Gedanken zur Europawahl

München ist schwarz-grün-schwarz nach der Europawahl. In den westlichen und östlichen Stadtbezirken hat die schwarze Bürgerlichkeit der CSU die Mehrheit. In der Mitte, von Nord nach Süd, regiert die grüne Bürgerlichkeit der Grünen. Kein Rot der SPD mehr nirgends. Das schmerzt mich als traditionellen Sozialdemokraten. Ein Sozialdemokrat ist für mich ein bürgerlich angepasster Kommunist, der Gerechtigkeit predigt und vor dem Kapitalismus der Eliten warnt, sich aber trotzdem mit ihm arrangiert. So konnte ich mit dem Kreuz für rot bisher gut in dieser Gesellschaft leben: mein soziales Gewissen beruhigen und gleichzeitig vom (Geld-)System profitieren. Doch zurück zu den urbanen Grünen, die elektrobetriebene SUVs fahren. Ein Kreuz für grün ist moderne Gewissensberuhigung. Änderungen wollen wir nicht, hier im Wohlstandsgebiet. Höchstens mehr Geld. In Rom war nie Revolution, sondern an den Rändern des Reiches. Ich treffe sie im Biomarkt, die grünen Faschisten, die glauben, die Erde zu retten, während an ihren Rändern die Pole schmelzen. Moderne Väter mit Baby umgeschnallt dozieren mit modernen Müttern ohne Baby umgeschnallt. Soziale Kälte, die sich der Klimaerwärmung entgegenstellt. Hier, im Biomarkt, trifft sich die grüne Elite im Kampf gegen die Welt da draußen. Wohlstand bewahren mit einem Kreuz für grün. Das Geld, die moderne Religion, hält die Gesellschaft zusammen. Das Vertrauen in es ist unerschütterlich, obwohl es längst nichts mehr wert ist. Ein Volk von Ackerbauern, nicht mehr möglich. Zu viele sind wir Menschen, eine zu erfolgreiche Spezies, die die Erde übervölkert. Aber noch schwebt sie herum, die Erde, um die Sonne. Ein Blatt stirbt im Herbst und wird im Frühjahr geboren. Das Geld ist mir viel wert, weil es nichts mehr anderes gibt, was mir etwas wert sein könnte. Enttäuscht wende ich mich ab von der modernen Frau, die keinen Mann mehr braucht, sondern sich selbst genügt. Mein Traum von Nähe zwischen Mann und Frau, er ist ausgeträumt in diesem System der schwarz-grünen Eliten. Das habe ich von meinem bürgerlichen Kommunismus.

Schwarz-grün-schwarzes München
Im Biomarkt

Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg

Es war einmal eine Stadt, die bestand aus vier Stadtvierteln. Dann wurde eine Umlandgemeinde eingemeindet, und nun bestand die Stadt aus fünf Stadtfünfteln. Weil die ursprünglichen Stadtbewohner es aber gewohnt waren, von Vierteln zu sprechen, sprachen sie weiterhin von Vierteln statt von Fünfteln. Die Bewohner der eingemeindeten Umlandgemeinde fühlten sich wie das fünfte Rad am Wagen, weshalb die eingemeindete Umlandgemeinde wieder ausgemeindet wurde. Schließlich kann man nicht von Stadtvierteln sprechen, wenn man von Stadtfünfteln sprechen müsste. Die Realität dem Sprachgebrauch anzupassen erschien hier angebracht, denn ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg:

Björn Borg – eine schwedische Spießergeschichte

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten geheiratet und nannten sich fortan Herr und Frau Borg. Sie leisteten sich ein kleines Häuschen am Rande der Stadt, und in dem lebten sie auch. Sie wünschten sich zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, und die bekamen sie auch. Sie nannten ihre Kinder Jörn und Inge. Damit hatten sie alles erreicht, was sie im Leben erreichen wollten. Sie hätten nun genauso gut sterben können, aber es war halt so, dass sie lebten, und so mussten sie sich das Leben irgendwie vertreiben.

