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Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Konsumerlebnis

Ich bin in einer Konsumgesellschaft. Das wurde mir schon oft gesagt. Ich weiß gar nicht von wem, aber von vielen.

Ich bin im Park. Bin ich jetzt in der Konsumgesellschaft? Es gibt keine Geschäfte im Park. Zumindest sehe ich keine, nicht einmal ein fahrendes. Ich sehe und höre keinen Straßenmusiker, dessen Musik ich konsumieren könnte. Im Park bin ich nicht in der Konsumgesellschaft. Wobei – ich konsumiere die Luft, die ich atme. Ich konsumiere die Landschaft mit meinen Augen, meinen Ohren, meiner Nase, meinem ganzen Körper. Fast möchte ich sagen: Man kann nicht nicht konsumieren. Das klingt platt. Ich sage es lieber nicht.

Der Hund jagt die Ente. Fängt er sie, gibt es einen leckeren Happen für ihn und mich. Doch ich bin in einer zivilisierten (Konsum-)Gesellschaft. Es herrscht Jagdverbot. Raus aus dem Park, rein in den Laden. Wenn ich schon nicht nicht konsumieren kann, dann richtig konsumieren. Abgepackte Ente. Fleischstücke unter Plastik. Ich versuche mir das Tier vorzustellen, das einmal war, bevor diese Fleischstücke unter Plastik daraus geworden sind: Die Ente aus dem Park landet im Laden-Hinterhof und wird zu Fleischstücken unter Plastik gemacht. Zu einfach. Die Ente aus der Entenfarm in Niedersachsen fliegt nach München, um hier… nein, zu weit – die Ente aus Niedersachsen wird mit dem LKW nach München transportiert. Tot oder lebendig?

Will ich Ente? Der Hund sieht mich erwartungsvoll an. Ich gehe nachhause und steige dort in mein Auto. Die Idee: Ich fahre zum Bio-Entenhof auf dem Land, um dort eine glückliche Ente zu sehen, die für mich und den Hund geschlachtet wird. Doch bevor ich den Motor starte, fällt mir auf, wieviel ich konsumiere, nur um das Schlachten einer Bio-Ente zu sehen. Ich benutze ein mit viel Energieaufwand hergestelltes Metallgestell auf vier Rädern, dessen Motor mit Treibstoff betrieben wird, der aus Erdöl hergestellt wird, das tief aus der Erde gepumpt werden muss. Ich sitze im Auto, blicke mich um zum Hund und frage ihn, was wir machen sollen. Er blickt erwartungsvoll zurück.

Da fällt mir Rettendes ein: Ich wollte schon lange mal wieder Essen gehen. Ich werde den Abend im Restaurant konsumieren und keine weiteren Fragen stellen. Ich habe Hunger.

Wortlos im Wald (Gegenteile)

Mein Kopf ist voll von Worten. Oder soll ich es einfach nur Buchstabengewirr nennen? Um dem Gewirr zu entrinnen, schnappe ich mir den Hund, stecke uns beide ins Auto und fahre raus. Dorthin, wo sich der Wald kilometerweit erstreckt und die Pfade ihn so kreuz und quer durchziehen, dass man sich leicht verlaufen kann wenn man will.

Wir gehen wortlos durch den Wald. Selbst meine Gedanken will ich wortlos denken, doch ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich geht. Wortlose Gedanken? Zwei, drei Stunden begegnen wir keinem Menschen, der mich zwänge, Worte des Grußes auszusprechen. Nicht einmal einem Schild mit Aufschrift begegnen wir, das ich, unfähig es zu ignorieren, lesen müsste.

Dann sehe ich in einiger Entfernung einen Mann, der unseren Weg kreuzt. Um eine wortreiche Begegnung zu vermeiden, rufe ich Paul, den Hund. Ich rufe: „Hier!“, und während ich dieses Wort rufe, wird mir bewusst, dass ich ein Wort rufe. Ich habe das Wort hier gerufen, das aus vier Buchstaben besteht und zweifelsohne ein Wort ist. Für Paul ist es ein akustisches Symbol herzukommen, doch das soll nicht ablenken von der Tatsache, dass ich meinen Vorsatz des wortlosen Nachmittags im Wald gebrochen habe.

Ich bin plötzlich wieder mittendrin in der Welt der Worte, mit dem Ausruf des Wortes hier. Mir fällt auf, dass man dort als das Gegenteil von hier betrachten kann, und dass beide Wörter aus vier Buchstaben bestehen und so in meinem Kopf eine angenehme Symmetrie bilden. Dann fällt mir das Wort Dortmund ein, und es wundert mich, dass dieses Wort der Name einer Stadt im Ruhrgebiet ist, und dass Dortmund aus vier + vier = acht Buchstaben besteht. Gibt es ein Gegenteil zum Wort Mund? Mir fällt spontan der Anus ein. Das Gegenteil von Dortmund ist somit, nach logischer Schlussfolgerung, Hieranus.

Werden die Anhänger des Fußballvereins Borussia Dortmund, wenn sie dies hier lesen, ihren Konkurrenzverein FC Schalke 04, der ja so etwas wie das Gegenteil ihres Vereins darstellt, fortan FC Hieranus 04 nennen? Mich fasziniert die Zahl 4 im Vereinsnamen von Schalke, denn das bringt mich zurück zu den Wörtern dort, hier, Mund und Anus, die allesamt aus vier Buchstaben bestehen.

„Du Pappnase“, sagt jetzt mein kritisches Eltern-Ich zu mir, „was hast du nur für Gedanken im Kopf?“
„Danke“, sage ich zu meinem kritischen Eltern-Ich, „danke für das Wort Pappnase!“ Es besteht aus vier + vier = acht Buchstaben und reiht sich perfekt in meine bisherigen Überlegungen ein.

Der Mann, den ich gerade gesehen habe, ist weitergegangen und aus meinem Blickfeld verschwunden. „Lauf Paul!“ sage ich, und spüre plötzlich einen Zwang in mir, nur noch Worte mit vier Buchstaben auszusprechen. Dabei wollte ich doch wortlos durch den Wald gehen.

Weiter im Wald: Ich höre Vogelgezwitscher. Das Vogelbuch verrät mir, dass ich einen Stieglitz höre, der als Lockruf ein zweisilbiges, helles Didlitt ertönen lässt. Das ist ein schönes Wort, obwohl es aus sieben und nicht aus vier Buchstaben besteht.

Appe-ndix

Hier soll sehr viel Ruhe sein,
sagt Emil also zuse inem Hund.
Doch wenn derV ogel ruft
dann kann eswe rden laut,
sagt dann sein Hund.

München, Schellingstraße

Emil, ein Hagestolz noch nicht zu alten Datums, ging aus der Ludwigskirche, die er zuvor noch nie betreten hatte. Er sah die Schellingstraße vor sich und bemerkte, dass sie in der Ferne einen Rechtsknick beschrieb.

Sorgsam schritt er also die Schellingstraße entlang, dabei akkurat alle Querstraßen und Ampeln in seinem Kopfe speichernd. Als er die Schleißheimer Straße überschritten hatte, maß er dem Rechtsknick einen Winkel von 23,71 Grad bei.