Die eine große Liebe

oder: ylop/mag onom mag ylop/nicht

Ylop und Onom sind zwei Menschen, bei denen es zunächst überhaupt nicht wichtig ist, welchen Geschlechts sie sind. Es ist jedoch nicht leicht, in der Sprache geschlechtsneutral zu bleiben. Die Sprache ist zu versext. Weil der westliche Mensch seinen Sex unterdrückt, ist er völlig verrückt nach Sex. Das drückt sich in seiner Sprache aus. Ich versuche, den Sex von Ylop und Onom auszuklammern, indem ich sie neutralisiere: Ich nenne sie das Ylop und das Onom.

Mit Ylop und Onom verhält es sich nun folgendermaßen: Ylop mag Onom, während Onom Ylop überhaupt nicht mag. Ylop könnte Onom fragen: „Warum magst du mich nicht?“ Aber Ylop fragt Onom das nicht, denn Ylop mag Onom, egal ob Onom es mag oder nicht. Ganz nach Christian Morgenstern: Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.

Apropos Liebe: Onom sagt, es glaube an die eine große Liebe. In dieser Aussage ist ein Vorwurf an Ylop enthalten. Onom wirft Ylop vor, nicht an die eine große Liebe zu glauben und das Leben deshalb zu entwürdigen.
Ylop fragt Onom, warum es glaube, dass es nicht an die große Liebe glaube.
„Weil ich weiß, dass du mehr als einen Menschen in deinem Leben geliebt hast!“ sagt Onom.
Ylop sagt: „Menschen gibt es viele, Liebe gibt es eine. Warum sollte ich diese eine Liebe nicht mit mehreren Menschen teilen?“

Onom wendet sich verärgert ab. Es findet sich bestätigt in seinem Grund, warum es Ylop nicht mag. Es gibt einen Menschen für jeden Menschen, der dessen große Liebe ist, davon ist Onom überzeugt. Und weil Ylop davon nicht so überzeugt ist, um das zu seinem alles beherrschenden Lebenskonzept zu machen, bleibt es dabei: Onom mag Ylop nicht. Aber Ylop wiederum mag Onom, da kann Onom Ylop so viel nicht mögen wie es will. Denn Ylop glaubt an die eine große Liebe und schließt deshalb auch Onom in seine Liebe ein.

Hannibal und Kannibal

eine Ballgeschichte

Hannibal und Kannibal lebten in einem etwas abgeschiedenen Landstrich. Um das Leben der beiden zu verstehen, muss man wissen, dass in diesem Landstrich ein anderes Deutsch gesprochen wurde. Das Wort ich existierte nicht, es wurde lediglich durch den Buchstaben i ausgedrückt. Das Verb haben wurde so konjugiert: I han, du hascht. Weitere Besonderheiten der Sprache in dieser Gegend: Die Bildung von Doppelkonsonanten wich von der im Standarddeutschen ab. Außerdem wurde das Prädikat immer vor das Satzsubjekt gestellt, Artikel und Präpositionen wurden weggelassen. Ein Beispiel: Wollte jemand sagen Ich gehe in das Haus, so sagte er: Geh i Haus.

Die Namen von Hannibal und Kannibal bedeuteten in dieser Sprache also soviel wie Ich habe den Ball und Ich kann mit dem Ball. Kannibal zeigte aus diesem Grund ständig, was er mit dem Ball kann, indem er ihn an Füßen, Schultern und Kopf jonglierte. Hannibal wollte den Ball jedoch haben, sodass er ihn, wenn er während Kannibals Jonglieren in der Luft war, mit seinen Händen schnappte und ihn fest an seinen Körper presste. Kannibal musste sich den Ball also wieder zurückerobern, um zu zeigen, was er mit dem Ball kann. Dabei halfen ihm in der Regel seine subtilen Jonglierfähigkeiten nicht, nein, es half nur rohe Kraft und Gewalt, um Hannibal den Ball wieder zu entreißen.

