Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Unange Nehm

Es wäre einfach, zu einfach, die folgende Geschichte dem Wortspieler Günter Nehm anzudichten. Doch soviel man weiß, hatte er keine Tochter die an Anämie litt und wie ein blasser Engel erschien, auch Albert Nehm hatte keine solche Tochter, und bei Albert Nehm, so viel kann man sagen ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wäre es noch unwahrscheinlicher, dass er die Krankheit seiner Tochter mit einem unangebrachten Wortspiel ausgedrückt hätte. Bliebe noch Eduard Nehm, doch auch bei ihm weiß man nichts von einer blassen Tochter, sondern nur von einem Sohn, dessen Blässe oder Nichtblässe hier nicht näher ausgeführt werden soll, und doch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass ein gewisser Nehm seine Tochter, die an Anämie litt und ihm wie ein blasser Engel erschien, dass dieser Nehm seine Tochter Unange nannte. War dieser Nehm ein frankophiler Mensch, der seine an Anämie leidende Tochter aufgrund ihrer Blässe Un Ange (einen Engel) nannte, oder war ihm die Blässe seiner Tochter lediglich unangenehm, und er nannte sie deshalb Unange, weil ihr voller Name dann das Adjektiv unangenehm ergab, was die Gefühle ausdrückte, die er gegenüber seiner Tochter empfand?

So viel ist sicher: Dieser Nehm lebt nicht mehr, und auch von seiner Tochter, deren Existenz sich hartnäckig als Gerücht hält, ist nichts bekannt. Ist sie vielleicht nach Frankreich gezogen, um dort als blasser Engel ein ruhiges Leben zu führen, anstatt in Deutschland ein unangenehmes?

Wir werden die Wahrheit nie erfahren, und vielleicht wollen wir das gar nicht.

Kommen

Es stehen aufgereiht der Sohn und der Vater, was ungewöhnlich ist, denn normalerweise würde geschrieben: Es stehen aufgereiht der Vater und der Sohn, aber der Sohn steht vor dem Vater, und es kann doch nicht verlangt werden, dass der Sohn nicht vor sondern nach dem Vater steht, nur damit geschrieben werden kann, was normalerweise geschrieben wird: dass der Vater vor dem Sohn steht.

Demgegenüber ist einzuwenden, dass der Sohn der Nachkomme des Vaters ist, und deshalb nach dem Vater zu stehen hat. Woraus geschlossen werden kann, dass der Vater der Vorkomme des Sohnes ist und vor dem Sohn zu stehen hat. Der Vater soll also vor den Sohn kommen, damit die Dinge so sind, wie sie geschrieben werden sollen.

Nun wenden manche ein, dass die Einführung des Substantivs Komme in diesem Kontext irreführend sei, sei es als Vor- oder Nachkomme. Was ist denn ein Komme? Einer der kommt. Einer der Anwesenden versteht irrtümlich: Einer der kämmt, holt daraufhin reflexartig seinen Kamm aus der Tasche und beginnt sich zu kämmen, was irritiert, aber von der Diskussion nicht in dem Maß ablenkt, dass sie nicht fortgesetzt werden kann.

Das Substantiv Komme kommt also vom Verb kommen, und einer meint, dass kommen nicht stehen bedeute, er erntet mit dieser Aussage sowohl Zustimmung als auch fragende Blicke, weshalb er weiter ausführt, dass es egal sei, ob der Vorkomme vor oder nach dem Nachkommen stehe und umgekehrt, denn ein Komme, so er als solcher bezeichnet wird, kann nicht stehen, sondern nur kommen. Kann also ein Vorkomme nur vorkommen und keinesfalls nachkommen und ein Nachkomme nur nachkommen und keinesfalls vorkommen? lautet die Anschlussfrage des Vortragenden, die er sich selbst bejaht und daraufhin konkludiert: Der von uns verlangte Vorgang, dass der Vater als Vorkomme vorkommt, ist ein zwingender Vorgang, damit der Vater als Vorkomme bezeichnet werden kann.

