Vielleicht weil ich durch sie bemerkt habe, wie wichtig mir weibliche Brüste sind?

Gelzer und Gürzer

In einer Wirtschaft in Weichering machte sich ein Mann namens Gelzer Gedanken über die Wirtschaft und dachte sich: Wirtschaften tut der Mensch, um zu leben. Was hat der Mensch zum Wirtschaften? Er hat seine Umwelt, die Erde, und sich selbst, seine Arbeitskraft. Das haben Tiere auch. Also versuchen Menschen und Tiere jeden Tag, kraft ihrer Arbeit ihrer Umwelt das zu entnehmen, was sie zum Leben brauchen. Das ist also das ganze Wirtschaften, dachte sich der Mann namens Gelzer in der Wirtschaft in Weichering.

In einer Wirtschaft in Wasserburg fragte sich ein Mann namens Gürzer, was Menschen von Tieren unterscheide und rief zu diesem Zweck Gelzer in Weichering an. Gelzer sagte daraufhin zu Gürzer, er habe gerade festgestellt, dass Menschen und Tiere, was das Wirtschaften betrifft, sich nicht unterscheiden.

Gelzer bezahlte daraufhin in der Wirtschaft in Weichering, und während des Bezahlens dachte er: Das ist es, was Menschen von Tieren unterscheidet – das Geld. Gelzer dachte weiter: Der Mensch kann seine Arbeitsleistung speichern, und zwar mit Geld. Wenn er gerade nichts benötigt, legt er seine Leistung in Geld an, um später etwas dafür zu bekommen. Wie klug der Mensch ist, das Geld erfunden zu haben, dachte sich Gelzer. Er ging zufrieden nachhause und träumte davon, viel Geld zu besitzen.

Am nächsten Morgen rief Gürzer Gelzer an und sagte ihm, dass er dreißig Millionen Euro in bar besitze und dass er diese auf der Stelle los werden möchte. Er habe nämlich davon geträumt, regelmäßig viel Geld zu bekommen, aber keines mehr zu besitzen. Er sei gestresst von der jahrelangen Geldbesitzerei und seinem zwanghaften Bemühen, es werthaltig zu halten.

Gelzer meinte, dass er ohnehin gerade geträumt habe, viel Geld zu besitzen und er gerne bereit sei, Gürzer die dreißig Millionen Euro abzunehmen. Doch wie willst du regelmäßig viel Geld bekommen, wenn du keines mehr besitzst? fragte Gelzer Gürzer. Indem du, der du es jetzt besitzt, es mir regelmäßig zurückzahlst. Ich habe nämlich beschlossen, wie ein Tier zu leben, ohne auf das Geld zu verzichten.

In einer Wirtschaft in Wien saß ein Quantenphysiker und dachte sich: Alles Immaterielle manifestiert sich im Materiellen. Wie passt das jetzt zum Geld von Gelzer und Gürzer?

Ausflug aufs Land (München-Pasing)

Emil, ein Hagestolz noch nicht zu alten Datums, möchte der Enge seiner städtischen Bleibe entfliehen und für ein paar Tage aufs Land fahren. Von einem werten Kollegen hat er gehört, dass zu Pasing, westlich der Stadt gelegen, vor längerer Zeit ein Architekt eine geschmackvolle Villensiedlung im Grünen errichten ließ. Emil fährt mit der Bahn nach Pasing. Dort angekommen, verlässt er den Bahnhof Richtung Norden und findet sich in der August-Exter-Straße wieder. Hier muss es sein! Denn so hieß er, der Architekt, der hier auf grünem Land die Villen plante und errichten ließ: August Exter. Emil fühlt sich oft verbunden mit Menschen, nach denen Straßen und Plätze benannt werden. Zu oft, findet er, kommt die Würdigung bedeutender Menschen zu kurz, im Allgemeinen wie im Besonderen.