Eines Morgens, als Hannibal Kannibal den Ball wieder einmal weggeschnappt hatte, während jener mit ihm jongliert hatte, eskalierte der anschließende Kampf um den Ball. Hannibal wollte ihn unbedingt haben und ihn auf keinen Fall mehr hergeben, während Kannibal ihn mit Vehemenz zurückhaben wollte, um zu zeigen, was er mit ihm kann. Zwei Egos prallten unerbittlich aufeinander. Kannibal verfolgte Hannibal, während dieser mit dem Ball davonlief und ihn mit seinen Händen und Armen fest an seinen Körper presste. Als Kannibal Hannibal eingeholt hatte, wälzten sie sich im Staub, aber Hannibal, anders als manches andere Mal, ließ nicht locker und hielt den Ball fest umklammert. Kannibal war sehr zornig darüber, dass er nicht zeigen kann, was er mit dem Ball kann, weil Hannibal ihn nicht hergab. In einer Kurzschlusshandlung biss er Hannibal in die Kehle. Sein Biss war so stark wie sein Zorn (Sein Zorn manifestierte sich also in seinem Biss.): Er tötete Hannibal mit diesem Biss.

Hannibal bäumte sich noch einmal auf und fiel dann leblos zu Boden. Sein Lebenszweck Ich habe den Ball war dem Tod gewichen, und so ließen seine Hände den Ball endlich frei. Kannibal schnappte sich daraufhin den Ball und jonglierte ihn mit Füßen, Schultern und Kopf. Doch dann bemerkte er, dass es ihm gar nicht so viel Spaß macht, zu zeigen, was er mit dem Ball kann, wenn da kein Hannibal ist, der ihm den Ball wegnehmen will. Resigniert setzte er sich auf den Boden neben den leblosen Leib Hannibals. Der Ball kullerte davon. Kannibal langweilte sich. Wer hätte gedacht, dass sein Lebenszweck – zu zeigen, was er mit dem Ball kann – ihn ausgerechnet mit dem Tod Hannibals nicht mehr erfüllen würde. Aus dieser Langeweile heraus begann er, vom Leib des toten Hannibal zu essen. Seitdem ist Kannibal als Menschenfresser in Erinnerung geblieben, dabei ist er doch vor allem der gewesen, der mit dem Ball kann.

Sekt in der Trambahnschleife

Menschen bieten mir Sekt an, aber ich will keinen Sekt! Ich habe Sekt noch nie gemocht! Ich will weg von hier, hinaus an die frische Luft, und gerade als sich alle mit den Sektgläsern zuprosten, bahne ich mir den Weg nach draußen. Die Gläser klirren, aber nicht aneinander, sondern weil sie am Boden aufschlagen. Tizia, das sehe ich im Vorbeigehen, sieht mich vorwurfsvoll an. Sie hat allen Grund dazu, schließlich ist es ihre Galerie, die gerade eröffnet wird, die ich so stürmisch verlasse, dass Gläser auf den Boden klirren und in Scherben zerbrechen. Während meines stürmischen Abgangs fällt mir ein, dass ich früher dachte, eine Sekte sei eine Versammlung von Menschen, die gerne Sekt trinken. „Ihr Sektierer ihr!“ rufe ich in meinem Zorn, als ich endlich den Ausgang erreicht habe.

Draußen endlich Ruhe! Ich gehe die Straße entlang. Ich atme tief ein. Keine Leute um mich, die mich nerven. Ich bemerke aber jemanden hinter mir. Nicht optisch, denn weder habe ich hinten Augen noch drehe ich mich um, sondern akustisch. Es tut sich mir in Form einer lauten männlichen Stimme kund. Ich vermute Folgendes: Entweder der Mann spricht mit einem schwerhörigen Menschen, oder, und das erscheint mir die plausiblere Variante, er spricht über sein Mobiltelefon zu einem anderen Menschen. Ich drehe mich um, und finde meine Vermutung bestätigt: Der Mann spricht über sein Mobiltelefon mit einem anderen Menschen, und zwar in einer Lautstärke, die für einen Schwerhörigen angenehm, für mich, der direkt vor ihm geht, äußerst unangenehm ist.

