Archiv der Kategorie: Weises

Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ist das schon weis?

Konzepte (Rhythmus & Beziehung)

Ich habe Konzepte ausgearbeitet. Ich finde sie großartig. Meine tiefe Überzeugung erfüllt meinen ganzen Körper mit einem tiefen Schauer. Das Hauptkonzept lautet: Der Rhythmus bestimmt das Leben. Das erste Unterkonzept lautet: Wenn zwei Individuen eine Beziehung eingehen, gleichen sich ihre Rhythmen an.

Die Sonne schickt helles Licht auf die Erde. Das Gras ist grün. Sie liegt darin, nackt und frei. Ist das das zweite Unterkonzept: Ein nackter Körper ist frei? Wobei hier gleich das dritte Unterkonzept nachzuschicken wäre: Ein freier Körper hat freie Gefühle und Gedanken. Wieder geht ein Schauer durch meinen Körper. Eine Unbeschwertheit, als ich die Grashalme unter meinen Füßen spüre. Mit tiefster Überzeugung bin ich mir sicher, dass dies der Zeitpunkt ist, uns rhythmisch aufeinander einzustimmen und eine Beziehung einzugehen. Ich vermeine körperliche Signale zu empfangen und suche Blickkontakt. Doch der Blickkontakt will sich nicht recht einstellen. Ist das die erste Rhythmusstörung unserer Beziehung, oder ist die Beziehung noch gar nicht vorhanden? Ich stehe auf, um uns zum blauen Wasser zu bringen, doch es ist keine Bereitschaft zu erkennen, dass sie mich begleitet.

Ich komme aus dem Wasser zurück, lege mich ins Gras und schließe die Augen. Da beugt sie sich über mich und sagt: „Begehre mich! Begehre mich mit deinen Blicken!“ Ich öffne die Augen. Jetzt ist Blickkontakt da. Ihre Augen blicken mich scharf an und wiederholen ihre Worte: „Begehre mich!“ Ich fühle mich überfordert. Nichts tue ich mehr als sie begehren, doch die Vehemenz, mit der sie mein Begehren fordert, enttäuscht mich. Der Zauber ist verflogen. Ihre scharfen Blicke töten mein Begehren. Sollte eine Beziehung zwischen uns bestanden haben, so ist das das definitive Ende davon. Der Rhythmus. Wo ist der Rhythmus? Ihre Pauken der Vehemenz gegen meine filigrane Jazz-Trommel. Erstes Unterkonzept, Wiederholung: Wenn zwei Individuen eine Beziehung eingehen, gleichen sich ihre Rhythmen an. Erstes Unterkonzept des ersten Unterkonzepts: Wenn eine Individuum eine Beziehung mit einem anderen eingehen will, das zweitere jedoch nicht, läuft das erstere Gefahr, vom Rhythmus des zweiteren erschlagen zu werden. Zweites Unterkonzept des ersten Unterkonzepts: Das erste Individuum tut gut daran, in so einer Situation bei seinem eigenen Rhythmus zu bleiben und ein Angleichen der Rhythmen nicht weiter zu verfolgen.

Strenge und fordernde Blicke von ihr: „Begehre mich!“ Ja, ich begehre dich. Aber auf perverse Weise, weil das Begehren keinen Rhythmus findet, sondern auf Abgrenzung und Entfremdung beruht. Ich fühle nichts. Meine Konzepte scheinen zu stimmen. Wenngleich sie ein aufwändiges Konstrukt sind für etwas, dass in rhythmischen Störungen und Nicht-Beziehung endet. Ich habe den Gedanken, sie zu fragen über ihre Konzepte, verwerfe ihn aber schnell.

Sie verlässt das grüne Gras. Es scheint, als ob das helle Licht der Sonne merkwürdig dunkel wird um sie. Schlusskonzept: Leben ohne Rhythmus und Beziehung ist nicht möglich.

Was ist jetzt?

Es ist vorbei. Das, was ich Vergangenheit nenne, ist vorbei. Die Sekunde, die jetzt ist, ist in der nächsten Sekunde vorbei. Doch was ist jetzt?

Ich spüre es so sehr, obwohl es längst vorbei ist. Diese Straße im engen Bergtal, auf der ich gehe, hat mein Großvater mitgebaut, damals, im Straßenbaufieber im Deutschen Reich der 1930er Jahre. Das ist vorbei. Doch ich bilde mir ein, ihn vor mir zu sehen, hier in diesem Tal. Was weiß ich schon von meinem Großvater! Ich spüre ihn nur, als ob die Vergangenheit nicht vorbei wäre, sondern jetzt wiederkommt zu mir.

Der Schlaf in der Hütte in diesem engen Tal fällt mir nicht leicht. Die Zukunft scheint zentnerschwer vor mir zu liegen. Ich stehe auf, gehe hinaus, hoch auf die Almwiese und blicke in die mondklare Nacht. Was ist jetzt? Ich blicke hinauf zu den Sternen und sage zu ihnen:

Die Vergangenheit beklage ich.
Die Zukunft befürchte ich.
Die Gegenwart bestreite ich.
Lebe ich denn?

