Unwichtige Brustgeschichte

Ich habe von einer Geschichte gehört, die mir nicht wichtig scheint. Dennoch will ich sie erzählen:

Ein Mann, ich weiß nicht welchen Alters, wobei auch das nicht wichtig ist, hatte über eine virtuelle Partnervermittlung Kontakt zu einer Frau aufgenommen. Nach einer Weile virtuellen Chattens beschlossen die beiden, sich zu sehen. Ich stellte Erkundungen über den Mann an und erfuhr, dass er recht üppig beleibt ist. Ich habe nicht erfahren, ob dies seinem Lebenswandel geschuldet ist oder aus einer Veranlagung kommt. Außerdem ist dies für den weiteren Fortgang der Geschichte nicht von Bedeutung. Weiters erfuhr ich, dass der Mann promovierter Naturwissenschaftler ist. Ich fragte nicht nach in welchem Fach. Auch das erschien mir nicht wichtig. Der Mann, so sagte man mir, sei recht klug und gebildet, doch von anderer Seite wurde mir herangetragen, dass er sich dies, seine Klugheit und Bildung, lediglich einbilde. Die Frau, mit der er sich traf, ist von zierlicher Natur und ohne rechte Kurven. Ich weiß das aus verlässlicher Quelle, kann es jedoch selbst nicht bestätigen.

Als sie sich nun trafen, in einem Lokal zum Abendessen, herrschte zunächst große Stille am Tisch. Ob die Stille an den enttäuschten gegenseitigen Erwartungen lag, lässt sich nicht ermitteln. Nach einiger Zeit wollte der Mann die Stille beenden. Es ist anzunehmen, dass er sie beenden wollte, denn er sagte:

„Es ist doch erstaunlich, dass die Brüste menschlicher Frauen wesentlich größer sind als die verwandter weiblicher Primaten.“

Ohne darauf eine abschließende Antwort zu finden, lässt sich nun spekulieren, warum der Mann dies sagte. Ist die weibliche Brust Gegenstand seiner beruflichen Forschungen? Wollte er mit dieser Aussage seine Bildung unterstreichen? Wollte er mit dieser Aussage etwas über die Brüste der Frau sagen, die ihm gegenübersaß? Die Frau war, wie gesagt, von zierlicher Natur und hatte, für eine menschliche Frau, recht kleine Brüste. Als sie den Mann reden hörte, dachte sie daran, dass sie sich schon öfter größere Brüste gewünscht hatte. Neuerdings war sie jedoch zu der Überzeugung gekommen, mit der Größe beziehungsweise Kleinheit ihrer Brüste Frieden schließen zu wollen. Sie hatte deshalb beschlossen, einen Mann zu finden, der ihre kleinen Brüste begehrt.

Sie hätte diese Gedanken nun dem Mann mitteilen können. Hätte er sie verstanden? Es ist müßig darüber nachzudenken, denn sie teilte diese Gedanken dem Mann nicht mit. Stattdessen gab sie der Kränkung nach, die sie in sich spürte, und sagte zu dem wohlbeleibten Mann, der ihr gegenübersaß:

„Es ist ebenfalls erstaunlich, wie groß die Brüste menschlicher Männer manchmal sein können, größer als die ihrer weiblichen Artgenossen. Jedoch zeigen sich die Fettablagerungen bei diesen Männern meist nicht nur in der Brust, sondern am ganzen Körper.“

Ich getraue mich anzunehmen, dass die Frau diese Aussage nicht tätigte, um den Gegenstand ihrer gegenwärtigen beruflichen Forschung zu beschreiben. Über die berufliche Tätigkeit der Frau habe ich im übrigen keine Kenntnisse. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie mit dieser Aussage etwas über die Brüste des Mannes sagen wollte. Wobei auch dies nicht endgültig bewiesen werden kann.

Rein naturwissenschaftlich gesehen hätte es nun viele Themen gegeben, über die die beiden hätten sprechen können, zum Beispiel über die Anatomie des Menschen im allgemeinen und die seiner Brüste im besonderen. Doch praktisch gesehen herrschte große Stille an ihrem Tisch.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass mein Freund Vorderbrandner bis zum Zeitpunkt dieser Stille am Nachbartisch gesessen hatte und mir die Ereignisse bis hierher geschildert hatte. (Wobei er sich bei seinen Ausführungen immer wieder auf Kenntnisse von Mitterbichler berief, den ich jedoch nicht für sehr glaubwürdig erachte.) Vorderbrandner ist kein Freund der Stille, sodass er sich aufgrund dieser Stille erhob und das Lokal verließ. Im weiteren Verlauf war also niemand anwesend, der jetzt über den Fortgang dieser Stille berichten könnte. Es wird jedoch gemutmaßt, dass sich der Mann nach einiger Zeit still erhob und die Frau allein am Tisch zurückließ. Die Frau, so sagt man, verfiel daraufhin in großen Kummer ob ihrer kleinen Brüste. Ein Kummer, der mir unnötig erscheint, doch ich glaube, es ist nicht wichtig, ob er mir nötig oder unnötig erscheint, sodass ich diesen Kummer nun nicht weiter verfolgen möchte.

Ich hatte die Geschichte schon vergessen, als ich vor ein paar Tagen von Vorderbrandner aufgehalten wurde und er mich fragte, ob ich mich noch an die Geschichte mit dem Mann und der Frau im Lokal erinnern könne. „Ist das die Geschichte mit den Brüsten?“ fragte ich. Auch, sagte Vorderbrandner, aber das sei nicht wichtig. Wichtig sei zu erwähnen, dass der Mann und die Frau in der virtuellen Partnervermittlung, über die sie sich kennengelernt hatten, sich nach ihrem Treffen so schlecht bewertet hätten, dass sie wegen des daraus resultierenden schlechten Rankings noch immer keinen Partner gefunden hätten. Ich fragte ihn, woher er das wisse? „Berufsgeheimnis“, sagte er: „Ich arbeite neuerdings in der digitalen Welt.“

Ich versuche nun, diese Geschichte endgültig zu vergessen. Sie beruht auf Indizien und auf Aussagen Vorderbrandners, die nichts beweisen, und wenn ich es mir so überlege, wüsste ich gar nicht, was zu beweisen wäre. Ich habe keine Ahnung, warum ich diese Geschichte überhaupt erzählt habe. Vielleicht weil ich durch sie bemerkt habe, wie wichtig mir weibliche Brüste sind?