Ich will es so sehen: Das Mobiltelefon ist ein Segen für die Menschheit. Früher telefonierten die Menschen hinter verschlossenen Wänden, zuhause in ihren Wohnungen oder in einer Zelle, und niemand anderer konnte teilhaben an ihren Gesprächen. Jetzt gehen sie während ihrer Telefonate mit ihren Mobilgeräten in der Gegend herum, um möglichst viele andere Menschen an ihren Gesprächen teilhaben zu lassen. Von diesem Blickwinkel aus gesehen ist mir das Gespräch meines Kompagnons – ja, so will ich ihn nennen: meinen Kompagnon, um das Soziale unserer Begegnung zu betonen – auf der Straße nicht mehr unangenehm. Ich fühle mich nicht mehr gezwungen, mitzuhören, habe nicht mehr den Eindruck, ein Gespräch wird mir aufgedrängt, nein, ich höre interessiert zu. Ich fühle mich als Teil einer intensiven Begegnung.

Die Diskussion meines Kompagnon hinter mir mit seinem schwerhörigen Gesprächspartner am anderen Ende der Funkverbindung dreht sich darum, wer Bier, wer Wein und wer Kippen mitbringt. Hauptsache kein Sekt, denke ich, denn das würde mich zornig machen. Sekt ist das Reizthema dieses Abends, das Reizthema meines Lebens, das bei mir das Fass zum Überlaufen bringt. Reift Sekt in Fässern? Egal. Hauptsache kein Sekt, nur Bier, Wein und Kippen. Gut. Sie vereinbaren, sich auf der Grüninsel in der Trambahnschleife zu treffen, dort seien sie ungestört und können in Ruhe feiern. Eines verstehe ich nicht: Sie wollen ungestört sein, andererseits bekommt gerade die ganze Straße mit, wo sie sich treffen werden, inklusive der Schwerhörigen. Und inklusive mir. Was machen sie, wenn die ganze Straße kommt? Haben sie genug Bier, Wein und Kippen dafür?

Mein Verständnisproblem ist mir egal: Ich will diese Begegnung nutzen, will mich einklinken in die soziale Komponente dieses offenen Mobilgesprächs. Ich drehe mich wieder um zu meinem Kompagnon und sage erfreut: „Ich komme auch!“ Offenbar irritiert verstummt er plötzlich. Sein Blick erinnert mich an den von Tizia, als ich die Galerie der sich mit Sekt Zuprostenden verließ. Mein Hirn assoziiert die Ähnlichkeit der vorwurfsvollen Blicke Tizias und meines Kompagnons sofort mit Sekt: Er wird doch wohl nicht Sekt mitbringen zur Feier in der Trambahnschleife! Streng schaue ich ihn an: Kein Sekt, sondern nur Bier, Wein und Kippen! Ich hoffe er versteht.

Trotzdem habe ich mein Vertrauen in diese Veranstaltung in der Trambahnschleife verloren. Ich biege ab in die nächste Querstraße, während mein Kompagnon, noch immer mit seinem Mobiltelefon am Ohr und das Gespräch wieder aufnehmend, geradeaus weitergeht. Zuhause angekommen, hocke ich mich betrübt in den Sessel. Ich kann Tizias Blick und den Blick meines Kompagnons nicht vergessen. Diese Blicke ähnelten sich so sehr, dass ein Zusammenhang mit Sekt zwangsläufig bestehen muss! Warum nur Sekt, warum nur immer Sekt, obwohl ich Sekt nicht ausstehen kann! Bin ich wirklich nur von Sektierern umgeben? Ich bekomme Angst. Ich bekomme Angst, dass die Partytiger der Trambahnschleife herausfinden wo ich wohne, mich abholen und gewaltsam zur Trambahnschleife schleifen, wo sie mir dann Sekt einflößen. Unruhig und voller Angst gehe ich ins Bett und schlafe erst ein, als meine Valium-Tablette endlich wirkt.

Nächster Morgen: Ich wache auf, noch benommen. Doch die Neugier treibt mich zur Trambahnschleife. Vorsichtig nähere ich mich dem Ort des Geschehens. Er ist verlassen. Ich finde leere Bier- und Weinflaschen und Zigarettenstümmel. Keine Sektflaschen, nirgends, soviel ich auch danach suche. Meine Angst war unbegründet. Da waren keine Sektierer am Werk. Die Einladung, die mein mobiltelefonierender Kompagnon an seine Umwelt ausgesprochen hat, war von ehrenhaftem Charakter, war ein Geschenk für die Welt. Um Buße zu tun und meine Gedanken zu ordnen, sammle ich Kronkorken und Zigarettenstümmel ein, die verstreut herumliegen, und gebe sie in leere Becher und Flaschen, um diesem großen Fest an der Trambahnschleife, das ich leider verpasst habe, ein Denkmal zu setzen.

