Gelzer und Gürzer

In einer Wirtschaft in Weichering machte sich ein Mann namens Gelzer Gedanken über die Wirtschaft und dachte sich: Wirtschaften tut der Mensch, um zu leben. Was hat der Mensch zum Wirtschaften? Er hat seine Umwelt, die Erde, und sich selbst, seine Arbeitskraft. Das haben Tiere auch. Also versuchen Menschen und Tiere jeden Tag, kraft ihrer Arbeit ihrer Umwelt das zu entnehmen, was sie zum Leben brauchen. Das ist also das ganze Wirtschaften, dachte sich der Mann namens Gelzer in der Wirtschaft in Weichering.

In einer Wirtschaft in Wasserburg fragte sich ein Mann namens Gürzer, was Menschen von Tieren unterscheide und rief zu diesem Zweck Gelzer in Weichering an. Gelzer sagte daraufhin zu Gürzer, er habe gerade festgestellt, dass Menschen und Tiere, was das Wirtschaften betrifft, sich nicht unterscheiden.

Gelzer bezahlte daraufhin in der Wirtschaft in Weichering, und während des Bezahlens dachte er: Das ist es, was Menschen von Tieren unterscheidet – das Geld. Gelzer dachte weiter: Der Mensch kann seine Arbeitsleistung speichern, und zwar mit Geld. Wenn er gerade nichts benötigt, legt er seine Leistung in Geld an, um später etwas dafür zu bekommen. Wie klug der Mensch ist, das Geld erfunden zu haben, dachte sich Gelzer. Er ging zufrieden nachhause und träumte davon, viel Geld zu besitzen.

Am nächsten Morgen rief Gürzer Gelzer an und sagte ihm, dass er dreißig Millionen Euro in bar besitze und dass er diese auf der Stelle los werden möchte. Er habe nämlich davon geträumt, regelmäßig viel Geld zu bekommen, aber keines mehr zu besitzen. Er sei gestresst von der jahrelangen Geldbesitzerei und seinem zwanghaften Bemühen, es werthaltig zu halten.

Gelzer meinte, dass er ohnehin gerade geträumt habe, viel Geld zu besitzen und er gerne bereit sei, Gürzer die dreißig Millionen Euro abzunehmen. Doch wie willst du regelmäßig viel Geld bekommen, wenn du keines mehr besitzst? fragte Gelzer Gürzer. Indem du, der du es jetzt besitzt, es mir regelmäßig zurückzahlst. Ich habe nämlich beschlossen, wie ein Tier zu leben, ohne auf das Geld zu verzichten.

In einer Wirtschaft in Wien saß ein Quantenphysiker und dachte sich: Alles Immaterielle manifestiert sich im Materiellen. Wie passt das jetzt zum Geld von Gelzer und Gürzer?

Ausflug aufs Land (München-Pasing)

Emil, ein Hagestolz noch nicht zu alten Datums, möchte der Enge seiner städtischen Bleibe entfliehen und für ein paar Tage aufs Land fahren. Von einem werten Kollegen hat er gehört, dass zu Pasing, westlich der Stadt gelegen, vor längerer Zeit ein Architekt eine geschmackvolle Villensiedlung im Grünen errichten ließ. Emil fährt mit der Bahn nach Pasing. Dort angekommen, verlässt er den Bahnhof Richtung Norden und findet sich in der August-Exter-Straße wieder. Hier muss es sein! Denn so hieß er, der Architekt, der hier auf grünem Land die Villen plante und errichten ließ: August Exter. Emil fühlt sich oft verbunden mit Menschen, nach denen Straßen und Plätze benannt werden. Zu oft, findet er, kommt die Würdigung bedeutender Menschen zu kurz, im Allgemeinen wie im Besonderen.

