Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Krank in Kallstadt

Vorderbrandner, dessen Aufenthaltsort mir seit einiger Zeit unbekannt gewesen war, hat mir vor einigen Tagen eine Nachricht übermittelt, in der er schreibt, er sei im Exil, er schreibt, er sei ein heterosexueller weißer Mann und fühle sich unwohl in seiner bleichen Haut, er fühle sich einer Minderheit angehörig, die von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werde, einer Minderheit, die über die Jahrhunderte großen Schaden angerichtet habe und die für diesen Schaden, den sie angerichtet hat, nun büßen muss.

Außerdem stellt er in seinem Exil gerade fest, dass er sich zum Weiblichen extrem hingezogen fühle, nicht weil er ein schlechter Mann sein wolle, sondern weil er das Weibliche verehre, er sei eben ein heterosexueller Mann, und durch sein Testosteron könne er das Weibliche von Weitem riechen, er müsse ihm nachgehen, davon halte ihn auch das Exil nicht ab, das Exil, für das er die Pfalz gewählt habe, er wisse nicht warum, er sei einfach in die Pfalz gefahren und halte sich im Moment in der Nähe von Bad Dürkheim auf, in einer Ortschaft namens Kallstadt, und erst als er in Kallstadt angekommen sei habe er von einer lokal ansässigen Frau, die er erspürt habe, erfahren, dass hier der Großvater und die Großmutter von Donald Trump geboren seien, von Donald Trump, der auch meiner Spezies angehört, der Spezies des weißen heterosexuellen Mannes, die großen Schaden angerichtet habe, ich weiß nicht wieso ich genau in Kallstadt gelandet bin, aber ich bin nun mal in Kallstadt und werde hier bis auf Weiteres bleiben, schreibt Vorderbrandner, ich habe ein Lied gefunden, das zu meiner Situation passt, schreibt er weiter, und ich tanze ekstatisch zu seinem Rhythmus, bis ich mich selbst wieder gefunden habe, ich mich nicht mehr krank fühle und meine Existenz soweit akzeptieren kann, dass ich mich als Minderheit in die Gesellschaft da draußen wieder eingliedern kann:

Chaosmose

Am hellen Tag fiel ich in tiefen Schlaf, die Sonne schien auf mein Gesicht und erhellte meine Welt, eine andere Welt als die die ich bisher kannte, ich erfand mich neu ohne dass ich es wollte, etwas befreite mich von dem was ich sein zu müssen glaubte, es war, als ob ich mir selbst entkam um neu geboren zu werden:

Wenn am sprudelnden Wasser des Borns…

Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna. Während der Fahrt hatte ich viel Zeit, mir Gedanken zu machen, und so machte ich mir den Gedanken, dass Borna die weibliche Form von Born ist, wobei Born, das habe ich gerade eben recherchiert, die historisierend-poetische Bezeichnung für einen Brunnen ist, wonach eine Borna ein weiblicher Born wäre, eine Brunnena. Zugleich fiel mir jedoch in den Gedanken, den ich mir gemacht hatte, ein anderer Gedanke, nämlich dass es einen professionellen Fußballspieler gibt, der Borna Sosa heißt. Borna ist also kein weiblicher Brunnen, sondern ein männlicher Vorname.