Die Sterne schauen mich an, und in ihrer kraftvollen Ruhe bedeuten sie mir: Die Gegenwart sind wir. Ich hole tief Luft und spüre den Atem in mir. Ich spüre die Energie, die er mir gibt. Ist das das Leben? Vor mir wiegt sich das Gras in einem leichten Windstoß, vom Mondlicht beschienen. Ich rieche die Düfte der Pflanzen. Die Baumwipfel stehen mir Spalier.

Was ist jetzt? Die Beschreibung bleibt ungenau. Ich atme.

Gedanken und Gefühle

Ich denke viel nach. Wie fühlt sich fühlen an?

Meine Blicke auf sie schmeicheln ihr. Sie öffnet gnädig ihre Bluse und lässt mich an ihre Brust. Während ich mich darin vergrabe, beginnt sie schallend zu lachen. Ich fühle mich ausgelacht und bin mutig genug, ihr das zu sagen.

„Aber nein, mein Kleiner“, sagt sie darauf, „fühle dich doch nicht ausgelacht! Du bist mein Freund. Ich habe dich kreiert, als meinen Freund. Deshalb verlasse ich dich nicht, und wenn ich gut drauf bin, darfst du auch an meinem Busen nuckeln.“

Ich reisse mich weg von ihr. Ich habe plötzlich Spaß daran, sie so entblößt vor mir zu sehen, ihren zerbrechlichen Stolz zu Fall zu bringen.

Keine Aufrichtigkeit, kein Vertrauen zwischen uns; sondern Misstrauen und beiderseitiger Anspruch auf Überlegenheit. Ist es das, was uns zusammenhält: diese fatalen Abhängigkeiten?

Was sind das für Gedanken in meinem Kopf? Wo ist das Gefühl? Ich habe eine Idee: Ein Gefühl führt normalerweise zu einer Handlung. Wird die Handlung jedoch nicht ausgeführt, wird das Gefühl zum Gedanken ausgebaut, und der Gedanke umklammert das Gefühl und lähmt es und nimmt ihm die Chance, das Handeln geschehen zu lassen.

Ich habe schon oft ein Gefühl gehabt, und bin ihm dann im Kopf nachgegangen. Meine Gedanken haben das Gefühl getötet, langsam und quälend. Ich habe geweint ob dieser qualvollen Tode. Doch es erschien mir der einzig richtige Weg, mit den Gefühlen umzugehen.

Soll ich sie in meine Arme nehmen, als konsequente Handlung? Da fällt mir auf: Ich habe das alles nur geträumt.

Schief ist mein neues Gerade

Das Fenster klappert schief im Wind. Die schiefe Treppe knarzt unter meinen Füßen. Im Traum liege ich schief im Bett. Gerade macht mir Angst. Zu deutlich macht mir Angst. Das Schiefe um auf die neue Bahn zu geraten; nur scheinbar steckenbleiben im Schiefen, weil ich Pause brauche. Der schiefe Blickwinkel zeigt mir neue Perspektiven. Das kann ich jetzt so stehen lassen, denn es ist schief und hat nicht den Anspruch, gerade zu sein.

Mit dir auf die Insel

Das Meer und der Marmor, dazwischen das Grün. Bald ist der Hafen erreicht, ganz leicht. Ein Schiff wird kommen, nimmt uns mit. Vorne stehen auf dem Bug und die wogenden Wellen spüren. Der Blick auf das Ziel, auf die Insel, die Insel meiner Träume und du neben mir. Die Sonne wird tiefer, das Ziel rückt näher. Das Leben ist schön. Ich will so viel sagen, genau deshalb sage ich nichts. Es reicht mir mein Blick in deine Augen und ich sehe das Meer in dir. Das Meer in dir bringt uns auf unsere Insel. Du und ich.

Besorgungen eines Mannes, der Ruhe sucht

Einen ruhigen Ort aufsuchen, um dort zu ruhen, um dort zu mir zu kommen, und dann voller Kraft ins Leben zurückkommen. Das will ich tun!

Doch mich beschleicht der Zweifel: Es könnte zu ruhig sein an diesem Ort. Eine Frau soll mitkommen. Doch welche? Ich muss sie mir wohl vorher besorgen. Also Frau besorgen.

Einer Frau muss man etwas bieten. Geld, Einkommen, Status. Also muss ich mir zunächst einen Job besorgen, der mir Geld, Einkommen und Status bringt. Danach erst kann ich eine Frau besorgen.

Doch kann ich mir ohne die Zuneigung einer Frau einen Job besorgen? Es dreht sich alles im Kreis und ich bekomme keinen Fuß auf den Boden. Das Wirtschaftssystem, die Wertschöpfung, die Ausbeutung, die Ideen der Menschheit. Große Gedanken in meinem Kopf, die Unruhe erzeugen, anstatt Ruhe. Ich wollte doch ruhen!

Ich werde einen ruhigen Ort aufsuchen. Ohne Frau, ohne Job. Einfach so. Besorgungen später.

