Infidelia ziert sich

Zunächst sei Folgendes erwähnt: Ein Virus kam um die Ecke und wollte Infi zieren, doch Infi zierte sich, sich mit dem Virus zu zieren. Das kann man als Wortspiel ohne Sinn abtun, da Infi gar nicht Infi, sondern Infidelia heißt, womit das Wortspiel mit infizieren gar nicht mehr möglich ist, worauf sich Infi meldete und meinte, ein Virus könne sie ruhig zieren, weil sie sich ohnehin krank fühlt, seit ihrer Geburt sei sie ein krankes, moralisch verwerfliches Wesen. Ihre Mutter, sagt Infi, bezeichnet sich selbst als eine Hure, ihre Mutter sagt, Hure bedeute lieb und begehrlich, was für sie als Frau ein großes Kompliment sei, deshalb habe sie beschlossen, sich selbst als Hure, Infis Bruder als Hurensohn und Infi als Hurentochter zu bezeichnen. Ich, sagt Infi jedenfalls, bin aus einer Affäre meiner Mutter mit einem Engländer entstanden, der kurz nach meiner Zeugung zu meiner Mutter sagte: Your infidelity makes me sick, I don’t want to see you anymore! Meine Mutter sagt, das gefiel ihr, dass ihn ihre Untreue, ihre Infidelity, krank machte, denn Krankheit sei das Ehrlichste was es gibt, zu ehrlich, um geliebt zu werden, aber gerade deswegen liebe sie sie. Einmal hatte meine Mutter heftige Zahnschmerzen, erinnert sich Infi, und sie sagte: Danke Welt, dass du mich erinnerst, dass ich ein kleiner Mensch bin, der nicht so verbissen sein sollte!

Meine Mutter wollte mich Huora nennen, sagt Infi, nannte mich dann aber Infidelia, aufgrund der Aussage des Engländers, meines Vaters. Lange wollte ich Fidelia heißen, denn durch die Hurerei meiner Mutter erschien mir Treue als etwas sehr Erstrebenswertes. Außerdem bedeutet fidel in der deutschen Sprache nicht vorrangig treu, sondern vor allem lustig und vergnügt. Eine meiner liebsten Weisen lautet: Ich bin fidel, ich bin fidel, bis dass der Teufel holt meine arme Seel.

Als ich das meiner Mutter vorspielte, war sie kurz am Hadern, ob sie mich nicht doch Fidelia hätte nennen sollen. Oder Fidelia Huora, meinte sie in ihrer Euphorie: Was für ein wundervoller Doppelname!

Mittlerweile bin ich jedoch sehr zufrieden mit meinem Namen, weiß ich doch, dass die Untreue die Treue, der Kummer die Vergnügtheit, die Krankheit die Gesundheit einschließt und umgekehrt, weiß ich doch, dass das Leben alles einschließt, weshalb ich es leben will bis zum Tod.

In Zeiten des Krieges

Ich hatte mich noch einmal in die Stadt gewagt. An den leeren Regalen in den Läden erkannte ich: Jetzt ist der Krieg da! Ich habe es immer gewusst: Er war nie wirklich weg, war immer da, hat sich als Trauma tief vergraben in den Tiefen des körperlichen Gedächtnisses, als Trauma, das nie mehr hochgeholt wird, sondern auf dieser tiefen Ebene weitergegeben wird, klammheimlich, und doch mit einer Eindrücklichkeit, die berührt und aufrührt.

Da war er also, der Krieg, in den leeren Regalen, verleihte sich Ausdruck, endlich war ein Grund da, um ihn ausbrechen zu lassen, ich wusste, ich muss raus aus der Stadt, mich zurückziehen auf meinen einsamen Hof, wo ich alles habe, ein paar Tiere, ein paar Hektar Wiese, Obst- und Gemüsegarten, einen kleinen Wald. Sogar eine kleine Mühle am Bach. Nur Getreide habe ich nicht. Das hat mein Nachbar, der hat Felder weiter unten in der Ebene. Ich bekomme Getreide von ihm, dafür bekommt er Holz aus meinem Wald. Was tun, wenn er mir kein Getreide mehr gibt? Vielleicht ist jetzt, in Zeiten des Krieges, die Zeit gekommen, um eigenes Getreide anzubauen. Aber dazu brauche ich das Land des Nachbarn.

