Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Begierde und Zierde (drei Schwestern im Goldenen Tal)

Berta, Gitta und Zita sind drei Schwestern, deren Vater einst in das Goldene Tal zog, um dem Großstadtleben zu entfliehen. Das Goldene Tal hat einen besonders fruchtbaren Boden, was dem Vater jedoch egal war, obwohl er umfangreiche Ländereien im Tal erworben hatte.

Als der Vater verstorben war, intensivierten Berta und Gitta die Bewirtschaftung der Ländereien, während Zita zurück in die Stadt zog, wo die drei Schwestern einst mit dem Vater hergekommen waren. Bald jedoch wurde Berta und Gitta der Obst-, Gemüse- und Getreideanbau und die Viehhaltung zu mühsam, und sie beschlossen, keine Pflanzen mehr anzubauen und kein Vieh mehr zu halten, sondern nur noch die fruchtbare Erde selbst zu vermarkten. Sie vermarkteten die Erde unter den Namen Begierde, also kurz für Berta-und-Gitta-Erde.

Die Erde verkaufte sich anfangs gut, auch in der Stadt, und so kam die jüngste, in der Stadt wohnende Schwester Zita, zurück ins Goldene Tal und bestand auf ihrem Teil des Erbes der Ländereien. Nach einigen Rechtsstreitigkeiten traten Berta und Gitta ihr einen Teil der Ländereien ab, und Zita vermarktete fortan Erde aus dem Goldenen Tal unter dem Namen Zierde.

Die Zierde verkaufte sich jedoch nicht so gut wie die Begierde, woraufhin Zita einen medienwirksamen Streit mit ihren Schwestern anzettelte, der dazu führte, dass sich in der Öffentlichkeit die Meinung bildete, die besondere Qualität der Erde aus dem Goldenen Tal sei ein Schwindel der Schwestern, die Erde habe nur ihre besondere Qualität, wenn sie im Goldenen Tal verbleibe und dort auf ihr Gemüse, Obst und Getreide angebaut und Vieh gehalten werde. Umfangreiche Rückrufaktionen von Konsumentenschutzverbänden wurden daraufhin organisiert. Tonnenweise brachten Lastwägen die Erde in das Goldene Tal zurück, woraufhin Berta und Gitta nichts anderes übrig blieb, als die zurückgebrachte Erde wieder auf ihre Ländereien zu verteilen und darauf Gemüse, Obst und Getreide anzubauen und Vieh zu halten, während Zita ihren Anteil wieder an ihre beiden älteren Schwestern zurückgab und sich fortan gänzlich in die Stadt zurückzog.

Das Lied vom sonnigen Sonntag

Valentin, der sich auch Karl nennt, ist ein Freund von mir, der sich der gesellschaftskritischen Kleinkunst verschrieben hat. Doch es ist nicht leicht, sich der gesellschaftskritischen Kleinkunst zu verschreiben, sagt Valentin, denn die Leute wollen mich nicht leben lassen, wenn ich sie kritisiere.

Am meisten, sagt Valentin, hasse er die Sonntage, denn da haben die Leute Zeit und tragen ihre Neurosen, die er an ihnen kritisiert, spazieren. An Sonntagen tritt ihm die Gesellschaft so geballt gegenüber und überfordert ihn, und er muss sich nur noch über sie aufregen und ist nicht mehr fähig, sie konstruktiv zu kritisieren.

Er geht deshalb an Sonntagen nicht in den Stadtpark, wo er sich sonst gerne aufhält, denn dort lungern am Sonntag die Leute aus der Stadt herum. Sie wollen sich von ihrem neurotischen Leben entspannen und bringen doch nur ihre neurotische Anspannung mit. Und sie bringen ihre Hunde mit, sagt Valentin, und ein Hund, der in der Stadt lebt und keine natürliche Aufgabe habe, entwickle zwangsläufig eine Neurose, sagt Valentin, und außerdem nehme der Hund die Neurosen seiner Halter an. Ein Stadthund leide also an einer Doppelneurose: an einer Umgebungs- und an einer Halterneurose, sagt Valentin.

