Fleischgedicht

Es soll Leute geben, die sich von Licht ernähren, die also das photosynthetische Leben einer Pflanze leben. Mir ist diese Gabe nicht gegeben: Im Abstand von jeweils ein paar Stunden meldet mein Körper das Bedürfnis nach Organischem an. Momentan versuche ich, mich von Pflanzlichem zu ernähren, also auf Fleisch zu verzichten. Vielleicht steckt dahinter der unbewusste Wunsch, photosynthetische Fähigkeiten einer Pflanze zu entwickeln. Aber ich muss zugeben: Das fleischlose Leben fällt mir schwer!

Letzte Nacht hatte ich einen Traum: Ich durchwanderte eine idyllische Berglandschaft, als ich auf einer Almwiese eine junge Kuh erblickte. Friedlich riss die Kuh Grashalme aus dem Boden und fraß sie, während ich mich ihr näherte. Ich streichelte sie an den Flanken.

Unversehens zückte ich mein Schwert. Ich war sehr überrascht, wenn nicht gar erschrocken, dass ich ein Schwert bei mir trug, weil ich das im Leben außerhalb meiner Träume nicht tue. Aber in meinem Traum zückte ich es mit großer Selbstverständlichkeit und versetzte der Kuh einen gezielten Stich in ihre Brust. Ich hatte sie getötet. Adrenalin rauschte durch meinen Körper. Erstaunlich, wie mühelos ich das hinbekommen hatte, das Töten, das ohne größeren Widerstand der Kuh abgelaufen war, so sicher saß der Stich, und im Nachhinein muss ich sagen, dass mir das so wohl nur im Traum gelingen konnte. Dann machte ich mich daran, an das Fleisch der Kuh zu gelangen. Das gelang mir ebenfalls mit Fertigkeiten, die ich im Alltag von mir nicht kenne. Der Jäger in mir erwachte in diesem Traum, und meine unendlich große Lust auf Fleisch trieb mich zu Höchstleistungen.

Ich verzichtete darauf, die Kuh in ihre Teile zu zerlegen und sie in eine Küche zu verfrachten. Ich begann am Ort der Tötung vom Fleisch zu essen, solchen Hunger hatte ich. Das Fleisch war noch schön warm und von Blut getränkt. Einige Artgenossen von mir kamen den Weg entlang, wohl vom Geruch angelockt, gesellten sich zu mir und begannen ebenfalls zu essen. Es war genug Fleisch für alle da. Ich freute mich, den Hunger von so vielen stillen zu können.

Als wir uns begierig über das Fleisch hermachten, bemerkte ich Josefine neben mir. Es war ungewohnt, wie wir beide am Leib der getöteten Kuh knieten, mit blutverschmierten Mündern, aber ich freute mich, dass Josefine da war. Erst jetzt war das Festmahl ein richtiges Festmahl. Später, als wir alle satt waren, wusch ich mir das Blut von Gesicht und Händen, nahm meine Gitarre und spielte ein paar Lieder. Die Lieder handelten vom Kommen und Gehen, vom Leben und vom Tod. Neben uns machten sich währenddessen die Geier an die Reste der Kuh.

Als ich heute morgen erwachte, war mir dieser Traum noch sehr präsent. Er hatte etwas Wahrhaftiges an sich. Josefine lag neben mir und schlief selig. Ich hatte unglaublichen Appetit auf Fleisch. Doch ich widerstand meiner Fleischeslust und bereite mir kein Fleischgericht. Stattdessen schrieb ich folgendes kritisches Fleischgedicht:

Ich hatte, wie gesagt,
mir Würste in den Bauch gejagt.
Und die Würste lagen
mir dann sehr im Magen.

Vermutlich war’n sie viel zu fett!
Was Mageres soll’s sein:
Vielleicht etwas vom Schwein –
ein saftig brutzelndes Kotelett?