Borna erreichte ich über die Autobahn bei strömendem Regen, ich fuhr ins dortige Krankenhaus, um meinen Wagen einem Arzt zu übergeben, ich fragte den Arzt, ob ich selbst mich ihm auch übergeben kann, ich erläuterte ihm, wie mich die Gedanken, die ich mir mache, quälen, er sagte, er sei kein Gedanken-Arzt, und außerdem hatte er nicht erwartet, mich zu übernehmen, sondern nur den Wagen. So ging ich bei strömendem Regen vom Krankenhaus zum Bahnhof, ein Marsch von fast drei Kilometern, der Zug kam pünktlich, es hielt mich nicht in Borna, ich hoffte, meine Gedanken dortzulassen, doch in Leipzig angekommen, wo ich die Bahn am Wilhelm-Leuschner-Platz am südlichen Ende der Altstadt verließ, um die selbige bis zum Hauptbahnhof an ihrem nördlichen Ende gehend zu durchqueren, machte ich mir neue Gedanken, ich fragte mich, wo ich bin, ja, Leipzig ist mir ein Begriff, aber mehr nicht, ich ging wie ein Fremder, fast wie ein Außerirdischer durch die Stadt und beschloss, nicht zu bleiben, ein Begriff, dachte ich, die Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer gedanklichen Einheit, der geistige, abstrakte Gehalt von etwas, während der Zug aus dem Leipziger Hauptbahnhof ausrollte, in Erfurt stieg ich wieder aus, wieder stapfte ich durch die Stadt, über die Gera bis zum Dom und zurück, wieder war ich ein Fremder, es regnete übrigens wie in Strömen wie in Borna, während der Regen in Leipzig Pause gemacht hatte, wie ein Ferngesteuerter betrat ich den Bahnsteig, bestieg den Zug, der Zug rauschte mit fast dreihundert Kilometern pro Stunde durch etliche Tunnels durch den Thüringer Wald, ist das der moderne Mensch, der durch die Gegend rauscht um niemals anzukommen, und wenn er ankommt, ist er ein Fremder, fast wäre ich in Nürnberg, dem nächsten Halt, ausgestiegen, um wieder ein Fremder zu sein, aber ich ließ es sein, ich blieb im Zug und fuhr weiter nach München, in der Hoffnung, dort kein Fremder zu sein, aber auch hier war ich ein Fremder, diesen Gedanken machte ich mir zumindest, ich war müde und erschöpft und hatte keine Lust mehr, mir Gedanken zu machen, aber ich machte sie mir, da kam ich an einem sprudelnden Born vorbei, ich wusch mir das Gesicht und fühlte mich zuhause, ich merke jetzt, wo ich das schreibe und mir wieder Gedanken mache, dass zuhause der falsche Begriff ist, ein abstrakter geistiger Gehalt, der an meinem Leben vorbeigeht.

Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna…

Prinzessin aus dem Osten

Im Zentrum ist die Residenz, sowieso, im Norden Schloss Schleißheim, im Westen Schloss Nymphenburg, im Süden Schloss Fürstenried. Nur im Münchner Osten, wo du geboren und aufgewachsen bist, wo du lebst, gibt es kein Schloss. Bist du trotzdem die Prinzessin aus dem Münchner Osten? Oder bist du die Proletin aus dem Münchner Osten, die gerne Prinzessin wäre, und ich der dahergerittene selbsternannte Prinz, der dir ein Schloss im Münchner Osten baut?

Letzte Nacht träumte ich, die Kreillerstraße entlangzugehen, diese breite Aus- und Einfallschneise des Münchner Ostens. Im flachen Sonnenlicht des Morgens erschien sie mir wie eine königliche Allee. Mein Flanieren führte mich an der Behr-Villa vorbei, Hausnummer 25. Ich sah dich am Fenster stehen, und für einen Moment dachte ich: Das ist es, das Schloss im Münchner Osten, in dem meine Prinzessin wohnt. Ich ging unter dein Fenster, und du sprangst mir mit deinem weiten weißen Kleid entgegen, direkt in meine Arme. Das war eine Realität, die meinen Traum beinahe beendet hätte.

Doch wir landeten nicht hart, sondern federten und schwebten gemeinsam auf die Kreillerstraße, auf unsere königliche Allee, und gingen weiter, ostwärts. Wir gingen mit unseren kleinen menschlichen Schritten, die sich groß anfühlten, wie ein Larghetto, ja jemand spielte das Larghetto aus Händels Concerto Grosso in A-Moll und begleitete unseren Gang:

Ich fragte mich, wo wir hingehen, und ich fragte mich nicht, denn es war klar, dass wir nach Osten gehen, es kann nie östlich genug sein mit dir, du Prinzessin des Ostens, du Prinzessin der aufgehenden Sonne.

