Archiv der Kategorie: Weises

Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ist das schon weis?

Gedanken und Gefühle

Ich denke viel nach. Wie fühlt sich fühlen an?

Meine Blicke auf sie schmeicheln ihr. Sie öffnet gnädig ihre Bluse und lässt mich an ihre Brust. Während ich mich darin vergrabe, beginnt sie schallend zu lachen. Ich fühle mich ausgelacht und bin mutig genug, ihr das zu sagen.

„Aber nein, mein Kleiner“, sagt sie darauf, „fühle dich doch nicht ausgelacht! Du bist mein Freund. Ich habe dich kreiert, als meinen Freund. Deshalb verlasse ich dich nicht, und wenn ich gut drauf bin, darfst du auch an meinem Busen nuckeln.“

Ich reisse mich weg von ihr. Ich habe plötzlich Spaß daran, sie so entblößt vor mir zu sehen, ihren zerbrechlichen Stolz zu Fall zu bringen.

Keine Aufrichtigkeit, kein Vertrauen zwischen uns; sondern Misstrauen und beiderseitiger Anspruch auf Überlegenheit. Ist es das, was uns zusammenhält: diese fatalen Abhängigkeiten?

Was sind das für Gedanken in meinem Kopf? Wo ist das Gefühl? Ich habe eine Idee: Ein Gefühl führt normalerweise zu einer Handlung. Wird die Handlung jedoch nicht ausgeführt, wird das Gefühl zum Gedanken ausgebaut, und der Gedanke umklammert das Gefühl und lähmt es und nimmt ihm die Chance, das Handeln geschehen zu lassen.

Ich habe schon oft ein Gefühl gehabt, und bin ihm dann im Kopf nachgegangen. Meine Gedanken haben das Gefühl getötet, langsam und quälend. Ich habe geweint ob dieser qualvollen Tode. Doch es erschien mir der einzig richtige Weg, mit den Gefühlen umzugehen.

Soll ich sie in meine Arme nehmen, als konsequente Handlung? Da fällt mir auf: Ich habe das alles nur geträumt.

Schief ist mein neues Gerade

Das Fenster klappert schief im Wind. Die schiefe Treppe knarzt unter meinen Füßen. Im Traum liege ich schief im Bett. Gerade macht mir Angst. Zu deutlich macht mir Angst. Das Schiefe um auf die neue Bahn zu geraten; nur scheinbar steckenbleiben im Schiefen, weil ich Pause brauche. Der schiefe Blickwinkel zeigt mir neue Perspektiven. Das kann ich jetzt so stehen lassen, denn es ist schief und hat nicht den Anspruch, gerade zu sein.

Mit dir auf die Insel

Das Meer und der Marmor, dazwischen das Grün. Bald ist der Hafen erreicht, ganz leicht. Ein Schiff wird kommen, nimmt uns mit. Vorne stehen auf dem Bug und die wogenden Wellen spüren. Der Blick auf das Ziel, auf die Insel, die Insel meiner Träume und du neben mir. Die Sonne wird tiefer, das Ziel rückt näher. Das Leben ist schön. Ich will so viel sagen, genau deshalb sage ich nichts. Es reicht mir mein Blick in deine Augen und ich sehe das Meer in dir. Das Meer in dir bringt uns auf unsere Insel. Du und ich.

Besorgungen eines Mannes, der Ruhe sucht

Einen ruhigen Ort aufsuchen, um dort zu ruhen, um dort zu mir zu kommen, und dann voller Kraft ins Leben zurückkommen. Das will ich tun!

Doch mich beschleicht der Zweifel: Es könnte zu ruhig sein an diesem Ort. Eine Frau soll mitkommen. Doch welche? Ich muss sie mir wohl vorher besorgen. Also Frau besorgen.

Einer Frau muss man etwas bieten. Geld, Einkommen, Status. Also muss ich mir zunächst einen Job besorgen, der mir Geld, Einkommen und Status bringt. Danach erst kann ich eine Frau besorgen.

Doch kann ich mir ohne die Zuneigung einer Frau einen Job besorgen? Es dreht sich alles im Kreis und ich bekomme keinen Fuß auf den Boden. Das Wirtschaftssystem, die Wertschöpfung, die Ausbeutung, die Ideen der Menschheit. Große Gedanken in meinem Kopf, die Unruhe erzeugen, anstatt Ruhe. Ich wollte doch ruhen!