Ich kam zuhause am Hof an, der Hund bellte, etwas trieb mich, in Zeiten der Not, in Zeiten des Krieges, da ist es doch gerechtfertigt, an sich zu denken. Jeder ist sich selbst am nächsten. Ich holte mein Gewehr aus dem Schrank und tötete meinen Nachbar mit einem trockenen Schuss.

Jung und Frivol (ein Plädoyer für den Frühling)

Ich hatte den Anfang verpasst, ich war bereits unterwegs: mit Weidmann. Wir fuhren mit einem Bus, ich glaube, es war Weidmanns Bus, seltsam war nur, dass ich am Steuer saß und Weidmann Beifahrer war. Sonst war niemand im Bus, glaubte ich zumindest, aber Weidmann drehte sich immer wieder um, so als wäre jemand im Bus, so dass ich plötzlich das Gefühl hatte, Wendla, Moritz und Melchior wären im Bus, es fühlte sich an wie Frühlingserwachen, obwohl es dunkel war und ich keine Blumen auf der Wiese sehen konnte, nein, ich sah nur den Asphalt im Scheinwerferkegel vor mir.

Weidmann sprach davon, dass wir auf keinen Fall anhalten dürfen, auf keinen Fall, er sagte aber nicht warum, vielleicht fuhren wir von Italien nach Deutschland, durch Österreich, wo wir ja nicht anhalten dürfen, das wusste ich, aber ich dachte nicht an Tankinhalt und Harndrang, die uns zum Anhalten zwingen könnten, diese Gedanken kamen mir überhaupt nicht in den Sinn, ich konzentrierte mich auf den Scheinwerferkegel vor mir, auch Weidmann drehte sich nicht mehr um, zu Wendla, Moritz und Melchior, sondern konzentrierte sich auch auf den Scheinwerferkegel vor uns.

Vermutlich wären wir ohne Anhalten durch Österreich gekommen, als sich die Fahrbahn plötzlich teilte, nach links in ein bläulich kaltes dunkles Licht und nach rechts in ein gelblich warmes helles Licht, und mir war klar, dass für ein Weiterfahren ein Eintauchen in das bläulich kalte dunkle Licht erforderlich gewesen wäre, aber ich hatte Angst, in das bläulich kalte dunkle Licht einzutauchen, wie unter Zwang steuerte ich nach rechts, ins gelblich warme helle Licht, wo uns eine Polizeikontrolle erwartete, das war keine Überraschung, das war völlig klar, ich war willentlich in diese Kontrolle gefahren, obwohl wir doch gar nicht anhalten dürfen, ich sah Weidmann an, und er sah mich an. Ich drehte mich um, aber im Bus saßen nicht Wendla, Moritz und Melchior. Der ganze Bus war eine ebene Fläche, auf der sich niemand befand, nur ein kleines gelbes Büchlein, das sogleich von den Polizisten beschlagnahmt wurde. Solch verwerfliche Ware müssen wir konfiszieren! lautete die Ansage. Ich verstand nicht, von was die Rede war, bis mir einer der Polizisten das Büchlein unter die Nase hielt. Ich las:

Emil Hinterstoisser
Jung und Frivol
ein Plädoyer für den Frühling

Sie zerrten mich aus dem Bus, packten mich:
Sie sind verhaftet!
Aber ich bin doch nur ein Mensch, der das Leben liebt. Lesen Sie das Buch, und Sie werden es verstehen!
Ich wehrte mich, doch sie ließen nicht los, und ich war froh, dass Wendla, Moritz und Melchior nicht im Bus waren, ich bildete mir ein, sie im Mondlicht über die Hügel laufen zu sehen. Frühlingserwachen, ist das schön, dachte ich, und mir kamen vor Rührung die Tränen. Weidmann stand wortlos da, was mich beruhigte, und so sagte ich:
Na gut, gehen wir.
Die Polizisten ließen mich los und schauten mich ratlos an. Ich ging den Asphalt entlang, hinunter zu den grauen Häusern, und sie folgten mir ehrerbietig. Als unser Trauerzug die grauen Häuser erreicht hatte, legte ich mein Schuldgeständnis in musikalischer Form ab:

Ort der Erörterung (ein Bericht von Stephan Katzert)

Ein Mensch namens Katzert stand plötzlich in der Tür, ich hatte ihn noch nie vorher gesehen, und Katzert sprach davon, dass er es gut finde, dass ich die Nachsilbe ert in meine Texte aufgenommen habe: Ert sage soviel mehr als sein übliches Substitut Menge, ein Menschert sei viel plastischer als eine Menschenmenge. Wie man an meinem Nachnamen erkennt, komme ich aus einer Gegend, in der die Nachsilbe ert viel verwendet – ja, ich möchte fast sagen – exzessiv verwendet wird, sagte Katzert. Wobei man in meiner Gegend dem trockenen Menschert noch ge voran- und er zwischenfügt, um es blumiger lauten zu lassen: Man spricht vom Gemenscherert.