Emil geht die August-Exter-Straße entlang und sieht ein paar durchaus prächtige Gebäude. Doch insgesamt ist es ihm zu geschäftig, als dass herrschaftliche und erhabene Gefühle aufkommen könnten. Er will die Straße überqueren und wird dabei fast von einem schnöden Omnibus überfahren, der hier auch noch durchfährt. Hier will er nicht wohnen. Das ist kein landschaftliches Wohnen, das er sich vorstellt. Er beschließt, auf die Suche nach ruhiger gelegenen Villen zu gehen. Er sieht einen Herrn mit Hut und Spazierstock aus einer Seitenstraße spazieren, dessen Noblesse ihm geeignet erscheint, ihn für einen Villenbesitzer zu halten. „Verzeihung, mein Herr: Ich bin auf der Suche nach einer ruhigen Villa im Grünen; einer Villa, in der selbst der gesegnete Herr Exter mit seiner anvertrauten Gattin Luise gerne gewohnt hätte.“ Emil präsentiert stolz das Wissen über die Extersche Familie, das er sich angeeignet hat. „Da lang ist der Luisengarten, wenn Sie den meinen“, sagt der etwas verwundert dreinblickende Herr und zeigt auf die Seitenstraße, aus der er gerade gekommen ist. Emil geht die Seitenstraße entlang: Luisengarten, das ist gut – sicher benannt nach der Gattin des Herrn Exter.

Der Luisengarten

Der Luisengarten

Emil kommt an eine bayrische Wirtschaft, den Luisengarten. Da es noch warm ist, lässt er sich unter der Kastanie nieder. Er sitzt da und träumt davon, mit August Exter und Luise am Tisch zu sitzen und um die Hand einer der drei Exter-Töchter anzuhalten: Eva, Gabriele, Klara – eine schöne als die andere in seinem Kopf. Welche soll er nur nehmen? August Exter ist schon lange tot. Seine Frau auch. Seine Töchter noch nicht so lange, aber tot sind sie auch. Doch Emil lässt sich nicht beirren: Er will eine Villa finden, dort wohnen und von den schönen Exter-Töchtern träumen. Er fragt den Wirt, wo es denn hier eine von Exter erbaute Villa gebe, die ruhig und im Grünen liegt. Er, der Wirt, könne ihm doch sicher helfen, als Besitzer einer Wirtschaft, die nach der hochgeschätzten Luise Exter benannt ist. Der Wirt schweigt, sieht Emil prüfend an, meint dann: „Gehen Sie die Straße weiter, da kommen Sie an den Nymphenburger Kanal. Da ist es grün.“ „Danke“, sagt Emil und erhebt sich vom Tisch. „Und für was brauchen Sie eine Villa?“ „Zum Wohnen.“ Emil geht locker-beschwingt aus dem Wirtsgarten hinaus und weiter die Straße entlang.

Kurz vor dem Kanal mit seinem begrünten Ufer sieht er linkerhand eine schöne Villa in einem großzügigen Garten stehen. Er ist begeistert. Hier will er wohnen! Er geht zum Gartentor und klingelt. Er blickt über den Zaun und bewundert das Anwesen. Ruhig und im Grünen, sehr stilvoll. Hier will er wohnen! Er klingelt ein zweites Mal. Er versucht, die stilistischen Merkmale der Villa architektonisch einzuordnen. Doch sein Enthusiasmus weicht jäh der Ernüchterung. Noch immer öffnet niemand die Tür. Ist niemand zuhause oder hat man beschlossen, ihn am Gartentor stehen sehend, nicht einzulassen? Emil wird unsicher. Soll er nochmals klingeln? Er sieht seinen Traum vergehen, hier in dieser Villa zu wohnen. Ach Eva, ach Gabriele, ach Klara! Womit habe ich das verdient!

Emils Villa

Emils Villa

Wie ein Geschlagener trottet er die Seitenstraße zurück. In der August-Exter-Straße angekommen und auf den Bahnhof zugehend, spricht ihn eine Frau an, die gerade auf den Omnibus wartet: „Junger Mann, Sie sehen so niedergeschlagen aus. Kann ich Ihnen helfen?“ „Ich wollte in einer Villa wohnen, aber niemand war zuhause.“ „In welcher Villa?“ Emil zeigt in die Seitenstraße: „Beim Luisengarten vorbei, am Kanal.“ „Aber die Villen, die stehen doch stadtauswärts, über der Würm“, sagt die Frau. „Stadtauswärts, über der Würm?“ „Ja. Biegen Sie vor dem Bahnhof rechts ab und überqueren Sie anschließend die Pippinger Straße. Da stehen Sie dann, die Villen, in der Alten Allee und der Marschnerstraße.“ „Von August Exter erbaut?“ „Das weiß ich nicht. Kann schon sein.“ „Vielen Dank Luise!“ sagt Emil mit einem Ausruf des Entzückens und will die Frau am liebsten umarmen. „Nichts zu danken. Aber – ich heiße nicht Luise.“ „Natürlich nicht. Entschuldigen Sie, Eva! Und grüßen Sie Gabriele und Klara von mir!“ Emil marschiert schnell weiter. Die Frau, deren wahren Namen wir nicht erfahren, bleibt so verwundert stehen, dass sie vor Verwunderung den Omnibus ohne sie abfahren lässt.