Nun ist es jedoch so, dass in der kalten Jahreszeit die Sonnenstunden rar sind und Valentin deshalb im Winter auch an einem Sonntag, wenn er schon sonnig ist, in den Stadtpark gehen möchte. Er hat deshalb beschlossen, seinen Frieden mit der neurotischen Gesellschaft zu schließen. Diesen Frieden will er mit einem Ritual schließen. Er hat ein Lied zum sonnigen Sonntag komponiert und will es im Stadtpark vortragen. Dazu tragen ich und weitere Freunde von Valentins Kleinkunst eigens sein Piano von seiner Wohnung in den Stadtpark. Dick eingepackt wegen der winterlichen Temperaturen schwitzen wir in der tiefen Wintersonne, aber Valentin ist wildentschlossen, sein Ritual durchzuführen. So schleppen wir ächzend und stöhnend das Piano weiter. Endlich angekommen, bauen wir das Piano im Amphitheater des Stadtparks auf. Um ums herum setzt der übliche Sonntagstrubel ein. Leute spazieren zuhauf vorbei und starren neugierig auf das Piano. Valentins Friedensbeschluss mit dem sonnigen Sonntag beginnt zu bröckeln, und als schließlich ein Hund das Piano laut bellend anbrüllt, befiehlt Valentin, das Ritual abzubrechen und das Piano wieder nachhause zu tragen. Alles Zureden hilft nicht: Nach einiger Zeit machen wir uns wieder auf den Weg und schleppen das Piano zurück in Valentins Wohnung.

In seiner Wohnung hat Valentin ein kleines permanentes Auditorium aufgebaut, wo er Probekonzerte seiner Werke für den engeren Bekanntenkreis gibt. Wir ermunteren ihn, sein Lied zum sonnigen Sonntag für uns zumindest hier vorzutragen. Nach anfänglichem Zögern stimmt er zu, doch hat Elisabeth, die sich auch Karlstadt nennt, wie zum Hohn einen Hund mitgebracht:

Trotzdem gefahren

Jeder sagte
ich solle nicht
zum Verfahren fahren
die Straßen
seien voller Gefahren
und nicht zu befahren

Sie sagten:
Lass das Verfahren
fahren

Ich bin
trotz aller Gefahren
gefahren
nur um mich
auf dem Weg zum Verfahren
zu verfahren

Posi und Nega (bringen die Brühe zuwega)

Der Posi und die Nega sind zwei Gebirgsflüsse, die sich in der Ebene vereinigen und von dort gemeinsam weiterfließen. Der Posi durchfließt Gebirge mit rötlichem Gestein. Sein Wasser hat von Anfang an eine rötliche Färbung. Das Wasser der Nega ist im Gebirge kristallklar, ehe sie in der Ebene vor dem Zusammenfluss mit dem Posi eine Moorlandschaft durchfließt, was ihr Wasser schwärzlich färbt.

Ab ihrem Zusammenfluss werden die beiden Flüsse Brühe genannt, sodass jedes Kind aus dem Posi-Nega-Brühe-Gebiet lernt: Posi und Nega bringen die Brühe zuwega.

Beim Zusammenfluss hat die Nega das tiefere Flussbett, sodass ihr schwarzes Wasser unter das rote des Posi taucht. Die Brühe ist deshalb einige Kilometer lang ein roter Fluss wie der Posi, ehe das schwarze Wasser der Nega mehr und mehr nach oben drängt und sich die Wassermassen zu einer rot-schwarzen Brühe vermischen.

Manchmal aber führt der Posi Hochwasser und die Nega nicht. Der Posi führt dann so viele rote Mineralien mit sich, dass sein rotes Wasser, weil es mit den Mineralien sehr schwer ist, sich sofort mit dem schwarzen Wasser der Nega mischt. An solchen Tagen sagt man: Heute ist die Brühe von Anfang an eine Brühe.

Symbolische Darstellung des Posi-Nega-Zusammenflusses anhand zweier Batterieladekabel

Ate, Ute und Ete

Beate und Ute sind zwei Schwestern. Während Ute von ihrer Schwester so genannt wird, wie sie heißt, nämlich Ute, wird Beate von Ute Ate genannt.

Oft passiert es den beiden, dass jemand sie nicht unterscheiden kann. Wenn jemand Beate fragt: Bist du Ute?, dann sagt Beate: Nein, ich bin Ate. Wenn jemand Ute fragt: Bist du Beate?, dann sagt Ute: Nein, ich bin Beute. Denn wenn Ate zu Beate wird, dann wird Ute zu Beute. Und wenn Beute zu Ute wird, dann wird Beate zu Ate. Wir heißen Beate und Beute, aber wir nennen uns Ate und Ute, sagen die beiden zur Erklärung. Obwohl sie doch eigentlich Beate und Ute heißen, und sich abwexhselnd Ate und Ute oder Beate und Beute nennen.

Beate und Ute sind acht Jahre alt, als ihre Mutter, die noch immer jung ist, ein weiteres Mädchen gebärt, dem sie den Namen Angelika gibt. Beate und Ute fremdeln mit ihrer kleinen Schwester, auch weil sie so anders heißt als sie beide. Doch sie bemühen sich sehr, sie in ihre Welt aufzunehmen. Sie gehen mit Klein-Angelika spazieren und schieben sie im Kinderwagen durch den Park. Als sie an Blumenbeeten vorbeikommen, hat Ate eine geniale Idee und sagt zu Ute: Vergiss den Namen Angelika – ich heiße Beate, du heißt Beute, und Angelika heißt ab sofort Beete.

Und wir nennen sie Ete! ruft Ute freudestrahlend vor dem Blumenmeer hinter ihr.

Hier seht ihr wie ein Mainzer fällt

Es war Sonntag, der 13. November 2022: ein Fußballspiel zwischen dem FSV Mainz 05 und Eintracht Frankfurt, dass ich, ich weiß nicht mehr warum, vor einem Fernsehschirm verfolgte. In der Schlussphase des Spiels fiel der Mainzer Spieler Jonathan „Jonny“ Burkardt, der das zwischenzeitliche Führungstor für seine Mannschaft erzielt hatte, nach einem Kampf um den Ball schmerzhaft zu Boden, und Kommentator Wolff-Christoph Fuss kommentierte die Wiederholung dieser Szene mit den Worten: Hier seht ihr wie ein Mainzer fällt.

Fuss hatte sich hiermit endgültig als der Poet unter den Fußballkommentatoren geoutet: Er hatte Dirk von Lowtzow von Tocotronic auf kreative Weise zitiert, denn von Lowtzow singt: Hier seht ihr wie ein Mann zerfällt.

Meine Welt geriet durcheinander, denn Fuss und von Lowtzow hatten bisher für mich in völlig getrennten Welten operiert. Diese Verschmelzung kam sehr überrasschend. Hat von Lowtzow den Fall Burkardts prophetisch vorhergesehen und das Lied genau für diesen 13. November 2022 geschrieben, für diesen Moment in der Schlussphase des Spiels, als der Mainzer Burkardt fällt? Singt er eigentlich ein Mainzer fällt und nicht ein Mann zerfällt?

Oder ist das viel zu romantisch gedacht? Bei meiner weiteren Online-Recherche fand ich heraus, dass Jonny Burkardt gar kein Mainzer, sondern in Darmstadt geboren und aufgewachsen ist, ehe er im Alter von vierzehn Jahren zum FSV Mainz 05 wechselte. Andererseits, Burkardt scheint inzwischen ein Mainzer zu sein, wurde doch über seine kürzliche Berufung in die deutsche Nationalmannschaft so berichtet: Bundestrainer Nagelsmann beruft Mainzer Burkardt.

Und ist es ausgeschlossen, dass Dirk von Lowtzow sich für Fußball interessiert, vielleicht sogar im speziellen für den FSV Mainz 05? Burkardt hatte sich bei seinem Fall schwer verletzt, er zog sich eine Kniegelenksdistorsion mit einem Knochmarködem zu. Hat von Lowtzow diesen schmerzhaften Moment prophetisch festgehalten, in seinem nicht enden wollenden Lamento am Ende des Lieds: Hier seht ihr wie ein Mainzer fällt.

Geherbste im Herbst

Im feinen Geäst verstummte das Gekrähe der Krähen, stattdessen vernahm ich das Gemeise der Meisen und das Gefinke der Finken. Die Finken waren Schmutzfinken, Schmutzfinken die stinken, ich verließ das Geäst, das finkige Gestinke, und befreite mich ins Freie, doch es war kein Gefreie im Freien, mehr ein Gewinde des Windes und ein Gestürme des Sturmes, und die Erde war kalt und gewürmt vom Gewürme des Wurmes. Ich suchte Schutz, das Geschütze des Schutzes, ich fand es im Geäst der Äste, das das Gewinde und Gestürme drosselte, und vernahm, trotz astigem Geäst, kein Gemeise, kein stinkiges Gefinke, sondern ein Gedrossel der Drosseln.

Ich setzte mich, um zu liegen

Sprache kann Wahrheiten zementieren. Sprache kann sich aber auch schwer tun, Wahrheiten auszusprechen.

Ich wollte einen Vorgang folgendermaßen beschreiben: Ich setzte mich, um zu sitzen. Doch die Ereignisse überschlugen sich derart, dass diese Beschreibung nicht mehr der Wahrheit entspricht und, um mich der Wahrheit wieder anzunähern, ich versuche, das Geschehene genauer zu beschreiben:

Ich stand mit dem Rücken zu einem Stuhl. Ich beugte meine Knie und meine Hüften, um mein Gesäß auf dem Stuhl niederzulassen. Ich betrieb also einen Vorgang, den man Sich Setzen nennt, um einen Zustand zu erreichen, den man Sitzen nennt.

Doch während meines Vorgangs des Sichsetzens wurde mir der Stuhl unter meinem Gesäß weggezogen, was ich nicht bemerkte, da es geräuschlos geschah und ich, den Kopf nach vorne gerichtet, mit meinen Menschenaugen nur nach vorne sah und nicht sah, was hinter mir geschah. Ich plumpste in der Folge zu Boden und kam in einem Zustand auf jenigem an, der nicht der des angestrebten Sitzens war. Mein erreichter Zustand war am ehesten mit dem des Liegens zu vergleichen.

Meine ursprüngliche Absicht, mich zu setzen, um zu sitzen, entsprach also nicht den Tatsachen. Wie soll ich nun die Tatsachen beschreiben, ohne allzu ausschweifend zu werden? Soll ich schreiben Ich setzte mich um zu liegen? Ich setzte mich ja keineswegs in der Absicht, um danach zu liegen. Vielleicht sollte ich aufhören, meinen Willen in meinem sprachlichen Ausdruck zu achten, denn mein Wille wurde ja von dem Mitmenschen, der mir den Stuhl unter dem Arsch wegzog, missachtet. Als willenloses Wesen entspricht es also den Tatsachen wenn ich sage: Ich legte mich um zu liegen. Doch ist das der Sinn der menschlichen Existenz, sich willenlos allem zu fügen was geschieht? Nein, denn ich wollte mich setzen, um zu sitzen, doch ein Mitmensch wollte, dass ich mich lege, um zu liegen.

Und so kann der sprachliche Kompromiss bei der zusammenfassenden Darstellung der Tatsachen doch nur lauten: Ich setzte mich, um zu liegen.

Genesung

Singen, sang, gesungen, sagte sie, nein, sie sagte es nicht, sie sang es, weil sie alles singt, sagt sie, und sie wolle ein Vorbild sein für mehr Gesang, jedenfalls bezeichnet sie die Laute, die aus ihrer Kehle kommen, als Gesang, und während sie ihre gesanglichen Laute in die Welt schmetterte, fragte ich mich, ob Sung ein Synonym für Gesang ist, außerdem fragte ich mich, ob man statt Singsang auch Singsung sagen kann, in meine Überlegungen hinein sagte sie, nein, sang sie, dass der Gesang in ihren Genen liegt, und sie sei froh darüber, denn die Welt könne am Gesang genesen, wenn die Welt mehr sänge. Bis dahin singe sie, sangsagte sie, und ich war froh, bei der nächsten Station auszusteigen, es lag mir auf den Lippen, ihr gute Genesung zu wünschen, doch ehe diese Worte meine Lippen verließen, wurde mir klar, dass es richtiger war, ihr guten Gene-Sung zu wünschen.