Er sei nicht verwandt mit einem gewissen Kratzert, der in derselben Gegend aufgewachsen sei, ja, sogar im selben Ort, das sei reiner Zufall, und das R in Kratzerts Namen mache einen großen Unterschied, so Katzert, denn sein Name bedeute Katzenmenge, was wohl auf ein Bauerngehöft mit vielen dort lebenden Katzen hinweist. Auf dem Katzengehöft, da hockt meine Familie schon seit Jahrhunderten, und alle erstgeborenen Männer heißen Stephan, seit Jahrhunderten, man möchte fast sagen, ein Stephanert, diese Katzerts, auch ich heiße so, Stephan Katzert, ja, Stephan Katzert im übrigen mein Name. Habe ich das bereits erwähnt?

Als Kind ging ich viel in die Kirche, mit meiner Mutter Maria ging ich hinein zur Messe, während mein Vater Stephan draußenblieb, um später zum Frühschoppen beim Kirchenwirt zu gehen. Stephan und Kirchen, das sind die zwei Worte, die mir einfallen, wenn ich an den Ort denke, wo ich aufgewachsen bin. Mein Großvater Stephan, den ich nur mit roter Nase kannte, kam nie zur Kirche, sondern ging gleich zum Kirchenwirt zum Frühschoppen. Wenn er nach dem Frühschoppen nachhause kam, schien mir seine Nase noch röter als sonst, er sprach dann oft vom Gemenscherert, das nach dem Krieg in den Ort kam und auf dem ehemaligen Kasernengelände wohnt. Komische Leute, alle miteinander, ein Gemenscherert halt, sagte Großvater Stephan. Mit denen kannst du nichts anfangen! Er meinte die Siedlung Haidholzen, die Heimatvertriebene nach dem Krieg gründeten, auf dem Gelände eines vormaligen Zwangsarbeitslagers. Mutter Maria wurde bei diesen alkoholgeschwängerten Reden von Großvater Stephan zornig und traurig, stürmte erbost aus dem Zimmer ins Schlafzimmer, um auf ihrem Bett einen Migräneanfall zu bekommen. Sie stammt selbst vom Gemenscherert, ist die Tochter von Heimatvertriebenen, und einmal hörte ich Großvater Stephan zu Vater Stephan sagen: Das verzeih ich dir nie, dass du so eine geheiratet hast, von diesem Gemenscherert. Schau an, wie krank sie dauernd ist! Ein andermal hörte ich Mutter Maria zu Vater Stephan sagen: Im Krieg hat er Leute erschossen, jetzt säuft er ohne Reue. Ich hasse deinen Vater! Als sie bemerkte, dass ich gelauscht hatte, machte sie drei Kreuze und bekam wieder einen Migräneanfall.

Als ich Vater Stephan fragte, was Großvater Stephan im Krieg gemacht hat und warum es Mutter Maria so schlecht geht, sagte er: Bub, wir haben es so schön hier – die Wiesen, die Wälder, der See, die Berge. Dabei blickte er traurig. Und dann lief er über die Wiesen und durch die Wälder, stundenlang, mit mir, und ich mache das heute noch, über Wiesen und durch Wälder laufen, stundenlang, so komme ich zu mir, und oft setze ich mich am See auf einen Stein oder an einen Baum, so wie mein Vater Stephan das oft gemacht hat, und schaue auf das Wasser, und manchmal weine ich, wenn ich auf dem Stein oder an einem Baum sitze und auf das Wasser schaue. Dann wird es leichter, denn ich bin auch ein Stephan, und manchmal ist es schwer, ein Stephan zu sein.

Katzert stand noch immer in der Tür, und sagte: Das wollte ich Ihnen sagen, über den Ort, wo ich herkomme, denn ich finde, ein Ort ist nicht einfach ein Ort. Ein Ort muss erörtert werden. Er wandte sich ab um zu gehen, drehte sich noch einmal um und sagte: Katzert mein Name, Stephan Katzert. Habe ich das bereits erwähnt? Und falls Sie meinen Text in Ihre Sammlung aufnehmen möchten, nennen Sie ihn bitte Ort der Erörterung. Das wäre mir wichtig.

weitere Erörterung…