Emil steht an der Pippinger Straße und ist aufgrund des vielen Verkehrs gezwungen zu warten, bevor er sie überqueren kann. Gegenüber beginnt sie, die Alte Allee. Er sieht zwei alte Villen. Die müssen wohl von Exter sein. Sie sind von Verkehr umtost. Wie Relikte aus vergangenen herrschaftlichen Zeiten stehen sie da. Das ist kein landschaftliches Leben, von dem er träumt. Als er endlich die Pippinger Straße überqueren kann, geht er hurtig an den verkehrsumtosten Villen vorbei. Er gelangt zu einer Kirche. Rechts von ihr geht die Alte Allee weiter, links beginnt die Marschnerstraße. Von beiden Straßen hat die Frau gesprochen, deren wahren Namen wir nicht erfahren haben. Welcher Straße soll Emil entlanggehen? Er entscheidet sich für die Alte Allee. Aus einem Gefühl heraus. Alte Allee klingt erhaben. Hier würde er seine Villa für das Landleben finden. Emil fallen vor allem die alten Bäume an der Alten Allee auf. Es gibt einige Villen, linkerhand, doch es gibt nach wie vor diesen Verkehr, der Emil stört. Rechterhand tut sich eine unbebaute, freie Wiese auf, an deren anderem Ende eine Kirche steht. Emil misst der Entfernung zur Kirche eine Strecke von dreihundert Metern bei. Hier noch einmal so stehen wie Exter, vor dem unbebauten Land, und im Kopf die Villen planen! Emil geht weiter und kommt an einem eher armseligen, kleinen Häuschen vorbei, das einen Outdoor-Shop beherbergt. Soll er sich ein Zelt kaufen und es wie ein Pionier auf der Wiese aufschlagen? Dreihundert Meter freie Sicht nach Osten. Die Sonne würde ihn früh am Morgen erreichen und ihn beleuchten wie einen König der Landschaft.

Mit dem Zelt auf die Wiese?

Mit dem Zelt auf die Wiese?

Doch dann denkt er an die Autos, die aus den Seitenstraßen in die Alte Allee abbiegen und mit ihren Lichtkegeln in der Dunkelheit sein Zelt beleuchten. Er verwirft die Idee. Allmählich bekommt er Hunger. Dieses Landleben beziehungsweise das Suchen nach ihm ist anstrengend. Er blickt die Alte Allee entlang und glaubt zu erkennen, dass sie wohl in einem knappen Kilometer einen Rechtsknick beschreibt, folglich nach einem Kilometer noch immer nicht zu Ende ist. Würde er hier seine Villa finden? Zaghaft geht er ein paar Schritte weiter. Linkerhand sieht er eine Wirtschaft namens Jagdschloss. Er spürt Wut in sich aufkommen über diesen Namen. Wie soll man in diesem Trubel eine Jagd veranstalten? Wer hier das Jagdhorn bläst, verhallt ungehört ob des Autolärms. Er denkt kurz nach, ob wohl die Marschnerstraße eine ruhigere Straße sei, eine Straßen mit vielen noblen Herren in ihren herrschaftlichen Villen. Doch dann hat er nur noch ein Bedürfnis: Nachhause zu fahren, in die Behaglichkeit seiner Stadtwohnung, um sich zu erholen, von diesem anstrengenden Ausflug aufs Land.