Emil geht die August-Exter-Straße entlang und sieht ein paar durchaus prächtige Gebäude. Doch insgesamt ist es ihm zu geschäftig, als dass herrschaftliche und erhabene Gefühle aufkommen könnten. Er will die Straße überqueren und wird dabei fast von einem schnöden Omnibus überfahren, der hier auch noch durchfährt. Hier will er nicht wohnen. Das ist kein landschaftliches Wohnen, das er sich vorstellt. Er beschließt, auf die Suche nach ruhiger gelegenen Villen zu gehen. Er sieht einen Herrn mit Hut und Spazierstock aus einer Seitenstraße spazieren, dessen Noblesse ihm geeignet erscheint, ihn für einen Villenbesitzer zu halten. „Verzeihung, mein Herr: Ich bin auf der Suche nach einer ruhigen Villa im Grünen; einer Villa, in der selbst der gesegnete Herr Exter mit seiner anvertrauten Gattin Luise gerne gewohnt hätte.“ Emil präsentiert stolz das Wissen über die Extersche Familie, das er sich angeeignet hat. „Da lang ist der Luisengarten, wenn Sie den meinen“, sagt der etwas verwundert dreinblickende Herr und zeigt auf die Seitenstraße, aus der er gerade gekommen ist. Emil geht die Seitenstraße entlang: Luisengarten, das ist gut – sicher benannt nach der Gattin des Herrn Exter.

Der Luisengarten

Der Luisengarten

Emil kommt an eine bayrische Wirtschaft, den Luisengarten. Da es noch warm ist, lässt er sich unter der Kastanie nieder. Er sitzt da und träumt davon, mit August Exter und Luise am Tisch zu sitzen und um die Hand einer der drei Exter-Töchter anzuhalten: Eva, Gabriele, Klara – eine schöne als die andere in seinem Kopf. Welche soll er nur nehmen? August Exter ist schon lange tot. Seine Frau auch. Seine Töchter noch nicht so lange, aber tot sind sie auch. Doch Emil lässt sich nicht beirren: Er will eine Villa finden, dort wohnen und von den schönen Exter-Töchtern träumen. Er fragt den Wirt, wo es denn hier eine von Exter erbaute Villa gebe, die ruhig und im Grünen liegt. Er, der Wirt, könne ihm doch sicher helfen, als Besitzer einer Wirtschaft, die nach der hochgeschätzten Luise Exter benannt ist. Der Wirt schweigt, sieht Emil prüfend an, meint dann: „Gehen Sie die Straße weiter, da kommen Sie an den Nymphenburger Kanal. Da ist es grün.“ „Danke“, sagt Emil und erhebt sich vom Tisch. „Und für was brauchen Sie eine Villa?“ „Zum Wohnen.“ Emil geht locker-beschwingt aus dem Wirtsgarten hinaus und weiter die Straße entlang.

Kurz vor dem Kanal mit seinem begrünten Ufer sieht er linkerhand eine schöne Villa in einem großzügigen Garten stehen. Er ist begeistert. Hier will er wohnen! Er geht zum Gartentor und klingelt. Er blickt über den Zaun und bewundert das Anwesen. Ruhig und im Grünen, sehr stilvoll. Hier will er wohnen! Er klingelt ein zweites Mal. Er versucht, die stilistischen Merkmale der Villa architektonisch einzuordnen. Doch sein Enthusiasmus weicht jäh der Ernüchterung. Noch immer öffnet niemand die Tür. Ist niemand zuhause oder hat man beschlossen, ihn am Gartentor stehen sehend, nicht einzulassen? Emil wird unsicher. Soll er nochmals klingeln? Er sieht seinen Traum vergehen, hier in dieser Villa zu wohnen. Ach Eva, ach Gabriele, ach Klara! Womit habe ich das verdient!