Ich werde einen ruhigen Ort aufsuchen. Ohne Frau, ohne Job. Einfach so. Besorgungen später.

Schweigeminuten

Der Regen an diesem Morgen hat ihr Drehbuch geschrieben. Er und sie stehen am Bahnsteig der U-Bahn. Er versucht zu reden. Ganz deutlich höre ich Worte, die seine Lippen passieren. Doch es bleibt bei den Versuchen, denn seine Worte kommen nicht an. Wie hilflose Versuche einer Kontaktaufnahme entfliehen sie in die Weite des Seins.

Sie sagt ja.
Ja.
Nach ein paar Worten von ihm sagt sie wieder: Ja…
Ja.
Ihre Augen sind groß und fragend hinter der dicken Brille, so als bitte sie ihn inständig: Hör bitte zu reden auf! Deine Worte sind bedeutungslos. Sie bedeuten nichts. Nichts, nichts.

Die U-Bahn kommt, und ich habe das Glück, im Waggon direkt neben ihnen zum Stehen zu kommen. Sie reden nichts. Doch jetzt erzählen sie sich große, bedeutungsvolle Geschichten:

Seine Augen so traurig, voller Enttäuschung. Ihre Augen groß und fragend hinter der dicken Brille. Die Sehnsüchte im Raum unendlich. Ich und die vielen anderen im Waggon lauschen ihnen andächtig und gespannt.

Seine Augen sagen: Lass uns über weite grüne Fluren tanzen, wo die Sonne scheint und wir glücklich sind!
Ihre Augen sagen: Weite grüne Fluren? Du glaubst doch wohl nicht an weite grüne Fluren?
Seine Augen sagen: Ja, du hast recht. Ich glaube nicht an weite grüne Fluren. Ich bin ein Mann des Regens, obwohl ich solche Sehnsucht nach der Sonne habe.
Ihre Augen sagen: Ich habe mir so sehr gewünscht, dass du mir jetzt sagst, dass du an sie glaubst, an die weiten grünen Fluren, über die wir tanzen. Aber wieder sagst du mir, dass du nicht an sie glaubst, an die weiten grünen Fluren.

Die Sehnsüchte bleiben hängen, tragisch, unerfüllt. Ich würde ihm gerne eine Regieanweisung geben: Nimm ihr die Brille ab, und dann schaue ihr ganz tief in die Augen, bis sie sie sieht, die weiten grünen Fluren in dir!

Aber ich bin nicht zuständig für das Drehbuch ihres Lebens.

Der Applaus für das Drama bleibt aus an der nächsten Haltestelle. Es ist nicht zum Lachen. Und doch hat sich das Leben ruhig verraten, in diesen Schweigeminuten.

Latschenkiefernöl

„Ich mag den Duft von Latschenkiefernöl“, habe ich zu dir gesagt. Du hast gelächelt. Dieser Moment, er war schön, als ich zu dir gesagt habe, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl.

Jetzt flehe ich dich an und sage: „Ich mag mich nicht. Rette mich vor meinem Ich! Du! Du! Du! Rette mich vor meinem Ich!“ Du stehst auf und gehst. Du gehst langsam und gelassen, aber du gehst. „Du kannst doch jetzt nicht gehen“, rufe ich dir nach, „jetzt, wo ich so verzweifelt bin!“ Aber das beeindruckt dich nicht.

Ich brauche Rat, denn ich weiß nicht, was ich nun tun soll mit meinem Ich. Ich raffe mich auf und suche Rat. Der erste Rat sagt: „Steh um sechs Uhr auf und mache sechs Ich-Übungen, so entdeckst du dein Ich.“ „Nein“, ruft da gleich der zweite Rat: „Sage alle zehn Minuten zehnmal Ich, so findest du dich!“ „Nein“, ruft der dritte Rat dazwischen: „Gehe abends in den dunklen Park und rede mit den Bäumen, die führen dich zu deinem Ich.“ Plötzlich bin ich umzingelt von Räten, und sie schlagen auf mich ein; denn das ist ja ihre Aufgabe: Rat-Schläge zu geben. „Wir meinen es nur gut mit dir!“ rufen sie, und schlagen und schlagen und sind in einem regelrechten Rausch. Und ich werde immer weniger ich.