Mich beschlich eine Ahnung, dass dieser Traum zu Ende gehen soll, dass es Zeit ist, die Augen zu öffnen und in der Realität anzukommen. Ist die Kreillerstraße nicht eine der häßlichsten Straßen Münchens, eine Straße im Münchner Osten, an der kein Schloss steht? Wann geht diese Täuschung vorbei, um mich zu enttäuschen?

Der Traum ging nicht vorbei. Wir gingen immer weiter diese königliche Allee entlang, der aufgehenden Sonne entgegen, und ich dachte mir: Was braucht der Münchner Osten ein Schloss, wenn er eine Prinzessin hat?

Nachtweining

Die Legende besagt, dass eine Münchnerin sich verirrte und im Dorf Taglaching, etwa dreißig Kilometer östlich von München gelegen, strandete. Sie sah und hörte die Leute im Dorf lachen und dachte: Nomen Est Omen – kein Wunder, dass im Dorf Taglaching die Leute viel lachen. Das Lachen der Leute um sie gefiel ihr. Sie beschloss zu bleiben und quartierte sich im örtlichen Wirtshaus ein.

Es kam der Abend, und dann die Nacht über Taglaching, und in der Nacht hatte die Gästin aus München ein bitteres Erwachen – denn in der Nacht, das ist die Kehrseite von Taglaching, in der Nacht weinen seine Bewohner bitterlich. Deshalb heißt Taglaching Taglaching und nicht nur Laching – der Name impliziert das nächtliche Weinen. Nach einer schlaflosen Nacht, in der sie schließlich selbst bitterlich zu weinen angefangen hatte, verließ die Gästin das Dorf.

Sie erzählte FreundInnen in München von ihrem nächtlichen Erlebnis in Taglaching, und eine FreundIn regte an, in Taglaching digitale Ortsschilder aufzustellen, die in der Nacht nicht Taglaching, sondern Nachtweining anzeigen. Eine andere FreundIn meinte, das würde nichts bringen, denn man müsse tagsüber, im größten Lachen, gewarnt werden, dass in der Nacht das große Weinen einsetzt, weshalb sie vorschlage, Ortsschilder mit dem Doppelnamen Taglaching/Nachtweining anzubringen.

Vielleicht, meinte schließlich die aus Taglaching zurückgekehrte und vom lachenden Tag und von der weinenden Nacht noch gezeichnete, vielleicht sollte Taglaching überhaupt nicht Taglaching heißen – vielleicht wäre dann Schluss mit dem zeitgebundenen Gelache und Geweine.

Cocker Daniel

Viele wissen nicht, dass Joe Cocker einen Sohn mit einer Münchnerin hatte. Doch die, die es wissen, wissen, dass dieser Sohn Daniel heißt.

Daniel Cocker wuchs in München auf und lebt heute noch dort. Früher sah man ihn oft mit seinem Cocker Spaniel durch die Stadt laufen, und die ihn erkannten, sagten: Schaut’s hin – da läuft der Cocker Daniel mit seinem Cocker Spaniel.

Oft hörte man die zwei auch durch die Straßen laufen, weil Daniel gerne den Song N’Oubliez Jamais I Heard My Father Say seines Vaters sang, während der Spaniel seinen Gesang bellend begleitete.

Man hat die zwei nun schon länger nicht mehr durch die Stadt laufen gesehen und singen gehört, und es ist anzunehmen, dass der Cocker Spaniel verstorben ist.

Gefühlssüchtig

Liebe die süchtig macht ist keine Liebe
Anne Wilson Schaef

die Sonne geht auf
ich denke an dich
die Kaffeetasse
ich denke an dich
ich will dich so
es ist als ob ich meinen Verstand verliere

der Morgen endet
ich denke an dich
ich rede mit Freunden
und denke an dich
und wissen sie es?
es ist als ob ich meinen Verstand verliere

den ganzen Nachmittag
verrichte ich die täglichen Dinge
die Gedanken an dich sind immer mit mir
manchmal bleibe ich unvermittelt stehen
gehe nicht links, gehe nicht rechts

ich dimme das Licht
und denke an dich
verbringe schlaflose Nächte
um an dich zu denken
du sagtest du liebst mich
oder warst du nur nett?
oder verliere ich meinen Verstand?