Emils Villa

Emils Villa

Wie ein Geschlagener trottet er die Seitenstraße zurück. In der August-Exter-Straße angekommen und auf den Bahnhof zugehend, spricht ihn eine Frau an, die gerade auf den Omnibus wartet: „Junger Mann, Sie sehen so niedergeschlagen aus. Kann ich Ihnen helfen?“ „Ich wollte in einer Villa wohnen, aber niemand war zuhause.“ „In welcher Villa?“ Emil zeigt in die Seitenstraße: „Beim Luisengarten vorbei, am Kanal.“ „Aber die Villen, die stehen doch stadtauswärts, über der Würm“, sagt die Frau. „Stadtauswärts, über der Würm?“ „Ja. Biegen Sie vor dem Bahnhof rechts ab und überqueren Sie anschließend die Pippinger Straße. Da stehen Sie dann, die Villen, in der Alten Allee und der Marschnerstraße.“ „Von August Exter erbaut?“ „Das weiß ich nicht. Kann schon sein.“ „Vielen Dank Luise!“ sagt Emil mit einem Ausruf des Entzückens und will die Frau am liebsten umarmen. „Nichts zu danken. Aber – ich heiße nicht Luise.“ „Natürlich nicht. Entschuldigen Sie, Eva! Und grüßen Sie Gabriele und Klara von mir!“ Emil marschiert schnell weiter. Die Frau, deren wahren Namen wir nicht erfahren, bleibt so verwundert stehen, dass sie vor Verwunderung den Omnibus ohne sie abfahren lässt.

Emil steht an der Pippinger Straße und ist aufgrund des vielen Verkehrs gezwungen zu warten, bevor er sie überqueren kann. Gegenüber beginnt sie, die Alte Allee. Er sieht zwei alte Villen. Die müssen wohl von Exter sein. Sie sind von Verkehr umtost. Wie Relikte aus vergangenen herrschaftlichen Zeiten stehen sie da. Das ist kein landschaftliches Leben, von dem er träumt. Als er endlich die Pippinger Straße überqueren kann, geht er hurtig an den verkehrsumtosten Villen vorbei. Er gelangt zu einer Kirche. Rechts von ihr geht die Alte Allee weiter, links beginnt die Marschnerstraße. Von beiden Straßen hat die Frau gesprochen, deren wahren Namen wir nicht erfahren haben. Welcher Straße soll Emil entlanggehen? Er entscheidet sich für die Alte Allee. Aus einem Gefühl heraus. Alte Allee klingt erhaben. Hier würde er seine Villa für das Landleben finden. Emil fallen vor allem die alten Bäume an der Alten Allee auf. Es gibt einige Villen, linkerhand, doch es gibt nach wie vor diesen Verkehr, der Emil stört. Rechterhand tut sich eine unbebaute, freie Wiese auf, an deren anderem Ende eine Kirche steht. Emil misst der Entfernung zur Kirche eine Strecke von dreihundert Metern bei. Hier noch einmal so stehen wie Exter, vor dem unbebauten Land, und im Kopf die Villen planen! Emil geht weiter und kommt an einem eher armseligen, kleinen Häuschen vorbei, das einen Outdoor-Shop beherbergt. Soll er sich ein Zelt kaufen und es wie ein Pionier auf der Wiese aufschlagen? Dreihundert Meter freie Sicht nach Osten. Die Sonne würde ihn früh am Morgen erreichen und ihn beleuchten wie einen König der Landschaft.

Mit dem Zelt auf die Wiese?

Mit dem Zelt auf die Wiese?

Doch dann denkt er an die Autos, die aus den Seitenstraßen in die Alte Allee abbiegen und mit ihren Lichtkegeln in der Dunkelheit sein Zelt beleuchten. Er verwirft die Idee. Allmählich bekommt er Hunger. Dieses Landleben beziehungsweise das Suchen nach ihm ist anstrengend. Er blickt die Alte Allee entlang und glaubt zu erkennen, dass sie wohl in einem knappen Kilometer einen Rechtsknick beschreibt, folglich nach einem Kilometer noch immer nicht zu Ende ist. Würde er hier seine Villa finden? Zaghaft geht er ein paar Schritte weiter. Linkerhand sieht er eine Wirtschaft namens Jagdschloss. Er spürt Wut in sich aufkommen über diesen Namen. Wie soll man in diesem Trubel eine Jagd veranstalten? Wer hier das Jagdhorn bläst, verhallt ungehört ob des Autolärms. Er denkt kurz nach, ob wohl die Marschnerstraße eine ruhigere Straße sei, eine Straßen mit vielen noblen Herren in ihren herrschaftlichen Villen. Doch dann hat er nur noch ein Bedürfnis: Nachhause zu fahren, in die Behaglichkeit seiner Stadtwohnung, um sich zu erholen, von diesem anstrengenden Ausflug aufs Land.

Emils Forschungsgebiet im Überblick

Emils Forschungsgebiet im Überblick

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