Es setzt zustimmendes Geraune ein, aus dem eine leichte Genervtheit herauszuhören ist, doch der Vortragende, der seine Stimme zum Vortrag erhoben hat, senkt sie nicht, sondern lässt sie oben und fragt: Sollte der Vater als Vorkomme nicht vorkommen sondern nach dem nachkommenden Sohn bleiben – ist das ein besonderes Vorkommnis? Oder ist ein Vorkommnis immer besonders und es gibt keine normalen Vorkommnisse?

Das Potor des Notors

Als Mittelfeldmotor bezeichnet man im Fußball einen Spieler, der aus der Mitte des Feldes das Spiel nach vorne treibt, die Laufwege seiner Mitspieler erkennt und sie mit Pässen versorgt, die für Torgefahr sorgen. Im modernen Fußball, der von Trainern wie Pep Guardiola geprägt wurde, besteht eine Mannschaft aus elf Motoren, die von überall auf dem Feld das Spiel antreiben, den Ball in Zirkulation halten und so den Gegner unwichtig machen, denn wenn der Gegner den Ball nicht hat, kann er dem dynamischen Treiben nur hechelnd zuschauen.

Er, von dem nun zu reden sein wird, ist kein Motor, kein Mittelfeld- und auch kein Verteidigungs- oder Angriffsmotor, er ist eher ein Randrotor, der vom Rand des Spielfelds das Spiel entzündet, wenn es in seiner Schönheit zu ersticken droht. Er springt dann von der Ersatzbank auf, wild gestikulierend, wie ein Rotor, der Energie erzeugen will. Er ruft Schlachtrufe zu den Spielern, wenn sie ihm zu viel spielen, denn sie sollen kämpfen, Taktik ist für ihn überflüssiges Geplänkel, das Spiel darf nicht gespielt, sondern muss gekämpft werden. Wenn seine Schlachtrufe dem Spiel nicht weiterhelfen, entschließt sich der Trainer oft dazu, ihn in das Spiel einzuwechseln, er gibt also das Spiel auf, um es durch ihn zu einem Kampf zu machen.

Ist er dann auf dem Spielfeld, hetzt er den Gegnern hinterher, der Ball ist ihm dabei nicht so wichtig, weil er ihn oft gar nicht trifft, er meint dazu, im Zweifel sei es ihm wichtiger, den Gegner als den Ball zu treffen, sei es mit physischen oder auch mit psychischen Mitteln. Aufgrund dieser Spiel-, nun ja, eher aufgrund dieser Kampfweise, hat er sich den Ruf des Notors erworben, weil er den Gegnern notorisch hinterherjagt, auf eine nie ermüdende Weise, notorisch eben, die diese ermüdet, aber auch weil er, fällt der Ball ihm mal in der Nähe des Tores vor die Füße, er noch nie in dieses getroffen hat. Ein No-Tor-Kämpfer, der durch seine Notorik es anderen ermöglichen soll, ein Tor zu erzielen.

Vor kurzem war er wieder in ein Spiel eingewechselt worden, weil das Spiel zu einem Kampf ausgeartet war. Die gegnerische Mannschaft bestand aus elf Notoren, sodass sich der Trainer gezwungen sah, ihn zu bringen, um dagegenzuhalten. Sofort warf er sich ins Getümmel: Bei einem Gestocher vor dem Tor des Gegners flipperte der Ball hin und her, bis er ihm, dem eingewechselten Notor, auf den Po prallte und von dort ins Tor kullerte. Der Notor hatte sein erstes Tor erzielt: Es war ein Potor.

Frühfrühling, Spätsommer, Hochherbst und die Struktur in der Unordnung

Als Kind, sagt Vorderbrandner, spürte ich große Unordnung in mir. Deshalb wollte ich Ordnung schaffen und liebte es, Tabellen zu erstellen. Vor kurzem, beim Durchsehen meiner Reliquien, entdeckte ich meine Jahreszeitentabelle. Darin gliedere ich das Jahr in Jahreszeiten, und den Jahreszeiten ordne ich Monate zu. Ich beginne das Jahr wie die alten Römer mit dem März und ende es mit dem Februar. März, April, Mai – der Frühling, unterteilt in Frühfrühling (März), Hochfrühling (April) und Spätfrühling (Mai). Diese Systematik setze ich im Sommer, Herbst und Winter fort. Den Juli nannte ich übrigens Quintilis, den Fünften, wie er bei den alten Römern hieß, als fünfter Monat vom März an gerechnet, und den August Sexitilis, den Sechsten. Erst später nannten die Römer diese beiden Monate Juli und August zu Ehren der Kaiser Julius Cäsar und Augustus. Ich war sehr zufrieden mit meiner Tabelle, und besonders stolz auf die neuen Wortschöpfungen Frühfrühling und Hochherbst.