Ich halte es nicht mehr aus. Ich flüchte. Ich laufe so schnell ich kann. Ab und zu möchte ich stehenbleiben und einen Rat erfragen, doch kaum werde ich langsamer, kommen wieder die Schläge über mich und ich laufe erschrocken weiter. Sie hören nicht auf, die Räte, den Weg zu säumen und mir Rat-Schläge zu geben. Um den Schlägen endgültig zu entfliehen, fasse ich meinen ganzen Mut zusammen und springe. Ich springe mitten ins Ungewisse meines Ichs…

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Das Wasser ist warm, in dem ich treibe. Ich recke und strecke meinen Körper und sage nur: „Ich Ich Ich.“ Das Wasser duftet nach Latschenkiefernöl. Da sehe ich dich. Du beschenkst mich mit dem Duft von Latschenkiefernöl, weil du weißt, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl. Ist das schön, mit dir zu treiben im warmen Wasser! Durch dich habe ich mir mein Ich neu geschenkt. Ich berühre dich und sage: „Du Du Du“ und „Ich Ich Ich“, weil ich jetzt weiß, wie das geht: sich zu lieben.

Wundervoller Morgen

Ein Wintermorgen, kalt und stechend die Luft. Die Sonne sendet erstes schwaches Licht hinter den verschneiten Ästen der Bäume. Ich biege ein in die lange Straße mit den Häusern, dicht an dicht gestaffelt. Die Straße liegt gebettet wie in einen Rhythmus an diesem Morgen; in keinen lauten, krachenden Rhythmus, sondern in einen ruhigen, tragenden. Ich denke an das Adagio in G-Moll nach Albinoni.

Ich tauche ein in diesen Rhythmus. Die Häuser ziehen links und rechts an mir vorbei. Wieviele Stunden hat es gebraucht, all diese Häuser zu bauen? Wieviel Geschick und Handfertigkeit? Ist es nicht ein Wunder, was der Mensch alles erschafft? Er schafft moderne Höhlen, die er Häuser nennt, die wie steile Schluchten die Straßen säumen.

Da ist die Treppe zur U-Bahn vor mir. Ich werde die Treppen hinuntersteigen in den ausgegrabenen Untergrund, in einen Zug einsteigen, der mich durch lange Tunnel an einen Ort bringt, wo ich dann wie von Zauberhand hingebracht wieder an die Oberfläche gelange.

Ich sehe sie die Treppen hinuntersteigen. Sie trägt Kopfhörer und hat ihr Smartphone in der Hand. Ich folge ihr. Sie biegt um die Ecke und fährt die Rolltreppe hinunter zum Bahnsteig.

Wir warten auf den Zug. Ab und zu blicke ich zu ihr hinüber. Ich will ihr erzählen von den Wundern, die ich heute schon erlebt habe: vom orangenen Licht hinter den weißen Zweigen; von den Schluchten, die ich durchschritten habe; von ihr, wie ich sie auf der Treppe gesehen habe und wie wunderbar ich es finde dass sie und ich geboren und auf diese Welt gekommen sind.

Sie blickt kurz zu mir herüber. Doch ehe mir ihr Gesicht etwas sagen könnte, wendet sie sich wieder ab. Will sie mir damit sagen: Hör bloß auf mit deinen Wundern, ich will nichts von ihnen hören?

Vielleicht ist es besser, Wunder einfach geschehen zu lassen, anstatt sie mit schnöden Worten zu beschreiben. Als der Zug kommt, steige ich einen Waggon hinter ihr ein. Und da ist wieder der Rhythmus, ich höre ihn ganz deutlich: das Adagio in G-Moll. Oh Remo Giazotto, hat dir wirklich Tomaso Albinoni diese wunderbare Musik eingeflüstert? Oder ist sie einfach nur wie ein Wunder über mich gekommen an diesem wundervollen Morgen?

Vielleicht passiert es nie (Das Netz)

Du führst mich in deinen reichen Zitate-Wortschatz der Literaturgeschichte. Du hast ein Netz gebaut aus Zitaten und jonglierst auf ihnen. Ich besuche dich auf deinem Netz. Auf einem Netz krabbelt man. Das ist klar. Ich krabble gerne mit dir, auf deinem Netz aus fremden Zitaten. Wir krabbeln von Zitat zu Zitat zwischen den Leerräumen hindurch. Sieh mal, sagst du manchmal, wenn wir einen Knoten erreichen, das ist doch besonders wahr.

