Weiden in der Oberpfalz 1: Weiden

Matthew Smith aus Chicago meldete sich und sagte, er habe meine Nummer von Bekannten von Bekannten von Bekannten von mir, die ihm sagten, ich könne ihm weiterhelfen bei seinen Annäherungen an die Oberpfalz.

Ich fragte ihn, ob er ein Auto hat, dann wäre es ein Leichtes, sich der Oberpfalz von München aus anzunähern – die Autobahn führt direkt dorthin. Matthew mietete sich daraufhin ein Auto, ein paar Tage nach unserem Telefonat holte er mich ab und wir fuhren auf die A9 Richtung Norden. In der Holledau bogen wir auf die A93 ab. Matthews Gesicht war voll gespannter Erwartung, und als wir Regensburg erreichten, rief er voller Freude: Ah, Regensburg, die Hauptstadt der Oberpfalz!
Ich blickte skeptisch, und er blickte fragend, mich an, worauf ich zu einer Erklärung ansetzte:
Offiziell ja, offiziell ist Regensburg die Hauptstadt der Oberpfalz.
Offiziell?
Heidelberg war auch mal die Hauptstadt der Oberpfalz.
Heidelberg?
Ja. Wegen der Pfälzer Linie der Wittelsbacher. Deshalb heißt die Oberpfalz auch Oberpfalz.
Matthew Smith blickte vollkommen verwirrt, ich redete trotzdem weiter, denn ich kann nichts dafür, dass die deutsche Geschichte eine verwirrende ist:
Viele sagen, dass die Oberpfalz generell nicht regierbar ist, auch nicht von Regensburg aus, obwohl Regensburg näher an der Oberpfalz ist als Heidelberg. Und wahrscheinlich soll man die Oberpfälzer gar nicht regieren wollen, auch nicht von Amberg oder Weiden aus, das zeigt doch die Fuchsmühler Holzschlacht.

Ich bemerkte, dass ich Matthew als Zuhörer verloren hatte und setzte meinen Vortrag daher nicht fort, sondern schlug vor, nach Weiden zu fahren.
Nach Weiden? fragte Matthew.
Ja, nach Weiden in der Oberpfalz.

Wir setzten unsere Fahrt auf der A93 Richtung Norden fort. Bevor wir allerdings nach Weiden kamen, legten wir eine Pinkelpause ein. Vom Parkplatz aus hatte man eine schöne Aussicht auf die Landschaft, und Matthew sagte: Dort ist ein Fluss!
Ja, die Naab. Mit schönen Weiden am Ufer, sagte ich.
Das ist Weiden? fragte Matthew erstaunt. Weiden in der Oberpfalz? Er machte ein Foto.
Nein, das sind Weiden, sagte ich: Bäume, die an Flüssen wachsen.
Matthew blickte ratlos auf sein Handy. Wir gingen wieder zum Auto und fuhren weiter nach Weiden.

In Weiden gingen wir durch die Stadt, und Matthew machte auf mich einen angestrengten Eindruck, als ob er ständig etwas suche.
Suchst du etwas?
Ja, die Weiden.
Die Bäume?
Ja, die Bäume.
Die wachsen nicht in der Stadt. Wir müssen an den Fluss gehen, an die Waldnaab. Dort wachsen sie.
Wir gingen ans Ufer der Waldnaab. Dort fanden wir Weiden, und Matthew machte wieder ein Foto von den Weiden.

Ich sagte zu Matthew: Das Foto vom Parkplatz nennst du Weiden in der Oberpfalz, und das Foto von hier nennst du Weiden in Weiden in der Oberpfalz.

Matthew blickte mich wieder verwirrt an, doch ich ging nicht darauf ein, sondern zum Auto und schlug vor, weiter nach Amberg zu fahren.

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Übergabeprotokoll

Meine erste Schiffsreise die ich tat war professioneller Natur, ich wollte mit dieser Reise Geld verdienen und bewarb mich auf eine Anzeige hin als Protokollant der Übergaben. Ich witterte leichtes Geld – irgendwelche Übergaben protokollieren und dabei auf dem Meer herumschippern: Ich stellte mich auf einen verdienstvollen Urlaub ein.

