Agathe und die Dinge wie sie sind

Seltsamerweise, sagt Vorderbrandner, fällt mir zuerst ein, dass wir über die Brücke gingen, über die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer, die die Stadtautobahn überquert. Agathe sagte, als ich sie von der Seite betrachtete mit den vorbeifahrenden Autos hinter ihr, dass alles gut ist, obwohl sie gerade von Dingen erzählt hatte, die nicht gut sind, eher schlecht, aber genau in diesem Moment beschloss ich, sagt Vorderbrandner, die Dinge nicht in gut und schlecht einzuteilen, sondern sie so zu lassen, wie sie sind. Wobei sich nun die Frage stellte, wie sie denn sind, die Dinge, und ob man das überhaupt ausdrücken kann, dieses Sein der Dinge. Wir gingen weiter, Agathe und ich, sagt Vorderbrandner, den Weg entlang, der uns in den Stadtpark führte. Es war Abend und dunkel. Es war ein dunklerer Abend als andere Abende, denn der Himmel war mit dicken dunklen grauen Wolken bedeckt, die, je später es wurde, immer dunkler wurden. Agathe fragte, was ich will, und ich dachte mir: Was für eine große Frage! Mir fiel in diesem Moment nichts anderes ein, als dass ich mit Agathe sein will unter dem wolkenverhangenen Himmel im Stadtpark. Die Wolken hatten etwas herrlich Behagliches, sie schirmten uns ab vom Rest der Welt, sie rahmten uns ein. Wir gingen ans Feuer, wo gekocht wurde und wir aßen vom Gekochten, es tat gut, denn ich fühlte mich geschwächt, von was kann ich nicht sagen, ich will es sagen, aber ich kann es nicht, vom Sein der Dinge vielleicht, aber gleichzeitig fühlte ich mich gestärkt vom Sein der Dinge, auf jeden Fall tat es gut, mir etwas einzuverleiben, mich zu stärken, und Agathe sagte, es tut gut, mir etwas einzuverleiben, mich zu stärken, und ich nickte, und plötzlich sah ich Sterne, überall, trotz der vielen Wolken am Himmel, aber nicht nur am Himmel, sondern in Agathes Augen, ja, in Agathes Augen sah ich das ganze Universum, und ich sagte: Agathe, in deinen Augen sehe ich das ganze Universum! und Agathe lächelte und sagte: Unsinn, iss noch was! und als ich ihre Stimme das sagen hörte, hallte das ganze Universum, das sagte ich aber nicht, sondern sagte: Agathe, ich will mit dir unter den Bäumen spazieren, und Agathe sagte: Ja, lass uns unter den Bäumen spazieren!

Wir spazierten unter den Bäumen, und ich war den Bäumen sehr dankbar dafür, dass ich mit Agathe unter ihnen spazieren durfte, und sie freuten sich still über meine Dankbarkeit, und ich war Agathe sehr dankbar dafür, dass sie mit mir unter den Bäumen spazierte, nein, dankbar ist das falsche Wort, vielleicht sollte ich dieses Unterdenbäumengehen überhaupt nicht kommentieren, sondern es einfach so sein lassen wie es ist, wobei sich hier wieder die Frage stellt, wie es denn ist, dieses Unterdenbäumengehen, eine Frage, die sich nicht abschließend beantworten lässt. Wir gingen weiter in die Stadt, und die Häuser waren schön, und ich hatte das Gefühl, dass die Menschen in ihnen sich freuten, dass wir an ihren Häusern vorbeispazierten. Ich blieb stehen und lehnte mich an eine Hauswand, und Agathe sah mich an und fragte: Ist alles gut? Sehr gut, sagte ich, und weiter wollte ich sagen: Ich bin so überwältigt von dieser Welt mit ihren Dingen, dass ich eine kurze Pause brauche, um all das fassen zu können, aber das sagte ich nicht, sondern dachte es mir, und während ich das dachte, sah ich in Agathes Augen wieder das ganze Universum, und ich spürte mein Glück beim Anblick dieser Augen, und ehe ich diesen Gedanken weiter denken konnte, gingen wir weiter, bis Agathe vor einem Haus stehen blieb und sagte: Das ist ein schönes Haus! und ich sagte: Ich schenke es dir! Ich schenke dir die ganze Welt! und ich dachte mir: In Agathe sehe ich die ganze Welt. Dann fing es zu regnen an, ganz leicht und sanft, und er machte mich müde, dieser Regen, und ich wollte mich hinlegen, aber ich konnte mich nicht hinlegen, denn ich war viel zu fasziniert von den Dingen, die ich durch Agathe sah, und Agathe lächelte und ging unter die dunklen Bäume und für einen Moment sah ich sie nicht mehr und hatte plötzlich Angst, sie und die Welt die ich durch sie sah nie mehr wieder zu sehen und ich lief ihr nach und da sah ich sie am Stamm eines Baumes und sagte: Agathe, ich…, und sie sah mich an und ich sagte nichts mehr. Ich hörte ein Lied:

Vielleicht sang ich es selber, vielleicht sang es die ganze Welt. Es waren keine deutschen Worte, vielleicht französische, jedenfalls kamen die Worte wie von selbst, und ich ließ mich mit Agathe fallen in die Dinge wie sie sind.

 

Günstiger

In Günz haben sie eine Burg, und in Güns, obwohl es viel kleiner ist, haben sie einen Zoo, der in Güns Tsoo geschrieben wird. Auf ihren Tsoo sind sie immer sehr stolz gewesen, die Günser. Zwischenzeitlich überlegte man, den Ort, nach dem Vorbild vom größeren Günzburg, in Günstsoo umzubenennen. Doch seit einiger Zeit überlegt man in eine ganz andere Richtung: Man überlegt, den Tsoo aufzulassen. Die Tiere sind entweder gestorben oder wurden weggegeben. Nur noch ein Tiger ist übrig. In Güns sagt man deshalb nicht mehr Ich gehe in den Tsoo, sondern Ich gehe zum Tiger. Nichtgünser sagen Ich gehe zum Günstiger. Keine Rede mehr vom Günstsoo.

Der Günstiger ist zum Markenzeichen von Güns geworden. Er ist aber mittlerweile recht alt und verursacht hohe Kosten: Er muss rund um die Uhr gepflegt werden. Nahrung bekommt er nur noch intravenös, weil er nicht mehr beißen und kauen kann. Ständig kommt der Tierarzt. Der Bürgermeister von Güns hofft, dass er endlich stirbt, der Günstiger, um das Gemeindebudget nicht mehr zu belasten, doch weil er nicht stirbt, sah er sich in der letzten Gemeinderatssitzung zu folgender Aussage genötigt: Für Güns wäre es günstiger ohne Tiger. Daraufhin herrschte große Empörung unter den Gemeinderäten. Was ist denn Güns ohne seinen Tiger? Schlimm genug, dass es seinen Tsoo nicht mehr hat!

Ein Rat saß während der ganzen Empörung still in seinem Stuhl. Als die anderen auch wieder still in ihren Stühlen saßen, sahen sie ihn an, wie er still in seinem Stuhl saß, und er sagte in die Stille: Herr Bürgermeister, obwohl ich glaube, sie wollten nur einen billigen Wortwitz unter die Leute bringen, sage ich auch nö zum Tiger – anderes haben wir nötiger!