Emils Forschungsgebiet im Überblick

Emils Forschungsgebiet im Überblick

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Agathe und das Fenster

Ich wollte heute die Geschichte von Agathe und dem Fenster erzählen. Doch ich begann zu zweifeln an dieser Geschichte. Ich erzählte Bene die Geschichte von Agathe und dem Fenster und er meinte, er würde sie so nicht erzählen. Wie soll ich sie denn dann erzählen?

Ich bin heute bei Agathe vorbeigefahren. Zumindest glaube ich, bei ihr vorbeigefahren zu sein. Ich bin an der Tür vorbeigefahren, wo sie vor zwei Monaten auf mich wartete und mir sagte, dass sie hier wohne, in diesem Haus. Wir sind dann, damals vor zwei Monaten, nicht ins Haus gegangen, sondern haben uns unter die Akazien gesetzt und durch ihre Blätter den blauen Himmel betrachtet.

Dann bin ich weitergefahren, heute, in die Straße wo Josefine wohnt beziehungsweise wo ich vermute dass Josefine wohnt. Vor drei Monaten habe ich Josefine nachhause begleitet und wir standen an einer Tür von der Josefine sagte, das sei die Eingangstür zu dem Haus in dem sie wohne.

Ich wundere mich, warum ich die Geschichte von Agathe und dem Fenster erzählen wollte, wo es doch jetzt um Türen geht und ich viel lieber die Geschichte von Agathe, Josefine und den Türen erzählen würde. Oder habe ich diese Geschichte bereits erzählt?

Ich bin nachhause gefahren und habe dort durch die tiefstehende Sonne festgestellt, dass die Scheiben des Fensters schmutzig sind. Das Fenster sollte geputzt werden. Ich öffne das Fenster, um die Wärme der Sonne hereinzulassen. Bene meint, er sei nicht sicher, ob Agathe und Josefine noch in den Häusern wohnten, deren Türen sie mir vor zwei beziehungsweise drei Monaten gezeigt haben. Ich bin mir sicher, entgegne ich, dass die Akazien mittlerweile ihre Blätter verloren haben und wenn man unter ihnen sitzt man den Himmel besser sieht als vor zwei Monaten. Ich weiß allerdings nicht, ob Agathe das genauso sieht. Das weiß Bene auch nicht.

Als ich das Fenster schließe, ist die Sonne hinter den Häusern versunken. Ich sehe den Schmutz an den Scheiben nicht mehr. Bene meint, er würde die Geschichte von Agathe und dem Fenster jetzt nicht erzählen. Ich sage daraufhin: Ja, ich werde die Geschichte von Agathe und dem Fenster jetzt nicht erzählen.

Gewissheiten

Ich übe täglich, Ungewissheit zu akzeptieren. Das ist meine schwerste Übung. Ich hätte gerne Gewissheit.

Vor kurzem sagte jemand zu mir, die einzige Gewissheit bestehe aus Holz und sei viereckig. Doch nicht einmal dieser Gewissheit stimme ich zu: Was ist, wenn am Tag nach meinem Tod ein Gesetz erlassen wird, das die Verwendung von Holzsärgen verbietet? Dann würde mir die einzige Gewissheit genommen, an die ich in meinem Leben geglaubt habe. Was ist, wenn ich verfüge, verbrannt und in einer Urne bestattet zu werden? Dann nehme ich mir selbst diese Gewissheit.

Ein Großindustrieller baute sich eine Villa und wollte Gewissheit haben, dass nicht eingebrochen wird. Also ließ er dicke Stahlbetonmauern bauen, unterbrochen nur von dicken Stahltüren und Fenstern aus Panzerglas. Die Fenster konnte man aus Sicherheitsgründen nicht öffnen. Das Haus musste aufwändig klimatisiert werden. Als nach seinem Tod niemand mehr in diesem Gefängnis wohnen wollte, hatte man größte Schwierigkeiten, das massive Bauwerk abzureißen. Der Großindustrielle kam zu mir und sagte: Ich wollte Gewissheit haben und habe ein Gefängnis geschaffen.

Ich nehme an, dass morgen die Sonne aufgeht. Ist es gewiss? Ich habe mir angewöhnt, mich jeden Tag überraschen zu lassen von der Sonne und mich zu freuen, wenn sie wieder da ist. Ich glaube zu wissen: Der neue Tag bringt viele Überraschungen, aber ganz gewiss keine Gewissheiten.