Schon am ersten Tag der Reise war die See eine stürmische, es gab unzählige Übergaben und ich wurde zu ihnen gerufen, um sie zu protokollieren: Ich sah bleiche Gesichter, die sich eben übergeben hatten, erst jetzt erfuhr ich, welche Übergaben ich zu protokollieren hatte: orale Übergaben menschlichen Mageninhalts an die Umwelt. Während die stürmische See das Schiff schwanken ließ, versuchte ich standhaft zu bleiben mit meinem Protokoll in der Hand und fragte die bleichen Gesichter mit leerem Magen nach Name, Geschlecht, Alter, Wohnort und Familienstand. Wieso denn Familienstand? fragte ein bleiches Gesicht erschöpft. Ich weiß nicht, sagte ich, steht so im Protokoll.

Manche versuchten, an die Reling zu gelangen und sich ins Meer zu übergeben, daraufhin wurde via Lautsprecher eindringlich aufgefordert – es klang wie ein Befehl – zur Übergabe des Mageninhalts die dafür bereitgestellten Schüsseln zu benutzen oder, falls eine Schüssel nicht rechtzeitig zur Hand sei, sich auf den Schiffsboden zu übergeben. Ein Kollege von mir sammelte daraufhin, nachdem Übergaben ins Meer erfolgreich unterbunden worden waren, Proben des jeweils Erbrochenen aus den Schüsseln oder vom Boden ein und diktierte mir anschließend die Entnahme seiner Proben, damit ich auch diese protokollieren konnte.

Nach erfolgter Protokollierung wurde ich aufgefordert, auch für die Beseitigung des Erbrochenen zu sorgen, anfangs weigerte ich mich, diese Aufgabe zu übernehmen, schließlich, so behauptete ich, stünde nichts davon in meinem Arbeitsvertrag, ich wurde dann jedoch auf den Passus des Vertrages verwiesen der lautete: Bei Bedarf hat der Arbeitnehmer auch andere Arbeiten als die Protokollierung von Übergaben zu übernehmen. So übernahm ich also auch die Beseitigung von Übergaben.

Die See blieb stürmisch während der ganzen Überfahrt nach New York, sodass ich pausenlos Übergaben zu protokollieren und zu beseitigen hatte, bis ich spätabends erschöpft in mein Kajütenbett fiel, bis sich frühmorgens der erste wieder übergab. Sogar mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf wurde ich zu Übergaben gerufen.

Auf der Rückfahrt waren neue Passagiere an Bord, von denen sich der Großteil ebenfalls wie die Hinfahrtspassagiere ständig übergeben musste, ich wunderte mich, wieso sich immer alle bis auf wenige übergeben mussten, hatte aber nicht viel Zeit zu diesen Überlegungen, zu beschäftigt hielten mich die Protokollierungen und Beseitigungen der ständigen Übergaben. Da die See jedoch insgesamt etwas ruhiger war als bei der Hinfahrt, hatte ich zwischendurch Zeit zu fragen, wozu denn die ganzen Übergaben protokolliert werden müssen, wurde aber lediglich auf meinen Arbeitsvertrag verwiesen und dass ich diesen zu erfüllen hätte.

Erschöpft betrat ich schließlich europäisches Festland, ich konnte kein Erbrochenes mehr sehen und vor allem nicht mehr riechen. Ich sah noch, wie die entnommenen Proben des Erbrochenen in einen Transporter verladen wurden, wandte mich aber gleich ab, denn bei diesem Anblick stieg sofort wieder der Geruch von Erbrochenem in meine Nase, der mich während der Reise wochenlang begleitet hatte und den ich anschließend wochenlang, monatelang nicht loswerden konnte. Schweißgebadet wachte ich monatelang nachts aus dem immer selben Albtraum auf: Ich hatte geträumt, in einem Meer von Erbrochenem zu ertrinken.

Später habe ich erfahren, dass auf diese Schiffsreise, deren Übergaben ich protokolliert hatte, nur Menschen eingeladen worden waren, die leicht seekrank werden. Durch die chemische Analyse der Proben ihres Erbrochenen stellte man fest, welche Speisen in welcher Zusammensetzung sie unmittelbar vor Antritt und während der Reise zu sich genommen hatten und wollte so herausfinden, welche Speisen in welcher Zusammensetzung vor allem zu Seekrankheit führen, um diese in Zukunft nicht mehr anzubieten und so die Anzahl der Übergaben von Erbrochenem während einer Schiffsreise zu verringern.

Es hieß, die Untersuchung habe keine signifikanten Ergebnisse geliefert. All die Protokollierungen der Übergaben waren also umsonst gewesen, mehr noch: Die ganze Reise war umsonst gewesen. Seit dieser habe ich nie mehr eine weitere Schiffsreise unternommen.