Fleischgedicht

Es soll Leute geben, die sich von Licht ernähren, die also das photosynthetische Leben einer Pflanze leben. Mir ist diese Gabe nicht gegeben: Im Abstand von jeweils ein paar Stunden meldet mein Körper das Bedürfnis nach Organischem an. Momentan versuche ich, mich von Pflanzlichem zu ernähren, also auf Fleisch zu verzichten. Vielleicht steckt dahinter der unbewusste Wunsch, photosynthetische Fähigkeiten einer Pflanze zu entwickeln. Aber ich muss zugeben: Das fleischlose Leben fällt mir schwer!

Letzte Nacht hatte ich einen Traum: Ich durchwanderte eine idyllische Berglandschaft, als ich auf einer Almwiese eine junge Kuh erblickte. Friedlich riss die Kuh Grashalme aus dem Boden und fraß sie, während ich mich ihr näherte. Ich streichelte sie an den Flanken.

Unversehens zückte ich mein Schwert. Ich war sehr überrascht, wenn nicht gar erschrocken, dass ich ein Schwert bei mir trug, weil ich das im Leben außerhalb meiner Träume nicht tue. Aber in meinem Traum zückte ich es mit großer Selbstverständlichkeit und versetzte der Kuh einen gezielten Stich in ihre Brust. Ich hatte sie getötet. Adrenalin rauschte durch meinen Körper. Erstaunlich, wie mühelos ich das hinbekommen hatte, das Töten, das ohne größeren Widerstand der Kuh abgelaufen war, so sicher saß der Stich, und im Nachhinein muss ich sagen, dass mir das so wohl nur im Traum gelingen konnte. Dann machte ich mich daran, an das Fleisch der Kuh zu gelangen. Das gelang mir ebenfalls mit Fertigkeiten, die ich im Alltag von mir nicht kenne. Der Jäger in mir erwachte in diesem Traum, und meine unendlich große Lust auf Fleisch trieb mich zu Höchstleistungen.

Ich verzichtete darauf, die Kuh in ihre Teile zu zerlegen und sie in eine Küche zu verfrachten. Ich begann am Ort der Tötung vom Fleisch zu essen, solchen Hunger hatte ich. Das Fleisch war noch schön warm und von Blut getränkt. Einige Artgenossen von mir kamen den Weg entlang, wohl vom Geruch angelockt, gesellten sich zu mir und begannen ebenfalls zu essen. Es war genug Fleisch für alle da. Ich freute mich, den Hunger von so vielen stillen zu können.

Als wir uns begierig über das Fleisch hermachten, bemerkte ich Josefine neben mir. Es war ungewohnt, wie wir beide am Leib der getöteten Kuh knieten, mit blutverschmierten Mündern, aber ich freute mich, dass Josefine da war. Erst jetzt war das Festmahl ein richtiges Festmahl. Später, als wir alle satt waren, wusch ich mir das Blut von Gesicht und Händen, nahm meine Gitarre und spielte ein paar Lieder. Die Lieder handelten vom Kommen und Gehen, vom Leben und vom Tod. Neben uns machten sich währenddessen die Geier an die Reste der Kuh.

Als ich heute morgen erwachte, war mir dieser Traum noch sehr präsent. Er hatte etwas Wahrhaftiges an sich. Josefine lag neben mir und schlief selig. Ich hatte unglaublichen Appetit auf Fleisch. Doch ich widerstand meiner Fleischeslust und bereite mir kein Fleischgericht. Stattdessen schrieb ich folgendes kritisches Fleischgedicht:

Ich hatte, wie gesagt,
mir Würste in den Bauch gejagt.
Und die Würste lagen
mir dann sehr im Magen.

Vermutlich war’n sie viel zu fett!
Was Mageres soll’s sein:
Vielleicht etwas vom Schwein –
ein saftig brutzelndes Kotelett?