Gelzer und Gürzer und das verlorene Geld

Was bisher geschah: Gelzer und Gürzer Teil 1

Gelzer fährt mit seinem Auto von Weichering nach Wasserburg zu Gürzer. Die letzten Meter der Hofeinfahrt rollt er ohne Motor, denn das Benzin ist ihm ausgegangen.

„Ich habe deinen Besuch nicht erwartet. Was ist passiert? Bringst du mir mein Geld in bar, anstatt es mir zu überweisen?“ begrüßt Gürzer Gelzer.

„Ich habe das ganze Geld verloren.“

„Wie bitte? Du hast dreißig Millionen Euro verloren?“

„Ja.“

„Wie konntest du dreißig Millionen Euro verlieren? Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Geld war für mich bisher immer einfach da. Wie die Nahrung für ein Tier, das durch die Gegend streunt und sie immer in Überfülle findet. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, woher das Geld kommt und wohin es geht.“

„Ich habe in hochspekulative Wettgeschäfte an der Börse investiert.“

„Du solltest mein Geld doch bloß verwalten und es nicht für hochspekulative Wettgeschäfte verwenden.“

„Verwalten. Was heißt verwalten! Geld muss sich vermehren, damit es sich lohnt!“

„Wieso müssen dreißig Millionen Euro sich vermehren? Wir haben vereinbart, dass du mir dreitausend Euro pro Monat bis an mein Lebensende bezahlst. Erst nach hunderten von Jahren wäre dir das Geld ausgegangen. Es wäre also genug für dich übrig geblieben. Wieso wolltest du es vermehren?“

„Geld verliert seinen Wert. Also muss es mehr werden, sonst steht man plötzlich ohne Geld da.“

„Ohne Geld stehst du auch jetzt da. Und ich mit dir. Doch ohne Geld geht es nicht, Gelzer. Wir müssen von irgendwoher Geld beschaffen. – Vielleicht gibt es ja jemanden, der uns Geld gibt, so wie ich dir dreißig Millionen Euro gegeben habe.“

„Es wird uns nicht irgendjemand Geld geben.“

„Ich habe es dir doch auch gegeben.“

„Ja, du hast es mir gegeben. Weil du mich kennst. Und weil du ein merkwürdiger und komischer Mensch bist.“

„Wirf mir nicht vor, dass ich dir das Geld gegeben habe. Du hast es schließlich gern genommen! – Ich kann nicht glauben, dass ich der einzige Mensch bin, der Geld besaß und keine Probleme damit hatte, es mit anderen zu teilen.“

„Vergiss das Gürzer! Es wird uns niemand einfach so Geld geben. Geld muss man sich verdienen, redlich verdienen.“

Redlich verdienen – was ist das denn für ein Ausdruck? Irgendjemand wird jetzt deine dreißig Millionen Euro haben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er oder sie sie redlich verdient hat.“

Gelzer macht ein betroffenes Gesicht, und Gürzer spricht weiter:

„Ich habe soeben beschlossen, dass ich niemanden suchen werde, der uns Geld gibt, denn du hast es verloren. Ich habe dir mein Geld gegeben, weil ich leben wollte wie ein Tier, ohne auf das Geld zu verzichten. Wenn ich es mir jetzt überlege, habe ich auch schon gelebt wie ein Tier, bevor ich dir das Geld gegeben habe. Zumindest was das Geld betrifft. Ich bin herumgestreunt und habe mir das Geld gepflückt wie ich es brauchte. Jetzt bin ich wie ein Tier, dass keine Nahrung mehr findet. Die überreiche Quelle ist plötzlich weg.“

„Ich könnte für dich arbeiten, da ich dir kein Geld mehr geben kann“, unternahm Gelzer einen zaghaften Lösungsversuch.

„Wie der Gast im Restaurant, der nicht bezahlen kann und dafür die Teller wäscht? Ich habe aber kein Restaurant, Gelzer. Überhaupt habe ich nie einen rechten Zusammenhang zwischen Geld und Arbeit gesehen. Sind die Banker und Kaufleute der Renaissance durch harte Arbeit zu ihrem Geld gekommen? Sind die Industriepioniere durch harte Arbeit zu ihrem Geld gekommen? Haben die eigentliche Arbeit nicht andere gemacht? Vielleicht ist es zwischendurch mal besser geworden, das Verhältnis zwischen Arbeit und Geld meine ich, aber jetzt scheint es sich wieder dahin zu entwickeln, wo wir einmal waren.