Uteto Fritz und die Hamsterradiaden der Menschheit 3: Die Schönheit des Todes

3 Die Schönheit des Todes

Fortsetzung von Teil 2

Uteto Fritz sitzt am Stamm seines Baumes, der von der Wintersonne erwärmt wird. Die Hamsterradiaden sind wie durch ein Wunder einer angenehmen Ruhe gewichen. Uteto Fritz liest Zeitung. Dann blickt er auf zu mir und sagt: Thomas Bernhard hat gesagt, er lese die Zeitung, um mehr vom Irrsinn dieser Welt zu erfahren, ich lese also wie er, um vom Irrsinn dieser Welt zu erfahren, und dabei lese ich von Virologen, von den neuen Chefs der Menschheit, die von der Bundeskanzlerin zu Rittern geschlagen werden, von Leuten wie Thomas Brussig geadelt werden, von Thomas Brussig, der unter dem Titel Mehr Diktatur wagen fordert, die Demokratie aufzugeben und Virologen zu unseren Diktatoren zu befördern, vielleicht weil er die DDR-Diktatur erlebt hat und die Diktatur von Google, Apple und Co. heraufziehen sieht, besser eine staatlich-naturwissenschaftliche Diktatur als eine privat-technokratische, denkt er sich vielleicht. Jedenfalls ist das eine orthodoxe Wissenschaftsgläubigkeit, die ich irrsinnig finde, nein mehr noch, die mir Angst macht, sagt Uteto Fritz, Angst um meine Freiheit, ich glaube nicht an Google, Apple & Co., ich glaube auch nicht an Virologen, ich glaube an mich und mein Leben, das tödlich enden wird.

Das Treiben der Viren unter dem Mikroskop zu beobachten stelle ich mir Furcht einflößend vor, vielleicht ist es auch faszinierend, vielleicht beides zugleich: die Welt als Vire und Vorstellung, dabei vergesse ich, dass durch das verordnete Nichtstun wegen der tödlichen Virengefahr neue Risikogruppen herangezüchtet werden, zum Beispiel die Fettleibigen, die dann wieder die Intensivbetten blockieren, was zu weiterem Nichtstun führt… – ich verliere mich in den Gedanken zur Pandemie. Gibt es noch etwas anderes als die Pandemie, zum Beispiel das Leben an sich?

Uteto Fritz legt die Zeitung beiseite und sagt: Ein Virus ist potentiell tödlich, so wie das Leben. Solange ich mich nicht damit abfinde, dass mein Leben tödlich enden wird, werde ich Angst vor dem Tod haben, und diese Angst zum Beispiel auf ein Virus projizieren. Vor ein paar Tagen brachte ich meine Nichte ins Bett, sie konnte nicht einschlafen und sagte, sie habe Angst vor den Viren, die kommen sicher heute Nacht zu ihr ins Bett und töten sie. Da sagte ich zu ihr: Die Viren wollen genauso leben wie wir Menschen. Als einmal ein Mensch gestorben war, den die Viren befallen hatten, setzten sie sich in einer Runde zusammen wie die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, waren sehr traurig über den Tod dieses Menschen und meinten einhellig: Die Lebenskraft dieses Wirtes haben wir überschätzt, seine Gastfreundschaft endete tödlich. In Zukunft wollen wir uns Wirte suchen, die mit uns leben können.

An den Tod, sagt Uteto Fritz, glaube ich wie an das Leben, durch den Tod werde ich meine letzte intimste Begegnung mit mir selbst haben, es wird hoffentlich eine schöne Begegnung sein voller Zufriedenheit, zumindest ist das mein Ziel. Doch ich stelle fest: Gerade lebe ich, als Mensch auf dieser Erde, voller Neugier, was mir heute noch passieren wird, sagt Uteto Fritz, drückt mir die Zeitung in die Hand, steht auf und geht über die Wiese der Sonne entgegen.