Zwecks dieser Vertreibung gingen sie eines Abends in das Kulturzentrum am Stadtrand, zum Tanzabend. Sie tanzten und tranken und später gingen sie in leicht angeheitertem Zustand nachhause. In diesem angeheiterten Zustand bestiegen sie beide ihr Ehebett und befanden es eine gute Idee, sich wieder einmal körperlich nahe zu kommen. Es kam zum Koitus in dieser Nacht des angeheiterten Zustands, und das muss deshalb gesagt werden, weil es nicht irgendein Koitus war, sondern ein Koitus, der das Leben von Herrn und Frau Borg, in dem doch alles nur noch seinem Ende entgegenzutrudeln schien, entscheidend änderte.

Zwei Monate später war es nämlich Gewissheit: Durch diesen Koitus war Frau Borg schwanger geworden.
„Johan!“ sagte Frau Borg zu ihrem Mann: „Wie konntest du nur so leichtsinnig sein! Du weißt doch, dass ich auf keinen Fall mehr ein drittes Kind wollte!“
„Ich leichtsinnig? Du hattest mir gesagt, du verhütest!“
„Habe ich auch. Aber es ist wohl schiefgegangen.“
„Schiefgegangen? Du hast einfach nicht darauf geachtet! Nach dem Motto: Wird schon nichts passieren!“
„Du hättest dir einen Gummi überziehen können, dann wäre nichts passiert!“
„Wieso soll ich mir einen Gummi überziehen, wenn du verhütest? Außerdem weißt du, dass ich es mit Gummi nicht so gern mag.“
„Hängt also wieder alles an mir! Wenn du schon keinen Gummi überziehst, dann hättest du ihn wenigstens rausziehen können bevor du abspritzst!“
„Mach ich nächstes Mal und spritz dir mitten ins Gesicht! Bin gespannt, ob du das besser findest!“
„Werd nicht unverschämt!“ schrie Frau Borg und fing zu heulen an.
„Alma, beruhige dich! Ist es so schlimm, wenn wir noch ein Kind kriegen? Unser Häuschen ist doch groß genug!“
„Nein, ist es nicht!“

Trotz dieser schwierigen Voraussetzungen wuchs das Kind in Alma Borg heran und kam planmäßig und ohne Komplikationen auf die Welt. Es war ein Junge. Kaum waren jedoch die ersten Anstrengungen der Geburt überwunden, entstand eine neue Diskussion zwischen Herrn und Frau Borg, wie der Junge denn heißen soll:
„Ich wollte nur einen Jungen, und der sollte Jörn heißen. Das weißt du genau! Es gibt keinen anderen Namen als Jörn für einen Jungen in meiner Welt!“ erzürnte sich Frau Borg.
„Es kann doch nicht ein so großes Problem sein, einen anderen Namen als Jörn für einen Jungen zu finden!“
„Doch, kann es!“
„Weil du eines daraus machst!

Ein minutenlanges Schweigen breitete sich anschließend zwischen den beiden aus. Bis Johan Borg eine Idee kam: „Weißt du was, ich habe die Lösung: Wir nennen ihn einfach auch Jörn!“
„Wie?“
„Der zweite Jörn. Wenn unser Land so liberal ist wie es sich gerne gibt, werden wir unseren zweiten Sohn doch wie unseren ersten nennen dürfen!“

Der Junge durfte Jörn genannt werden und wurde – zur Unterscheidung von seinem größeren Bruder – B-Jörn gerufen. Als B-Jörn schon zur Schule ging und den Buchstaben B lernte, stellte er fest, dass B im Wort nicht Be gesprochen wird, sondern nur B. Nach Schulschluss rannte er schnell nachhause, wo er an diesem Tag seinen Vater antraf, und sagte aufgeregt: „Papa, ich habe heute gelernt, dass ich gar nicht B-Jörn bin, sondern Björn!“
„Na gut, von mir aus!“ sagte Herr Borg: „Dann bist du ab heute Björn. – Jetzt müssen wir nur noch deine Mutter davon überzeugen…“

 

Der Kommunikationsberater

Der Kommunikationsberater öffnete die Fahrertür seines Porsche, drehte sich noch einmal zu uns um und sagte: „Es gilt jetzt, alle mitzunehmen!“

Ich ging daraufhin zur Beifahrertür, öffnete sie und setzte mich in den Wagen.
„Das wird schwierig!“ sagte ich, mich im Wageninneren umsehend.