Schweigeminuten

Der Regen an diesem Morgen hat ihr Drehbuch geschrieben. Er und sie stehen am Bahnsteig der U-Bahn. Er versucht zu reden. Ganz deutlich höre ich Worte, die seine Lippen passieren. Doch es bleibt bei den Versuchen, denn seine Worte kommen nicht an. Wie hilflose Versuche einer Kontaktaufnahme entfliehen sie in die Weite des Seins.

Sie sagt ja.
Ja.
Nach ein paar Worten von ihm sagt sie wieder: Ja…
Ja.
Ihre Augen sind groß und fragend hinter der dicken Brille, so als bitte sie ihn inständig: Hör bitte zu reden auf! Deine Worte sind bedeutungslos. Sie bedeuten nichts. Nichts, nichts.

Die U-Bahn kommt, und ich habe das Glück, im Waggon direkt neben ihnen zum Stehen zu kommen. Sie reden nichts. Doch jetzt erzählen sie sich große, bedeutungsvolle Geschichten:

Seine Augen so traurig, voller Enttäuschung. Ihre Augen groß und fragend hinter der dicken Brille. Die Sehnsüchte im Raum unendlich. Ich und die vielen anderen im Waggon lauschen ihnen andächtig und gespannt.

Seine Augen sagen: Lass uns über weite grüne Fluren tanzen, wo die Sonne scheint und wir glücklich sind!
Ihre Augen sagen: Weite grüne Fluren? Du glaubst doch wohl nicht an weite grüne Fluren?
Seine Augen sagen: Ja, du hast recht. Ich glaube nicht an weite grüne Fluren. Ich bin ein Mann des Regens, obwohl ich solche Sehnsucht nach der Sonne habe.
Ihre Augen sagen: Ich habe mir so sehr gewünscht, dass du mir jetzt sagst, dass du an sie glaubst, an die weiten grünen Fluren, über die wir tanzen. Aber wieder sagst du mir, dass du nicht an sie glaubst, an die weiten grünen Fluren.

Die Sehnsüchte bleiben hängen, tragisch, unerfüllt. Ich würde ihm gerne eine Regieanweisung geben: Nimm ihr die Brille ab, und dann schaue ihr ganz tief in die Augen, bis sie sie sieht, die weiten grünen Fluren in dir!

Aber ich bin nicht zuständig für das Drehbuch ihres Lebens.

Der Applaus für das Drama bleibt aus an der nächsten Haltestelle. Es ist nicht zum Lachen. Und doch hat sich das Leben ruhig verraten, in diesen Schweigeminuten.

Latschenkiefernöl

„Ich mag den Duft von Latschenkiefernöl“, habe ich zu dir gesagt. Du hast gelächelt. Dieser Moment, er war schön, als ich zu dir gesagt habe, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl.

Jetzt flehe ich dich an und sage: „Ich mag mich nicht. Rette mich vor meinem Ich! Du! Du! Du! Rette mich vor meinem Ich!“ Du stehst auf und gehst. Du gehst langsam und gelassen, aber du gehst. „Du kannst doch jetzt nicht gehen“, rufe ich dir nach, „jetzt, wo ich so verzweifelt bin!“ Aber das beeindruckt dich nicht.

Ich brauche Rat, denn ich weiß nicht, was ich nun tun soll mit meinem Ich. Ich raffe mich auf und suche Rat. Der erste Rat sagt: „Steh um sechs Uhr auf und mache sechs Ich-Übungen, so entdeckst du dein Ich.“ „Nein“, ruft da gleich der zweite Rat: „Sage alle zehn Minuten zehnmal Ich, so findest du dich!“ „Nein“, ruft der dritte Rat dazwischen: „Gehe abends in den dunklen Park und rede mit den Bäumen, die führen dich zu deinem Ich.“ Plötzlich bin ich umzingelt von Räten, und sie schlagen auf mich ein; denn das ist ja ihre Aufgabe: Rat-Schläge zu geben. „Wir meinen es nur gut mit dir!“ rufen sie, und schlagen und schlagen und sind in einem regelrechten Rausch. Und ich werde immer weniger ich.

Ich halte es nicht mehr aus. Ich flüchte. Ich laufe so schnell ich kann. Ab und zu möchte ich stehenbleiben und einen Rat erfragen, doch kaum werde ich langsamer, kommen wieder die Schläge über mich und ich laufe erschrocken weiter. Sie hören nicht auf, die Räte, den Weg zu säumen und mir Rat-Schläge zu geben. Um den Schlägen endgültig zu entfliehen, fasse ich meinen ganzen Mut zusammen und springe. Ich springe mitten ins Ungewisse meines Ichs…

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Das Wasser ist warm, in dem ich treibe. Ich recke und strecke meinen Körper und sage nur: „Ich Ich Ich.“ Das Wasser duftet nach Latschenkiefernöl. Da sehe ich dich. Du beschenkst mich mit dem Duft von Latschenkiefernöl, weil du weißt, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl. Ist das schön, mit dir zu treiben im warmen Wasser! Durch dich habe ich mir mein Ich neu geschenkt. Ich berühre dich und sage: „Du Du Du“ und „Ich Ich Ich“, weil ich jetzt weiß, wie das geht: sich zu lieben.