Moritz Mozart

Vorderbrandner stößt bei seinen Recherchen immer wieder auf Dinge, die mich erstaunen lassen. So hat er tatsächlich einen Nachfahren von Wolfgang Amadeus Mozart ausfindig gemacht, der sich Moritz Mozart nennt und behauptet, der Ururururururenkel seines berühmten Ururururururgroßvaters zu sein. Das wäre schon erstaunlich genug, aber das, was mich noch mehr erstaunt, ist, dass Vorderbrandner solche Menschen, die er ausfindig macht, auch zum Reden bringt. So sagte ihm Moritz Mozart, sagt Vorderbrandner, dass er von Freunden liebevoll Momo genannt wird, während andere Bekannte, die mit seiner Homosexualität nicht klarkommen und behaupten, er sei derjenige, der bei seinen Liebesaffären immer anal penetriert wird, ihn zarte Ritze nennen, Anlass dafür war eine Verletzung am After, die er sich tatsächlich beim Analverkehr zugezogen hatte und von der er einem heterosexuell veranlagten Bekannten erzählt hatte, diesen Bekannten hatte er liberal und offen eingeschätzt, doch dieser Bekannter ist ein verstockter Christ, er kam mit dieser Erzählung nicht klar und teilte sie mit anderen verstockten Christen die er kennt, und einer dieser anderen verstockten Christen hat wohl das Wortspiel mit der zarten Ritze erfunden, das seitdem in aller Munde ist.

Natürlich, sagt Vorderbrandner, habe er Moritz Mozart auch nach seinem Ururururururgroßvater gefragt, was er anfangs fast bereut hätte, denn Moritz Mozart war auf diese Frage hin plötzlich still, dann aber wurde er wütend und schimpfte auf seinen Ururururururgroßvater, Wolfgang Amadeus hätte nichts als Unglück über die Mozarts gebracht, er redete sich in Rage, sodass von Stille nicht mehr die Rede sein konnte, sondern von ihrem Gegenteil, er sagte, sein berühmter Vorfahr sei ein Frauenheld gewesen, ein charmanter zwar, aber ein Frauenheld, sein musikalisches Genie und die damit einhergehende Berühmtheit habe er ausgenutzt, um sich durchs Leben zu prassen und um nichts zu hinterlassen als einen Scherbenhaufen. Er könne Frauen deshalb nicht ausstehen, sagt Moritz Mozart, weil sie für die Dekadenz seines Ururururururgroßvaters stehen, mit ihrem tiefen Loch zwischen den Beinen, in dem man sich verliert und in das man versinkt, er wisse nicht, warum ihn seine Mutter als Kind dazu zwang, Röckchen und Kleidchen anzuziehen, wie konnten sich die Mozarts nur über so viele Generationen fortpflanzen, es muss doch ein Ekel geherrscht haben vor dieser schleimigen Höhle, in die man den Penis steckt, jedenfalls habe er diesen Ekel bei einer schamanischen Sitzung deutlich gespürt, seitdem ekle ihm noch viel mehr vor Frauen, ihm ekle vor jeglichen schleimigen Öffnungen, sogar vor seinem eigenen After wenn er es für den Analverkehr eincremt, merkwürdigerweise lerne er nur Partner kennen, die ihn anal nehmen wollen und nicht umgekehrt, einmal habe er sich vor lauter Ekel nicht genug eingecremt, dabei sei diese Verletzung entstanden, die ihn zur zarten Ritze machte, sein Liebespartner habe ihn blutend zurückgelassen, seitdem ekle es ihm vor Analverkehr, er hat geträumt, dass eine Frau mit ihren Fingern zart sein After gestreichelt habe, dann aber kam sie mit ihren Brüsten über ihn, die ihn fast erschlagen hätten, er kann seinem Ururururururgroßvater einfach nicht verzeihen, was er ihm angetan hat, er kann Frauen nicht lieben, er hat zuviel Angst vor ihnen, seit seiner Verletzung kann er auch Männer nicht mehr lieben, er könnte sich natürlich einen Partner suchen, den er penetriert, aber er macht sich zu viel Druck wenn es ans Penetrieren geht, sein Penis erschlafft dann regelmäßig, und so ist er in die Rolle des Penetrierten gerutscht, ohne dass er es wollte, vielleicht würden schamanische Sitzungen helfen, um die Lockerheit für die Penetration zu erlangen, er habe keine Lust mehr, der Penetrierte zu sein, je mehr er über die Penetration nachdenkt, desto mehr will er eine feuchte Frauenhöhle penetrieren statt einen eingecremten Männerafter, aber das macht ihm wieder Angst, diese Höhle, vor der sein Penis erschlafft, er kann seinem Ururururururgroßvater die Wunden nicht verzeihen, die er geschlagen hat.

Vorderbrandner hat die Geschichte von Moritz Mozart mehreren Verlagen zur Veröffentlichung angeboten, aber alle sagten: Mozart ohne Musik – das geht nicht!

Kurze Biographie des Ururururururgroßvaters