Automaten (und sonstiges preussisches Geschwätz)

Die Umstände, die mich nach Mainz führten, können hier nicht näher erörtert werden. Wichtig ist jedoch, dass ich mich, als ich in Mainz war, an einen Bekannten erinnerte, der in der Nähe von Mainz, auf dem Gebiet einer ehemaligen, jetzt trockengelegten Aulandschaft, Tomaten züchtet und anbaut. Er nennt sein Produkt Automaten und findet das sehr lustig und originell. Ich finde es: naja – hat nicht Willy Astor schon über Au-Tomaten referiert? Und wie sagt Astor über sich selbst so richtig: Wortspiele sind rein mein Gebiet.

Das bringt mich zurück nach Mainz, wo der Main in den Rhein fließt, sozusagen ins Herz des Rhein-Main-Gebiets. In Mainz jedenfalls klingelte mein Mobiltelefon, und wie es der Plot dieser Geschichte wollte, war es mein Bekannter, der Tomatenzüchter aus Mainz, der mich anrief. Ich zögerte, ans Telefon zu gehen, war ich doch nach Mainz gekommen – so viel kann ich sagen -, um allein zu sein, oder zumindest, um niemanden zu treffen. Doch das Telefon klingelte und vibrierte mit ausdauernder Penetranz, sodass ich dran ging.
„Na, mein Freund!“ erschallte sofort die Stimme meines Bekannten: „In welchem Gebiet treibst du dich gerade herum?“
„Wie kommst du darauf?“ fragte ich mit einer Mischung aus Verunsicherung und Ablehnung.
„Wie komme ich worauf?“
„Mich zu fragen, in welchem Gebiet ich mich gerade rumtreibe!“
Er lachte lautstark, um ohne Pause mit seinen Ausführungen fortzufahren:
„Ich bin gerade in Österreich, Urlaub im Salzburger Land. Und fast jeder Einheimische, mit dem ich ein Gespräch beginne, sagt nach kurzer Zeit: Gebiete! Ich habe keine Ahnung, was sie damit meinen. Aber um das Gespräch nicht ins Stocken zu bringen, rede ich einfach weiter. Die meisten winken dann ab und entfernen sich wortlos von mir. Was ist bloß los mit diesen Leuten? Und was meinen sie mit Gebiete?

Kurz überlegte ich, ebenfalls abzuwinken und das Gespräch wortlos zu beenden, doch ehe ich mich dazu entschließen konnte, redete er weiter:
„Ich habe an dich gedacht, der du als Bayer ein halber Österreicher bist. Kannst du mir weiterhelfen?“
Ich atmete tief durch, dann entgegnete ich:
„Sie sagen nicht Gebiete!, sondern Geh bitte!
„Nein, ganz bestimmt nicht: Sie sagen Gebiete, das I sprechen sie sehr lang.“ protestierte er vehement.
„Das machen die Österreicher gerne: Vokale lang sprechen. Und wahrscheinlich sagen sie Geh bitte! nicht im wörtlichen Sinn zu dir, sondern eher im Sinne von Nicht schon wieder du, lass mich in Ruh! Wahrscheinlich bist du mit deinem preussischen Geschwätz schon ortsbekannt.“

Jetzt war Ruhe in der Leitung, und für einen Moment tat es mir leid, ihn verbal so scharf angegangen zu haben. Vor allem mit der Bezeichnung seines Geredes als preussisches Geschwätz hatte ich einen wunden Punkt berührt, war doch seine Familie über Jahrhunderte in Ostpreussen ansässig gewesen, bis sie nach dem Krieg von den Russen vertrieben wurde.
„Aber ich will nur lustig sein, da die Österreicher doch ein so lustiges Volk sind!“ sagte er, um Rechtfertigung ringend.
„Die Österreicher sind lustig, weil sie nicht lustig sein wollen. Und du bist nicht lustig, weil du lustig sein willst. Erzwungene Lustigkeit wie beim Karneval, wo dreimal die Fanfare erklingt, damit jeder weiß, dass er lachen muss, ist dem Österreicher fremd.“
„Komisches Volk!“ murmelte er in sich hinein: „Naja, so lange bin ich ja nicht mehr hier.“ Er sammelte sich und fragte: „Wann kommst du mal wieder nach Mainz?“
„In nächster Zeit eher nicht“, sagte ich: „Du weißt ja – Rhein-Main – das ist nicht so mein Gebiet.“