Die Jahreszeitentabelle

So erlebte ich die Jahreszeiten in strukturierter Weise, und wenn sich die Unordnung in mir regte, die sich in Form von starken emotionalen Ausschlägen äußerte, konnte ich mich an dieser Struktur festhalten, an dieser zeitlichen Struktur, die meine emotionalen Ausschläge vorüberziehen ließ.

Ich erinnere mich an einen der letzten lauen Abende im Spätsommer, ich war wohl acht oder neun Jahre alt. Meine Eltern waren ausgegangen, meine Schwester war auch nicht zu Hause. So bringt mich meine Großmutter ins Bett. Um punkt neun macht sie das Licht aus, obwohl es draußen noch gar nicht dunkel ist. Sie geht aus dem Zimmer und lässt mich alleine. Ich weiß: Sie wird nicht wieder ins Zimmer kommen und schauen ob ich schlafe, sondern sich selbst hinlegen. Ich warte ein paar Minuten und schleiche leise aus dem Zimmer in den Gang, von dort die Treppen hinunter und ins Freie. Ich bin aufgeregt, die Dämmerung zu erleben. Vorsichtig gehe ich Richtung Wald, bei jeder Hecke Schutz suchend, damit mich niemand entdeckt. Im Wald ist es ruhig, selbst die Vögel singen um diese Jahreszeit kein Abendlied mehr. Ich setze mich auf ein Moosbett und schaue andächtig zu den Kronen der mächtigen Bäume hoch: So ist also der Sommer im Wald, in der Dämmerung.

Als die Dämmerung kurz davor ist, der dunklen Nacht Platz zu machen, wird es merklich kühler. Ich beginne leicht zu zittern in meinem Knabenkörper, der nur in einem dünnen Schlafanzug steckt. Außerdem spüre ich die Unordnung in mir hochsteigen. Führt das Erlebnis der Jahreszeiten in der Natur nicht in die geordnete Struktur, sondern ins Chaos? Ich renne so schnell ich kann nachhause, und als ich mein Zimmer erreicht habe, fühle ich mich in Sicherheit. Aber die Sicherheit ist trügerisch: Die Unordnung in mir ist nicht verschwunden. Sie kommt noch intensiver hoch, mit Tränen in den Augen. Soll ich wieder in den Wald laufen?

Panisch greife ich zu einer CD mit einer Aufnahme von Vivaldis Vier Jahreszeiten, die ich vor ein paar Tagen vom Regal meiner Eltern genommen habe, in der Absicht, meiner jahreszeitlich strukturierten Ordnung ein musikalisches Fundament zu geben.

Die Aufnahme beginnt mit dem Winter. Ich bin zu erstarrt, um den Player zu bedienen und den Sommer abzuspielen. In mir ist Winter, und ich bin froh und erleichtert, dass die Musik in meine emotionale Unordnung kommt. Sie wirbelt die Unordnung einerseits auf, machte sie andererseits aber auch aushaltbar. Sie trägt mich durch sie. Draußen ist Sommer und in mir ist Winter. Die Kälte, die Starre. Ich krieche unter meine Decke und bin froh, der Kälte entronnen zu sein. Vielleicht bringt die Geborgenheit der Nacht sogar Wärme in mich.

Geh vorsichtig!

Vorsicht ist beim Vorwärtsbewegen eine Voraussetzung für sicheres Vorankommen. So wie Rücksicht beim Rückwärtsbewegen. Ich erwähne das nicht nur, weil wir Menschen die Augen vorne am Kopf tragen und die Vorsicht unsere natürliche Sicht ist, sondern weil ich jemanden, obwohl er ein Mensch ist, zur Vorsicht ermahnen musste.