Schließlich führst du mich zu deinem neuesten Netzknoten, der heißt: aus der unmittelbaren Unwirklichkeit. Das verstehe ich nicht. Ich will doch sein. Und wenn ich unwirklich bin, bin ich dann? Ich finde deinen Körper sehr schön, wie er über das Netz krabbelt. Du sagst, ich solle nicht ablenken von den Zitaten. Aber wieso denn nicht? Darf das nicht sein, dass ich deinen Körper schön finde? Soll ich mich in die Unwirklichkeit des Zitates flüchten, wo dein Körper nicht ist?

Dann habe ich eine tollkühne Idee: Sollen wir uns mal zwischen den Leerräumen des Netzes hindurchfallen lassen? Es sieht doch ganz gemütlich aus da unten. Dein Blick wird böse und du sagst: „Niemals! Niemals will ich mich da hinunterfallen lassen!“

Du machst mir Angst, und ich denke: Stimmt! Niemals sollen wir uns da hinunterfallen lassen! Ich ändere also meinen Plan und knüpfe stattdessen einen neuen Knoten im Netz, mit einem Zitat von mir: Wo wollen wir unsere Wahrheit finden? Wissen wir, wo wir unsere Wahrheit suchen sollen? Ich glaube, wir wollen nicht wissen, wo wir sie suchen sollen. Skeptisch siehst du diesen neuen Zitat-Knoten an und berührst ihn nicht; so als würde er bei der kleinsten Berührung nachgeben und dich in die Tiefe reißen. Ich selbst erschrecke mich auch vor diesem Zitat, denn ich ahne, dass Wahrheit etwas zu tun hat mit Sich-Fallen-Lassen.

Wir hängen im Netz und halten uns beide fest an Zitaten, die uns Halt geben sollen. Doch dann wird mir schwindelig. Ich kann mich nicht mehr halten und falle.

Ich falle weich und hart zugleich. Denn ich spüre Gewissheit unter mir und nicht mehr das Zappelige des Netzes. Es ist angenehm auf dem Grund. Ich sehe von unten, wie du auf dem Netz von Knoten zu Knoten krabbelst. Dann baust du einen neuen Knoten, und der sagt: Das Abendland hat die Schrift erfunden, um sich vor Bedrohungen zu schützen. Das Abendland hat doch nicht die Schrift erfunden!, denke ich mir, aber vielleicht verstehe ich davon zu wenig. Ich verstehe ja auch nicht, für was Pegida genau demonstriert. Worte sind viel zu mächtig, denke ich weiter, und bin froh, dass ich auf den Boden meiner Wahrheit gefallen bin. Worte werden noch viel mächtiger, wenn sie aufgeschrieben sind. Dann werden sie für allgemeine Wahrheiten gehalten und versperren den Blick auf die eigene Wahrheit. Ich will nichts denken; ich will sein, bewusstsein.

Dann nicke ich ein, und in meinem Traum sagt einer zur Menge:
„Keiner lügt hier! Ich suche die Wahrheit für alle. Ich will nur noch die Wahrheit hören, nichts als die Wahrheit!“
„Das wird schwer“, ruft ein anderer aus der Menge. „Woher soll ich denn wissen, was die Wahrheit ist? Ich lüge doch, wenn ich behaupte, dass ich weiß, was die Wahrheit ist.“
„Verräter!“, ruft der eine, und die Menge stürzt sich auf den anderen.

Erschreckt fahre ich hoch. Ich blicke nach oben und sehe dich über mir krabbeln und an deinem Netz basteln.
„Lass dich fallen!“ rufe ich dir zu.
„Das hättest du wohl gern.“
„Ja, das hätte ich gern. Sehr gern.“
„Das kannst du dir abschminken. Es ist viel zu gefährlich bei dir da unten. Viel zu gefährlich.“

Ich kann es kaum erwarten, dass du dich zu mir herunterfallen lässt. Doch vielleicht passiert es nie. Vielleicht ist es eine Wahrheit, die ich akzeptieren muss. Ich sehe, dass du Alkohol und Tabletten benutzt, um das Netz geschmeidig zu halten; denn die Worte allein werden zu schnell spröde und leer. Du baust eifrig an deinem Netz, machst die Knoten dichter; um den Fall ins Offene deiner Wahrheit zu verhindern, wo nichts mehr verborgen werden könnte.