„Was wird schwierig?“ fragte der Kommunikationsberater irritiert.

„Mit diesem kleinen Auto alle mitzunehmen. Nicht mal die, die jetzt noch dastehen, können Sie damit mitnehmen. Geschweige denn das ganze Team. Dabei haben sie gerade gesagt: Es gilt jetzt, alle mitzunehmen!

„Das war doch auf das Projekt bezogen! Steigen Sie sofort aus meinem Wagen aus, ich hab’s eilig!“

Ich stieg aus, lehnte mich an den Porsche und sagte: „Es wäre ein gutes Zeichen für das Projekt gewesen, wenn Sie mit einem Bus gekommen wären und jetzt alle mitnehmen würden. Stattdessen stellen Sie sich an Ihr Egomanen-Fahrzeug und meinen überhaupt nicht, was Sie sagen.“

„Was fällt Ihnen…“

„Was Sie mit Ihrem Verhalten sagen ist: In unserem auf Egozentrismus aufgebauten Wirtschaftssystem hat man den Sinn für das Gemeinsame verloren. Kommunikation findet nicht statt. Ich habe das erkannt und verdiene mit diesem Mangel mein Geld, den zu beseitigen mir überhaupt kein Bedürfnis ist. Im Gegenteil: Dann würde ich ja kein Geld mehr verdienen.

„Ach lassen Sie mich doch in Frieden! Ich habe Ihre schlauen Reden nicht nötig!“
Der Kommunikationsberater schlug die Tür seines Porsche zu und brauste davon.

Axel Witsel – eine Kritik am deutschen Alphabet

Ich stehe auf einer riesigen Tribüne. Die Tribüne ist mit drei anderen Tribünen verbunden. Die Tribünen stehen im Neunzig-Grad-Winkel zueinander und umschließen ein Fußballfeld. Alle Tribünen sind voll mit Menschen, mit insgesamt etwa achtzigtausend Menschen, wie ich mir sagen ließ. Eine Zahl, die ich gar nicht fassen kann. Sehr sehr viele Menschen auf engem Raum. Gleich wird ein Fußballspiel beginnen. Die achtzigtausend Menschen auf den Tribünen werden zweiundzwanzig Menschen auf dem Rasen beim Fußballspielen zusehen. Ich blicke auf die vielen Menschen um mich. Bei diesem Anblick weiß ich, warum ich als Junge Fußballprofi werden wollte: Achtzigtausend Menschen, die einem beim Spielen zusehen. So viel Aufmerksamkeit hat man sonst nie im Leben!

Der Stadionsprecher brüllt die Namen der Spieler in sein Mikrofon, aber im ohrenbetäubenden Lärm um mich verstehe ich nichts. Ich schaue auf einen der großen Bildschirme und lese den Namen des Spielers mit der Rückennummer 28: Axel Witsel. Ein Name, der mich beeindruckt. Ein Name wie eine eindringliche Forderung. Nämlich das deutsche Alphabet um zwei überflüssige Buchstaben zu kürzen: um das X und um das Z. Das X kann durch KS ersetzt werden, das Z durch TS. Axel Witsel betont auf geniale Weise diese Forderung: In der Schreibung des Vornamens Axel mit X der Hinweis auf den aktuellen Missstand, in der Schreibung des Nachnames Witsel der Protest dagegen durch die Ersetzung des Z durch TS. Wer Axel schreibt, muss auch Wizel schreiben, sagt der kühle Verstand. Wer sich Witsel schreibt, sollte sich auch Aksel schreiben, sage ich.

Die Spieler betreten das Feld. Axel Wizel trägt eine Afro-Frisur. Dunkler Teint. Blaue Augen, die sehr auffallen durch seine sonst dunkle Erscheinung. Das Spiel beginnt. Aksel Witsel bewegt sich grazil und demütig wie eine Gazelle und robust und bestimmend wie ein Löwe, ohne sich dabei zu widersprechen. Wie mich sein Name beeindruckt, so beeindruckt mich sein Spiel. Ich beneide ihn, mit welcher Eleganz und Souveränität er sich auf dem Rasen bewegt und wie ihm dabei achtzigtausend Menschen zuschauen. Axel Witsel – die leibhaftige Kritik am deutschen Alphabet!

Axel Witsel