Ich bedeute mich, schriftlich

Ich zwinge mich, gegen meine Müdigkeit anzukämpfen und ich schreibe, ich ordne abstrakte Zeichen aneinander, die Buchstaben genannt werden, immerhin, hundertsiebzehn dieser abstrakten Zeichen habe ich schon geschrieben, Bedeutendes soll mein Schreiben darstellen, einen hohen Sinn ergeben, immerhin, trotz meiner Müdigkeit habe ich nun schon zweihunderdreiundvierzig dieser abstraken Zeichen, die Buchstaben genannt werden, geschrieben, nun zwingt mich meine Müdigkeit, mit dem Zählen aufzuhören, was auch wieder eine sehr abstrakte Tätigkeit ist, das Zählen, wie das Schreiben, ich frage mich, ob meinem Organismus, mit dem ich hier auf dieser Welt bin, zumindest erlebe ich mich so, ich bedeute mich als Organismus, falls das Sinn ergibt, ich frage mich, ob meinem Organismus das fortschreitende Schreiben gut tut, ob er nicht viel lieber einfach seine Sinne benutzen würde, um am Leben zu sein, anstatt seine Sinne zu unterdrücken, um einer fortschreitenden Vergeistigung entgegenzuschreiben, die Müdigkeit übermannt mich, ich kann nicht mehr zählen, nein ich kann nicht mehr schreiben, ich werde müder und müder…

Etwas gibt es noch zu schreiben, mit letzter Kraft: Sie ruft am häufigsten tetetet, im Frühjahr einen hellklingenden absinkenden Triller zizizirr, bei Erschrecken zerretett! Eine Blaumeise möchte ich sein und mich so sinnlich bedeuten:

tetetet
zizizirr
zerretett!

Unange Nehm

Es wäre einfach, zu einfach, die folgende Geschichte dem Wortspieler Günter Nehm anzudichten. Doch soviel man weiß, hatte er keine Tochter die an Anämie litt und wie ein blasser Engel erschien, auch Albert Nehm hatte keine solche Tochter, und bei Albert Nehm, so viel kann man sagen ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wäre es noch unwahrscheinlicher, dass er die Krankheit seiner Tochter mit einem unangebrachten Wortspiel ausgedrückt hätte. Bliebe noch Eduard Nehm, doch auch bei ihm weiß man nichts von einer blassen Tochter, sondern nur von einem Sohn, dessen Blässe oder Nichtblässe hier nicht näher ausgeführt werden soll, und doch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass ein gewisser Nehm seine Tochter, die an Anämie litt und ihm wie ein blasser Engel erschien, dass dieser Nehm seine Tochter Unange nannte. War dieser Nehm ein frankophiler Mensch, der seine an Anämie leidende Tochter aufgrund ihrer Blässe Un Ange (einen Engel) nannte, oder war ihm die Blässe seiner Tochter lediglich unangenehm, und er nannte sie deshalb Unange, weil ihr voller Name dann das Adjektiv unangenehm ergab, was die Gefühle ausdrückte, die er gegenüber seiner Tochter empfand?

So viel ist sicher: Dieser Nehm lebt nicht mehr, und auch von seiner Tochter, deren Existenz sich hartnäckig als Gerücht hält, ist nichts bekannt. Ist sie vielleicht nach Frankreich gezogen, um dort als blasser Engel ein ruhiges Leben zu führen, anstatt in Deutschland ein unangenehmes?

Wir werden die Wahrheit nie erfahren, und vielleicht wollen wir das gar nicht.

Kommen

Es stehen aufgereiht der Sohn und der Vater, was ungewöhnlich ist, denn normalerweise würde geschrieben: Es stehen aufgereiht der Vater und der Sohn, aber der Sohn steht vor dem Vater, und es kann doch nicht verlangt werden, dass der Sohn nicht vor sondern nach dem Vater steht, nur damit geschrieben werden kann, was normalerweise geschrieben wird: dass der Vater vor dem Sohn steht.

Demgegenüber ist einzuwenden, dass der Sohn der Nachkomme des Vaters ist, und deshalb nach dem Vater zu stehen hat. Woraus geschlossen werden kann, dass der Vater der Vorkomme des Sohnes ist und vor dem Sohn zu stehen hat. Der Vater soll also vor den Sohn kommen, damit die Dinge so sind, wie sie geschrieben werden sollen.

Nun wenden manche ein, dass die Einführung des Substantivs Komme in diesem Kontext irreführend sei, sei es als Vor- oder Nachkomme. Was ist denn ein Komme? Einer der kommt. Einer der Anwesenden versteht irrtümlich: Einer der kämmt, holt daraufhin reflexartig seinen Kamm aus der Tasche und beginnt sich zu kämmen, was irritiert, aber von der Diskussion nicht in dem Maß ablenkt, dass sie nicht fortgesetzt werden kann.

Das Substantiv Komme kommt also vom Verb kommen, und einer meint, dass kommen nicht stehen bedeute, er erntet mit dieser Aussage sowohl Zustimmung als auch fragende Blicke, weshalb er weiter ausführt, dass es egal sei, ob der Vorkomme vor oder nach dem Nachkommen stehe und umgekehrt, denn ein Komme, so er als solcher bezeichnet wird, kann nicht stehen, sondern nur kommen. Kann also ein Vorkomme nur vorkommen und keinesfalls nachkommen und ein Nachkomme nur nachkommen und keinesfalls vorkommen? lautet die Anschlussfrage des Vortragenden, die er sich selbst bejaht und daraufhin konkludiert: Der von uns verlangte Vorgang, dass der Vater als Vorkomme vorkommt, ist ein zwingender Vorgang, damit der Vater als Vorkomme bezeichnet werden kann.

Es setzt zustimmendes Geraune ein, aus dem eine leichte Genervtheit herauszuhören ist, doch der Vortragende, der seine Stimme zum Vortrag erhoben hat, senkt sie nicht, sondern lässt sie oben und fragt: Sollte der Vater als Vorkomme nicht vorkommen sondern nach dem nachkommenden Sohn bleiben – ist das ein besonderes Vorkommnis? Oder ist ein Vorkommnis immer besonders und es gibt keine normalen Vorkommnisse?