Ein dynamisches Szenario im Straßenverkehr, viel zu komplex eigentlich, um es in starre Worte zu fassen. Eine städtische Kreuzung, an jeder Ecke von Häusern gesäumt, ständig von Menschen zu Fuß, auf dem Fahrrad, auf dem E-Roller oder im Auto durchquert. Ich komme von Norden mit dem Fahrrad, um nach rechts, nach Westen, abzubiegen, ein relativ unkritisches Manöver. Ich durchquere die Kreuzung nicht, ich überquere nicht einmal die Straße, ich schleiche nur am nordwestlichen Rand entlang. Eine kurze Rücksicht, um wegen eventuell straßenquerender Fußgänger anzuhalten, eine kurze Seitsicht nach links, um nicht mit Nichtachtenden von links zu kollidieren, und bei dieser Seitsicht das unerwartete Szenario vor mir: Ein rücksichtiger Fußgänger überquert vorwärtsgehend die Straße von Süd nach Nord, er läuft mir direkt ins Fahrrad ohne es zu sehen, weil er rückwärts schaut. Er schaut zu einem stehenden Auto, das auf der anderen Straßenseite in zweiter Reihe steht, an dessen Steuer eine Person sitzt. Von diesem Auto geht er gerade weg und ruft der Person am Steuer zu: Fahr vorsichtig!, währenddessen er mir rücksichtig ins Fahrrad läuft. Ich bremse und rufe ihm sponan zu: Geh vorsichtig!, woraufhin er den Kopf dreht und vorsichtig – nicht geht, sondern steht.

Was lernen wir daraus: Rate Niemandem, vorsichtig zu sein, wenn du selbst rücksichtig bist. Mann könnte ergänzen, dass man bei Rücksicht Vorsicht walten lassen sollte, denn von uns Menschen wird aufgrund unserer Anatomie der vorwärtsgerichteten Augen erwartet, dass wir uns vorsichtig und nicht rücksichtig bewegen.

Krank in Kallstadt

Vorderbrandner, dessen Aufenthaltsort mir seit einiger Zeit unbekannt gewesen war, hat mir vor einigen Tagen eine Nachricht übermittelt, in der er schreibt, er sei im Exil, er schreibt, er sei ein heterosexueller weißer Mann und fühle sich unwohl in seiner bleichen Haut, er fühle sich einer Minderheit angehörig, die von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werde, einer Minderheit, die über die Jahrhunderte großen Schaden angerichtet habe und die für diesen Schaden, den sie angerichtet hat, nun büßen muss.

Außerdem stellt er in seinem Exil gerade fest, dass er sich zum Weiblichen extrem hingezogen fühle, nicht weil er ein schlechter Mann sein wolle, sondern weil er das Weibliche verehre, er sei eben ein heterosexueller Mann, und durch sein Testosteron könne er das Weibliche von Weitem riechen, er müsse ihm nachgehen, davon halte ihn auch das Exil nicht ab, das Exil, für das er die Pfalz gewählt habe, er wisse nicht warum, er sei einfach in die Pfalz gefahren und halte sich im Moment in der Nähe von Bad Dürkheim auf, in einer Ortschaft namens Kallstadt, und erst als er in Kallstadt angekommen sei habe er von einer lokal ansässigen Frau, die er erspürt habe, erfahren, dass hier der Großvater und die Großmutter von Donald Trump geboren seien, von Donald Trump, der auch meiner Spezies angehört, der Spezies des weißen heterosexuellen Mannes, die großen Schaden angerichtet habe, ich weiß nicht wieso ich genau in Kallstadt gelandet bin, aber ich bin nun mal in Kallstadt und werde hier bis auf Weiteres bleiben, schreibt Vorderbrandner, ich habe ein Lied gefunden, das zu meiner Situation passt, schreibt er weiter, und ich tanze ekstatisch zu seinem Rhythmus, bis ich mich selbst wieder gefunden habe, ich mich nicht mehr krank fühle und meine Existenz soweit akzeptieren kann, dass ich mich als Minderheit in die Gesellschaft da draußen wieder eingliedern kann:

Chaosmose

Am hellen Tag fiel ich in tiefen Schlaf, die Sonne schien auf mein Gesicht und erhellte meine Welt, eine andere Welt als die die ich bisher kannte, ich erfand mich neu ohne dass ich es wollte, etwas befreite mich von dem was ich sein zu müssen glaubte, es war, als ob ich mir selbst entkam um neu geboren zu werden:

Wenn am sprudelnden Wasser des Borns…

Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna. Während der Fahrt hatte ich viel Zeit, mir Gedanken zu machen, und so machte ich mir den Gedanken, dass Borna die weibliche Form von Born ist, wobei Born, das habe ich gerade eben recherchiert, die historisierend-poetische Bezeichnung für einen Brunnen ist, wonach eine Borna ein weiblicher Born wäre, eine Brunnena. Zugleich fiel mir jedoch in den Gedanken, den ich mir gemacht hatte, ein anderer Gedanke, nämlich dass es einen professionellen Fußballspieler gibt, der Borna Sosa heißt. Borna ist also kein weiblicher Brunnen, sondern ein männlicher Vorname.

Borna erreichte ich über die Autobahn bei strömendem Regen, ich fuhr ins dortige Krankenhaus, um meinen Wagen einem Arzt zu übergeben, ich fragte den Arzt, ob ich selbst mich ihm auch übergeben kann, ich erläuterte ihm, wie mich die Gedanken, die ich mir mache, quälen, er sagte, er sei kein Gedanken-Arzt, und außerdem hatte er nicht erwartet, mich zu übernehmen, sondern nur den Wagen. So ging ich bei strömendem Regen vom Krankenhaus zum Bahnhof, ein Marsch von fast drei Kilometern, der Zug kam pünktlich, es hielt mich nicht in Borna, ich hoffte, meine Gedanken dortzulassen, doch in Leipzig angekommen, wo ich die Bahn am Wilhelm-Leuschner-Platz am südlichen Ende der Altstadt verließ, um die selbige bis zum Hauptbahnhof an ihrem nördlichen Ende gehend zu durchqueren, machte ich mir neue Gedanken, ich fragte mich, wo ich bin, ja, Leipzig ist mir ein Begriff, aber mehr nicht, ich ging wie ein Fremder, fast wie ein Außerirdischer durch die Stadt und beschloss, nicht zu bleiben, ein Begriff, dachte ich, die Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer gedanklichen Einheit, der geistige, abstrakte Gehalt von etwas, während der Zug aus dem Leipziger Hauptbahnhof ausrollte, in Erfurt stieg ich wieder aus, wieder stapfte ich durch die Stadt, über die Gera bis zum Dom und zurück, wieder war ich ein Fremder, es regnete übrigens wie in Strömen wie in Borna, während der Regen in Leipzig Pause gemacht hatte, wie ein Ferngesteuerter betrat ich den Bahnsteig, bestieg den Zug, der Zug rauschte mit fast dreihundert Kilometern pro Stunde durch etliche Tunnels durch den Thüringer Wald, ist das der moderne Mensch, der durch die Gegend rauscht um niemals anzukommen, und wenn er ankommt, ist er ein Fremder, fast wäre ich in Nürnberg, dem nächsten Halt, ausgestiegen, um wieder ein Fremder zu sein, aber ich ließ es sein, ich blieb im Zug und fuhr weiter nach München, in der Hoffnung, dort kein Fremder zu sein, aber auch hier war ich ein Fremder, diesen Gedanken machte ich mir zumindest, ich war müde und erschöpft und hatte keine Lust mehr, mir Gedanken zu machen, aber ich machte sie mir, da kam ich an einem sprudelnden Born vorbei, ich wusch mir das Gesicht und fühlte mich zuhause, ich merke jetzt, wo ich das schreibe und mir wieder Gedanken mache, dass zuhause der falsche Begriff ist, ein abstrakter geistiger Gehalt, der an meinem Leben vorbeigeht.

Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna…