Ich glaube, das war unser Einverständnis: Wir empfanden unsere Bergierden als dunkel. Wir glaubten, dass sie im Dunkeln niemand sehen kann, nicht einmal wir selbst:
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Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.
Eine taube Taube, oder: Ein Taubenmännchen ist kein Tauber, sondern ein Täuberich
eine Geschlechterdiskussion
Mit dem Läuten kam ich ins Klassenzimmer, gerade noch vor dem LehrerIn, und stürmte zu meinem Platz. Ich war noch beim Auspacken der Schreibsachen, als das LehrerIn überraschend eine Schularbeit ansagte: Wir sollen aufschreiben, was wir heute Morgen auf dem Schulweg erlebt haben.
Diese Schularbeit kam mir sehr gelegen, hatte ich doch heute Morgen auf dem Schulweg etwas erlebt, das mich sehr beschäftigte. Doch als ich nun auf meiner Schulbank saß und sich mein Herzschlag allmählich beruhigte, wusste ich nicht, was ich auf das weiße Blatt Papier schreiben sollte, um mein Erlebnis zu beschreiben. Zögernd nahm ich den Stift in die Hand und schrieb:
Eine taube Taube
Ja, die Taube war reglos auf der Straße gesessen. Ich hatte mit der Fahrradklingel geklingelt und mit meiner Stimme gerufen, Flieg weg Taube! hatte ich gerufen, aber sie hörte nicht und blieb reglos sitzen. Es war eine taube Taube. Ich hatte gerade noch rechtzeitig gebremst, um sie nicht zu überfahren.
Ich hatte die taube Taube vor Augen, als ich mit dem Stift in der Hand auf der Schulbank saß. Ich sah, wie mich die taube Taube angesehen hatte, und plötzlich wurde mir klar, dass die taube Taube kein Weibchen, sondern ein Männchen gewesen sein muss. Ich strich Eine taube Taube durch und schrieb daneben: Ein tauber Tauber. In diesem Moment kam das LehrerIn an mir vorbei und schaute mir über die Schulter. Das LehrerIn sagte:
Nein, Emil, das macht keinen Sinn. Ein tauber Tauber – das ist eine Tautologie!
Ich hatte das Wort Tautologie noch nie gehört gehabt und verstand statt Tautologie Taubologie. Ich dachte: Natürlich macht das Sinn – es geht um Tauben, also ist es Taubologie, und schüttelte innerlich den Kopf über den Unsinn, den das LehrerIn da sagte. Ich wurde jedoch unsicher, ob es wirklich ein Taubenmännchen gewesen war, das da taub auf der Straße gesessen war. Ich war mir plötzlich sicher, dass es doch ein Taubenweibchen gewesen sein muss. Also strich ich Ein tauber Tauber wieder durch und schrieb daneben: Eine taube Taube.
Das LehrerIn stand noch immer neben mir und sagte:
Das ist derselbe Unsinn! Es ist doch klar, dass eine Taube genauso taub ist wie ein Tauber!
Ich glaube aber, es war eine Taube und kein Tauber, entgegnete ich.
Das ist nicht wichtig! meinte das LehrerIn jetzt ungehalten, ob es ein Tauber oder eine Taube war. Beide sind taub.
Nein. Es war nur eine Taube taub. Ich habe nur eine gesehen, und die war wie gesagt eine Taube und kein Tauber.
Dann schreib bitte: Eine Taube.
Aber es war doch eine taube Taube…
Das LehrerIn schaute mich streng an und ging wortlos weiter, sodass ich mich wieder auf die Nacherzählung meines morgendlichen Erlebnisses auf dem Schulweg konzentrieren konnte. Ich blieb jedoch wieder bei der Frage stecken, ob es sich um ein Taubenmännchen oder um ein Taubenweibchen gehandelt hat, das ich taub auf der Straße sitzen gesehen hatte, und nun erschien es mir wieder richtiger, dass es ein Männchen gewesen war. Ich strich also Eine taube Taube durch und schrieb – nein, ich schrieb nicht, ich stockte, denn plötzlich fiel mir Entscheidendes ein:
Ohne zu zögern, der Dringlichkeit entsprechend, rief ich laut: Divers LehrerIn, ich weiß jetzt, wo der Fehler liegt – ein Taubenmännchen ist kein Tauber, sondern ein Täuberich!
Frank an den Furten
Er war Frank
ging mit Ochsen und Schwein
durch das Land
und war voller Hass.
Den Fluss überquerte er
an einer seichten Stelle,
an einer Furt.
Dort ließ er die Ochsen.
An der nächsten Furt
ließ er das Schwein.
Nun war er allein
mit dem Hass
doch auch den
ließ er zurück
an der nächsten Furt.
Auch Frank
wollte er nicht mehr heißen
und ließ diesen Namen
an der nächsten Furt.
Als er zur nächsten Furt kam
war er nur mehr er.
Er brauchte nicht mehr.
Heute erinnern die Städte Ochsenfurt, Schweinfurt, Haßfurt, Frankfurt und Erfurt an ihn.
Was tat sie? (Als Zutat die Zitat)
Was tat sie? Braucht es als Zutat das Zitat, um die Tat zu titrieren? Ist das Zitat die Tat, obwohl es das ist? Falls das Zitat die Tat ist, muss ich es finden. Ich suche das Zitat, und finde die Zitat, indem ich mich selbst zitiere: Was tat sie?
Gedanken los
Die
B u c h s t a b e n
stehen vor mir wie Zeichen, die keinen Sinn ergeben. Abstrakt, also sich nur im Gedanklichen, Theoretischen bewegend und keinen unmittelbar feststellbaren Bezug zur Wirklichkeit habend, ist der letzte Sinn, den ich in ihnen erkennen kann. Mein Leben, so wie ich es bisher kenne, entschwindet mit dem entschwindenden Sinn der Buchstaben.
Du sitzt neben mir, das kommt mir fast wie ein Wunder vor, nach allem, was geschehen ist. Es ist ein Wunder, dass wir beide auf dieser Bank sitzen. Auf einer Bank, nicht auf zwei Stühlen, nein, auf einer Bank. Dein Körper und meiner auf einer Bank sitzend, dieser Zustand beruhigt mich, nein: Er beruhigt mich nicht, denn Beruhigen ist ein zu abstraktes Wort, viel zu abstrakt, wenn ich an unser konkretes Sitzen auf einer Bank denke. Ich will überhaupt nicht denken – weder abstrakt noch konkret -, wenn es um dich geht und um mich, deshalb will ich auch nicht schreiben, denn Schreiben ist Denken.
Jetzt rieche ich dich, ich rieche dich wie du neben mir auf einer Bank sitzt, dein Geruch dringt in meine Nase und lässt mich hinüberkippen, zunächst glaube ich, zu dir hinüberzukippen, ich glaube, die Bank sei plötzlich schief und lässt mich zu dir hinüberkippen, doch das ist eine falsche Wahrnehmung und folgich eine unzureichende Darstellung des Ereignisses, die Bank ist nach wie vor gerade, zumindest nach menschlichen Maßstäben, bin etwa nicht ich hinüber-, sondern du herübergekippt, viel zu viele Gedanken, die sich im Moment ihres Denkens als überflüssig erweisen, finden wir uns doch plötzlich in einem weichen Bett wieder, es ist anzunehmen, dass wir in es hineingekippt sind, ich spüre deine weiche Haut auf meiner, unsere Bewegungen machen es mir unmöglich, weiter zu schreiben, m e i n K o p f l ä s s t d i e G e d a n k e
n
l
o
s
Ratg-Eber
Die Zahl 4, vermutet Vorderbrandner, begleitet mich seit meiner Geburt. Obwohl seit jeher mehr zu den Buchstaben als zu den Zahlen hingezogen, liebe ich es, vier Buchstaben in einer Reihe zu sehen, oder acht, die ich dann durch zwei teilen kann. In meiner frühen Schulzeit, als ich lesen und schreiben lernte, waren die Wörter dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn und neunzehn aufgrund ihrer klaren 4+4-Struktur meine Lieblinge. Später wagte ich mich an komplexere Fälle wie das Wort Ratgeber heran, das ich nicht in die Worte Rat und Geber teilte, was drei plus fünf Buchstaben ergeben hätte. Ich blieb bei meiner strengen 4+4-Arithmetik und teilte das Wort in die Teile Ratg und Eber. Dabei stellte ich mir vor, dass Ratg eine Stadt sei, irgendwo im slawischen Sprachraum. Bald modifizierte ich diese Vorstellung dahin, dass Ratg eine bäuerliche Rotte sei, in der spezielle Eber, die Ratg-Eber, gezüchtet werden.
Später, im fortgeschrittenen Schulalter, vertraute ich nicht mehr meiner Vorstellungskraft, sondern recherchierte, was Ratg zu bedeuten habe, und fand heraus, dass Ratg in Österreich für Rechtsanwaltstarifgesetz steht. Nun war wieder meine Vorstellungskraft gefragt, nämlich darüber, was ein Rechtsanwaltstarifgesetz-Eber sein könnte. Ich studierte das österreichische Rechtsanwaltstarifgesetz, doch es stellte sich als eine zu abstrakte Basis dar, um Phantasie darüber zu entwickeln, was ein Rechtsanwaltstarifgesetz-Eber sein könnte. Wieso muss es unbedingt ein Eber sein? Wieso kann es keine Sau oder ein Ferkel sein, eine Ratg-Sau oder ein Ratg-Ferkel? Oder könnte man nicht allgemein vom Rechtsanwaltstarifgesetz-Schwein sprechen?
Ich verzweifelte über meinen Überlegungen, so Vorderbrandner weiter, und bekam den Eindruck, dass die Worte Ratg und Eber gemeinsam überhaupt keinen Sinn ergeben, zumindest nicht in meinem Kopf. Ich fragte meinen Deutschlehrer, ob er denn einen Sinn in der Kombination der Worte Ratg und Eber sehe, woraufhin mein Deutschlehrer sagte: Nein, aber wenn ich dir einen Rat geben darf…
Ich unterbrach ihn, denn ich hatte genug gehört. In meinen Ohren klangen die Worte Ratg und eben, woraufhin sich die Phantasie in meinen Kopf wieder aktivierte: Es muss sich bei Ratg um eine bäuerliche Rotte handeln, die in der Ebene liegt, auf ebenem Grund, um Platz für die Eber zu haben, die dort gezüchtet werden. Ich dachte sofort an Niedersachsen und seine riesigen Schweinefarmen, ruderte jedoch umgehend zurück, denn Ratg als Name einer niedersächsischen Bauernrotte konnte ich mir nicht vorstellen. War Ratg gar, trotz der vielen Berge und der wenig ebenen Flächen, eine Ansiedlung im Österreichischen, aufgrund des österreichischen Rechtsanwaltstarifgesetzes? Dazu würde die historische und geographische Nähe des Österreichischen zum Slawischen passen. Doch warum stellte ich mir Ratg als eine slawische Rotte vor? Dachte ich an die Stadt Ratibor, im schlesischen Tiefland gelegen (Ist es dort eben?), die jedoch nicht slawisch, sondern schlesisch ist?
In meiner völligen Verwirrtheit, so Vorderbrandner am Ende seiner Ausführungen, erschien mir mein Deutschlehrer. Und ich ließ ihn zu Ende sprechen: Wenn ich dir einen Rat geben darf: Weiche in diesem Fall – wenn es dir möglich ist – von deiner strengen 4+4 zu einer 3+5-Arithmetik ab!
Eine Jugend in Zitaten
Gerade heute fällt mir ein, dass es schon lange her ist, als mich ein Gefühl übermannte, das ich nicht kannte. Ich rang es nieder mit meinem Geist, mit meinem Kleingeist, wie sollte er ein Großgeist sein, gerade dem Kindsein entwachsen. Mein Kopf wurde immer größer, doch die Worte wurden für mich so schwer, dass ich sie nicht mehr singen konnte wie bisher. Was sollte ich machen an dieser Stelle, an der du mir gegenüber standst? Auf dich zugehen? Davor hatte ich zuviel Angst, denn dann würde das Gefühl, das ich nicht kannte, mich noch mehr übermannen: Ich war die Angst, die Angst vor mir, nur in deiner Furcht war ich bei dir.
Trotzdem ging ich auf dich zu, um von dir abzufallen, um mich als Abfall zu erleben. Meine Ich-Maschine sprang an und drehte sich im Kreis, im Kreis um mich. Wie sollte ich dir nah sein, wenn ich mich selbst nicht von mir entfernen konnte? You make me, sagte ich, um mich von mir abzulenken. Da brachte Blumfeld nach der Ich-Maschine, aus der sich mein Geist speiste, sein zweites Album heraus. Ich flüchtete mich ins Alleinesein, ohne zu wissen, dass einem im Alleinesein die Gefühle übermannen, weil man mit allem eins ist:
Nachruf auf eine Gourmette
Im Essen
kannte sie sich aus.
In Essen
hatte sie ein Haus.
Dort sie mich empfing
manches Mal im Saal,
wo sie mir
manches Mahl
empfahl.
Was ich werden wollte
Als ich zehn Jahre alt war, fragte mich eine ältere Dame – ich glaube es ware eine Schwester meiner Großmutter: „Was willst du werden?“
Ich sagte: „Ich will Hofnarr werden.“
Der entgeisterte Blick der älteren Dame sagte mir, dass ich in diesem Moment Hofnarr geworden war.
Die Erreiche in Eichendorf (vormals Buchendorf)
Erwin Err war ein Baumforscher, der sich vorwiegend mit Eichen beschäftigte. Er gilt als Begründer der Eichologie bzw. Quercusologie. Sein Geburtsort Buchendorf wurde nach seinem Tod ihm zu Ehren in Eichendorf umbenannt. Außerdem wurde eine Eiche gepflanzt, die als Erreiche Bekanntheit erlangte. Über viele Jahre pilgerten Anhänger der Lehre Erwin Errs, sogenannte Quercusianer, zu dieser Eiche.
Mit der Zeit jedoch geriet Erwin Err in Vergessenheit, auch die Erreiche war nur mehr eine gewöhnliche Eiche. Sie fällt dennoch noch immer auf, stehen doch in Eichendorf außer der Erreiche kaum Eichen, sondern fast ausschließlich Buchen. Im Gemeinderat Eichendorfs wurde deshalb der Antrag eingebracht, die Gemeinde von Eichendorf wieder in Buchendorf rückzubenennen, und jeder dachte, dieser Antrag würde ohne großes Aufsehen angenommen werden, bis sich der Verein zur Förderung der Eichologie nach Erwin Err, kurz VzFdEnEE, meldete, den Antrag schärfstens verurteilte und vorschlug, um die Erreiche weitere Eichen zu pflanzen, sozusagen einen kleinen Erreichenwald zu errichten. Sofort regte sich jedoch Widerstand gegen diesen Vorschlag: Das Gebiet um die Erreiche sei bebaut, es müssten mehrere Häuser abgerissen werden, um den Erreichenwald zu errichten. Der VzFdEnEE teilte daraufhin in einem schriftlichen Kommuniqué mit, man sei es dem berühmten Sohn Eichendorfs (vormals Buchendorf) Erwin Err schuldig, ihm zu Ehren einen Erreichenwald zu errichten. Es sei eine Schande, dass dies nicht schon längst geschehen sei, sei doch damit auch die Chance verbunden, Eichendorf als einen internationalen Forschungsplatz für Eichologie beziehungsweise Quercusologie zu etablieren.
Ein Gemeinderat meinte daraufhin, es sei besser, Eichendorf wieder in Buchendorf rückzubenennen, seien doch Eichen eine Pflanzengattung in der Familie der Buchengewächse und somit die Eichologie ein Teilgebiet der viel größeren Buchologie, und es sei Eichendorf doch viel besser gedient, wenn es sich statt eines Spezialforschungsplatzes für Eichologie beziehungsweise Quercusiologie als ein allgemeiner Forschungsplatz für Buchologie beziehungsweise Fagaceaeologie etablieren würde. Außerdem wüchsen seit Jahrhunderten vorwiegend Buchen in Eichendorf. Es sei widersinnig, Häuser abzureissen, um Eichen zu pflanzen und den natürlichen Buchenreichtum zu ignorieren.
Schließlich schaltete sich auch der in Eichendorf (vormals Buchendorf) gebürtige Literaturtheoretiker Norbert Naseweis in die Diskussion ein und behauptete, Josef von Eichendorff hätte 1807 auf seiner Reise nach Heidelberg im damaligen Buchendorf Halt gemacht, was doch ein noch viel gewichtigerer Grund sei, den Namen Eichendorf beizubehalten als die wissenschaftliche Tätigkeit des in Eichendorf (damals Buchendorf) gebürtigen Eichologen Erwin Err, auch wenn man den Dichter Eichendorff mit zwei F schreibe.
Die Hauseigentümer, deren Häuser für die Errichtung des Erreichenwaldes abgerissen werden müssten, hatten währenddessen gegen den Abriss ihrer Häuser geklagt, sodass die Zukunft des Erreichenwaldes nun vom gerichtlichen Urteil abhängig ist. Der VzFdEnEE kritisiert die klagenden Hauseigentümer aufs schärfste, würden doch hier private Interessen vor öffentliche gestellt und meint zur Idee des Gemeinderates, Eichendorf als einen Standort für Buchologie beziehungsweise Fagaceaeologie zu etablieren, damit würde sich Eichendorf infrastrukturell überfordern, eine Spezialisierung in Eichologie beziehungsweise Quercusiologie als Teilgebiet der Fagaceaeologie sei mehr als ausreichend. Außerdem lehnt der Verein eine Rückbenennung Eichendorfs in Buchendorf nach wie vor ab, während der Gemeinderat aktuell dazu tendiert, den Erreichenwald nicht zu errichten und Eichendorf in Buchendorf rückzubenennen.