Der tägliche Kampf gegen den Faschismus

Matjaz sagt: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Immer wieder sagt Matjaz das. Dazwischen sagt er shit und fuck und dann sagt er wieder: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Matjaz sagt nicht, was er unter einem Faschisten versteht. Ich will ihn fragen, was er unter einem Faschisten versteht. Aber ich traue mich nicht, weil er so in Rage ist. Shit! Fuck! Faschisten! dröhnt es an mein Ohr. Matjaz muss ein Faschist sein, denke ich. Sonst könnte sein Kopf nicht so voll sein von diesem Wort.

Ich versuche, mir in meinem Kopf Klarheit zu verschaffen: Wenn ich an einen Faschisten denke, denke ich an jemanden, der anderen Vorwürfe macht, um von sich selbst abzulenken. Ist das auch, was Matjaz unter einem Faschisten versteht? Oder meint er etwas ganz anderes? Ich weiß es nicht, weil ich ihn nicht frage, nehme also an, dass er das meint.

Matjaz beruhigt sich, aber nur ein wenig, und sagt: Ganz Europa besteht aus Faschisten. Mit Ausnahme der Deutschen, die dürfen keine Faschisten mehr sein. Weil sie die Schuld haben. Die Deutschen haben es mit den Vorwürfen an die Juden übertrieben, seitdem dürfen sie keine Faschisten mehr sein, obwohl sie gerne welche wären. Die Schuld klebt an ihnen. Stalin konnte im Windschatten der Judenvernichtung und unter dem Deckmantel des Kommunismus die Nachfolge Hitlers antreten. Seitdem besteht ganz Osteuropa aus Faschisten.

Krasser Vortrag! Was sagt Matjaz? Matjaz ist Slowene, der deutsch spricht. Er schreit es heraus: Slowenen! Faschisten! Aber auch Italiener, Spanier, Franzosen, Briten – alles Faschisten! Matjaz redet sich in Rage: Österreicher – Faschisten! Kärntner – die größten Faschisten, vor allem gegen die Slowenen! Kärntner – faschistische Arschlöcher! schreit Matjaz mit einer schrecklichen Fratze im Gesicht.

Matjaz macht eine Pause. Atmet durch. Dann sagt er: Ich bin Faschist. Matjaz klagt sich an und spricht sich schuldig. Matjaz ist Faschist gegen sich selbst. Gefangen im Selbstfaschismus. Ist Selbstfaschismus der erste Weg zur Selbsterkenntnis, oder ist er noch fataler als Fremdfaschismus?

Matjaz hört mir nicht zu als ich sage: Ich bin auch Faschist. Oft genug mache ich anderen Vorwürfe, um von mir selbst abzulenken. Täglich mache ich das. Wenn ich den Faschisten in mir bemerke, halte ich inne und sage zu ihm: Lieber Faschist! Ich weiß, dass du Angst hast, Angst vor dir selbst. Halte sie aus, diese Angst, sie wird vergehen! Es ist gut, wie du bist, genauso wie alle anderen gut sind, wie sie sind. Habe Mut zum Leben, wie es ist! Schau es an, und du wirst dich mit ihm versöhnen! Vertrau! Hier also beginnt der Kampf gegen den Faschismus: Bei mir selbst, und nirgends sonst. Alles Faschisten. Aber der einzige Faschist, den ich ändern kann, bin ich. Hoffentlich!

Matjaz hat sein Gesicht in seine Hände fallen lassen. Ich möchte Matjaz gerne umarmen. Es drängt mich dazu. Andererseits weiß ich nicht, ob Faschisten sich umarmen lassen.