Was ist überhaupt Arbeit? Ich meine Arbeit, für die man Geld kriegt. Neulich hat man mir von einem Unternehmen erzählt, dass seine Mitarbeiter für Dampfplauderei entlohnt. Um sich das leisten zu können, müssen die, die bisher die sonstige Arbeit neben der Dampfplauderei erledigten, das Unternehmen verlassen. Die sonstige Arbeit wird jetzt in Ungarn verrichtet, weil man Ungarn weniger Geld zahlen muss als Deutschen. Ich könnte dich als Dampfplauderer anstellen, Gelzer, aber ich kann mir das nicht leisten. Wer macht die sonstige Arbeit, die uns leben lässt?“

Gelzer macht wieder ein betroffenes Gesicht, sodass Gürzer weiterspricht:

„Meine Väter und Großväter hatten nicht nur dieses Haus, in dem wir jetzt sind, sondern sie hatten viel Grund und Boden rundherum. Äcker und Wiesen und Wälder. Ich habe all diesen Grund und Boden verkauft. Es erschien mir praktischer, das Geld dafür zu haben. Mit Geld kann man alles kaufen was man will. Grund und Boden aber muss man bewirtschaften, bevor man etwas dafür erhält. Jetzt, ohne Geld, wäre es gut, wenn ich diesen Grund und Boden noch hätte, Gelzer. Ich könnte dich für mich arbeiten lassen. Du könntest Getreide, Obst und Gemüse anbauen, du könntest ein paar Tiere halten. Aber ich habe diesen Grund und Boden nicht mehr. Der Garten des Hauses ist zu klein für so eine Wirtschaft. Da kommen wir nicht weit.“

Gelzer hat sich neben Gürzer gesetzt und ihm wird immer betrüblicher darüber, dass er das ganze Geld verloren hat. Was soll man machen in dieser Welt, ohne Geld? Selbst wenn Gürzer noch Grund und Boden hätte – wie soll er damit Benzin erzeugen für die Rückfahrt nach Weichering?

Der Pianwar

ein Gedicht nach Eugen Roth:

Ein Mensch war immer Pianist,
doch weil er jetzt gestorben ist,
trägt man dem Rechnung: Lapidar
nennt man ihn nun den Pianwar.

 

 

Symmetrisches Gedicht mit tragischer Achse

Ein Mensch der sehr viel Pipi macht
und dabei immer herzhaft lacht,
ist leider tot seit gestern Nacht.
Der Mensch der immer herzhaft lacht,
seit gestern nicht mehr Pipi macht.

Agathe ohne Fenster

„Vor Monaten wollte ich dir die Geschichte von Agathe und dem Fenster erzählen (Agathe und das Fenster). Doch dann habe ich dir die Geschichte von Josefine und den Türen erzählt.“

„Ich glaube, du hast mir die Geschichte von Agathe und dem Fenster erzählt. Ich kann mich aber nicht mehr an sie erinnern. Erzähl sie mir nochmal!“

„Die Geschichte ist schnell erzählt: Agathe steht an ihrem Fenster, während ich ins Freie eines schönen Tages laufe, über grüne Wiesen und durch bunte Wälder. Doch Agathe, anstatt mitzukommen, schließt das Fenster hinter mir.“

„Das ist eine schöne und eine traurige Geschichte.“

„Findest du? Es ist eine eingebildete Geschichte. Denn Agathe ist nie am Fenster gestanden als ich von ihr ging und schon gar nicht hat sie es zugemacht. Ich bilde mir das nur ein.“

„Vielleicht willst du es dir einbilden. Steht das Fenster für etwas, das du zwischen Agathe und dich schiebst, damit es euch trennt?“

„Wieso sollte ich wollen, dass uns etwas trennt?“

„Keine Ahnung. Ich suche nach Gründen, warum du mir seit Monaten die Geschichte von Agathe und dem Fenster erzählen willst.“

„Gründe! Es gibt so viele Gründe, unendlich viele. Die ich noch nicht betreten habe.“

„Leg deine Scheu ab, diese Gründe zu betreten. Denk dir Agathe ohne das Fenster, ohne irgendetwas, das euch trennt.“

„Agathe ohne irgendetwas. Das ist gut. Das gefällt mir. Ich glaube, ich dringe zu den wahren Gründen meines Daseins vor.“