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Wieso berührt mich der Tod von Franz Beckenbauer?

9. Januar 2024: Die tiefe Wintersonne scheint auf den Alten Peter vor mir, als ich über den Viktualienmarkt gehe. München hat mich gerettet. Diese Stadt ist das große Glück in meinem Leben.

Aus meiner Geburtsstadt Salzburg bin ich nach München geflüchtet. Ich brauche München, um ich zu sein.

Am Sonntag, den 7. Januar, ist Franz Beckenbauer in Salzburg gestorben. Am Montag, also gestern, kamen die Meldungen raus. Beckenbauer, die Medienfigur, vor seiner letzten großen Inszenierung: seinem Tod.

Ich dachte, der Tod Franz Beckenbauers würde mich nicht berühren. Aber er berührt mich. Sehr. Im Sommer 1974 hatte Beckenbauer als Anführer des FC Bayern München und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit diesen beiden Mannschaften alles gewonnen, was man im Fußball gewinnen kann. Mit einer Leichtfüßigkeit, die ihn über allem schweben ließ. Neun Monate später wurde ich geboren. Und mit mir der Mythos Beckenbauer, der Mythos des Kaiser Franz. Mein Vater vermittelte mir, das alles Gute dieser Welt nicht an Franz Beckenbauer vorbeiführt. Alle, die das rote Trikot des FC Bayern überstreifen, spielen im Andenken an Franz Beckenbauer: Paul Breitner, Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Augenthaler, die Idole meiner Kindheit – alles Mini-Beckenbauers. Natürlich wollte ich auch ein Mini-Beckenbauer werden, wie Thomas Müller es jetzt ist. Und natürlich wollte ich nach München.

Beckenbauer, der Giesinger Bua, war kurz nach meiner Geburt aus München nach New York geflüchtet. Als er nach einigen Jahren zurückkam, wohnte er nicht mehr in München, sondern bei Kitzbühel. Schließlich verschlug es ihn mit dritter Ehefrau und neuen Kindern nach Salzburg. In Salzburg wurde der Medienstar zum zurückgezogenen, alten, gebrechlichen Mann.

Damals, als ich nach München kam (Beckenbauer war gerade nach Salzburg gezogen), hatte ich Angst. Angst, dass sich der Mythos dieser Stadt als leere Hülle, als Franzelei, entlarven und ich daran zerbrechen würde. Schließlich hatte Beckenbauer seit meiner Geburt nie mehr in München gewohnt. Eine Stadt ohne ihren Star.

Stattdessen emanzipierte ich mich vom Mythos. Es half, das der Leibhaftige nicht da war. Ich durchschritt meine Täler, um zu mir selbst zu kommen. Ich will kein Mini-Beckenbauer mehr sein. Ich bin mir selbst genug. In München beendete ich meine Flucht vor mir selbst. Heute holt mich der Mythos noch einmal ein. Schließlich hat er mich nach München geholt, in die Stadt, die ich so sehr liebe. Weil sie mir so viel gibt. Und ich bereit bin, es zu nehmen.

Am Marienplatz liegt das Rathaus im gleißenden Sonnenschein. Dort, wo der FC Franz Beckenbauer seine Erfolge zelebriert. Das Licht blendet mich. Ich flüchte in die Katakomben der U-Bahn. Nach so viel Licht brauche ich Schatten. Der Kaiser, die Lichtgestalt, Mythos und mutmaßlicher Begründer meines Lebens, ist im Schatten der Salzburger Berge gestorben.