Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna. Während der Fahrt hatte ich viel Zeit, mir Gedanken zu machen, und so machte ich mir den Gedanken, dass Borna die weibliche Form von Born ist, wobei Born, das habe ich gerade eben recherchiert, die historisierend-poetische Bezeichnung für einen Brunnen ist, wonach eine Borna ein weiblicher Born wäre, eine Brunnena. Zugleich fiel mir jedoch in den Gedanken, den ich mir gemacht hatte, ein anderer Gedanke, nämlich dass es einen professionellen Fußballspieler gibt, der Borna Sosa heißt. Borna ist also kein weiblicher Brunnen, sondern ein männlicher Vorname.
Borna erreichte ich über die Autobahn bei strömendem Regen, ich fuhr ins dortige Krankenhaus, um meinen Wagen einem Arzt zu übergeben, ich fragte den Arzt, ob ich selbst mich ihm auch übergeben kann, ich erläuterte ihm, wie mich die Gedanken, die ich mir mache, quälen, er sagte, er sei kein Gedanken-Arzt, und außerdem hatte er nicht erwartet, mich zu übernehmen, sondern nur den Wagen. So ging ich bei strömendem Regen vom Krankenhaus zum Bahnhof, ein Marsch von fast drei Kilometern, der Zug kam pünktlich, es hielt mich nicht in Borna, ich hoffte, meine Gedanken dortzulassen, doch in Leipzig angekommen, wo ich die Bahn am Wilhelm-Leuschner-Platz am südlichen Ende der Altstadt verließ, um die selbige bis zum Hauptbahnhof an ihrem nördlichen Ende gehend zu durchqueren, machte ich mir neue Gedanken, ich fragte mich, wo ich bin, ja, Leipzig ist mir ein Begriff, aber mehr nicht, ich ging wie ein Fremder, fast wie ein Außerirdischer durch die Stadt und beschloss, nicht zu bleiben, ein Begriff, dachte ich, die Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer gedanklichen Einheit, der geistige, abstrakte Gehalt von etwas, während der Zug aus dem Leipziger Hauptbahnhof ausrollte, in Erfurt stieg ich wieder aus, wieder stapfte ich durch die Stadt, über die Gera bis zum Dom und zurück, wieder war ich ein Fremder, es regnete übrigens wie in Strömen wie in Borna, während der Regen in Leipzig Pause gemacht hatte, wie ein Ferngesteuerter betrat ich den Bahnsteig, bestieg den Zug, der Zug rauschte mit fast dreihundert Kilometern pro Stunde durch etliche Tunnels durch den Thüringer Wald, ist das der moderne Mensch, der durch die Gegend rauscht um niemals anzukommen, und wenn er ankommt, ist er ein Fremder, fast wäre ich in Nürnberg, dem nächsten Halt, ausgestiegen, um wieder ein Fremder zu sein, aber ich ließ es sein, ich blieb im Zug und fuhr weiter nach München, in der Hoffnung, dort kein Fremder zu sein, aber auch hier war ich ein Fremder, diesen Gedanken machte ich mir zumindest, ich war müde und erschöpft und hatte keine Lust mehr, mir Gedanken zu machen, aber ich machte sie mir, da kam ich an einem sprudelnden Born vorbei, ich wusch mir das Gesicht und fühlte mich zuhause, ich merke jetzt, wo ich das schreibe und mir wieder Gedanken mache, dass zuhause der falsche Begriff ist, ein abstrakter geistiger Gehalt, der an meinem Leben vorbeigeht.
Ohne zu recherchieren wo ich hinfahre, fuhr ich nach Borna…