Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Du Depp (Studie zur Vergangenheitsbewältigung)

Ich war wieder einmal mit einer Studie zur Vergangenheitsbewältigung beschäftigt, ich hatte, wie immer für diese Studien, meinen Schreibtisch verlassen und mich ins Bett gelegt, im leichten Dämmerschlaf kommen mir die größten Erkenntnisse bei meinen Studien zur Vergangenheitsbewältigung, ich sah meinen Vater in der Kirche sitzen, in einer der harten Bänke, knieend, und er sprach die Worte der Schuld:

Ich habe gesündigt, in Gedanken, Worten und Werken, durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld,

er bemerkte mich nicht, so versunken war er in sein andächtiges Schuldgeständnis, dann stand er auf, er verließ die harte Bank, ich meine er schaute kurz zu mir, oder wünsche ich mir das nur, jedenfalls ging er dann, ohne zu mir zu kommen, den steinigen Gang entlang aus der Kirche, vermutlich ins Wirtshaus, aber das weiß ich nicht, er war einfach verschwunden, ich war nun alleine, nur Julia huschte noch kurz um die Ecke, ja, Julia, nicht Maria, Maria würde besser in die Kirche passen, aber es war Julia, wir hatten uns abgeschleckt, zuerst an den Zungen, dann am ganzen Körper, wir waren ins Schwitzen gekommen bei unserem Abschlecken, ich möchte gerne, dass wir uns wieder abschlecken, aber ich traue mich nicht mehr, ist es denn eine Sünde, wenn Julia und ich uns abschlecken? Julia verschwand hinter dem Pfeiler, dann sah ich sie nicht mehr, ich bildete mir ein, sie war im Beichtstuhl verschwunden und sprach dort die Worte der Schuld:

Ich habe gesündigt, in Gedanken, Worten und Werken, durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld,

Julia, du meinst doch nicht das Abschlecken? Abschlecken ist doch keine Sünde! Ist Abschlecken Sünde? Bitte sag dass es keine Sünde ist! Julia! Mein Ruf hallte durch die Kirche, obwohl ich ihn nicht rief, nein, ich verstummte, ich war nun wirklich alleine in der Kirche, es war nun an der Zeit, selbst Worte der Schuld zu sprechen, furchtlos schritt ich zum Altar, stellte mich auf ihn und begann zu singen:

Ich schaue auf mein Leben, mit einem Gefühl der Scham, ich bin der Schuldige, alles was ich tun will, egal wann, wo, mit wem, es ist immer dasselbe: Es ist Sünde!

Die Kirche füllte sich mit Menschen, mit vielen Menschen, sie wurde übervoll, wie in Trance setzte ich meinen Gesang fort:

Der Jubel der vielen Menschen setzte ein, sie zündeten ein Feuer an, das Feuer umtoste mich, mir wurde heiß, sehr heiß, ich rannte durch das Feuer über den steinigen Weg nach draußen, in mir brannte das Feuer für Julia, nun, draußen angelangt, beschloss ich, die Sünde zu leben, je mehr Sünde desto besser, das Feuer beherrschte mich, ich bekam wahnsinnige Lust auf Julia, ich wollte ihre Haut spüren, sie abschlecken, ich wollte ihre Haare zerzausen, ihre Körperöffnungen erkunden, der Leib Juliä, Amen, ich rannte und rannte um nicht wahnsinnig zu werden, Julia, nur du kannst mich retten vor dem Strudel der Sünde, nimm mich auf in deinen warmen Schoß, lass mich an dir riechen, betöre mich, ich rannte und rannte und…  blieb erschöpft stehen, mitten im Wald war ich gelandet, die Ekstase von Sünde und Lust verflüchtigte sich, ich nahm einen Zweig vom Boden und schlug mich damit, ich verfluchte meinen Leib der mich zu den Sünden verführt, ich geißelte mich ob meiner lächerlichen Begierden, ich geißelte mich ob meines Menschseins, ich hasste mich, ich beschloss, fortan die Sünde hinter mir zu lassen. Du Depp du! waren meine Worte zu mir: Lass diesen Unsinn!

Da kam einer des Weges, irgendeiner, ich hatte ihn noch nie gesehen, doch er hatte mich durchschaut und lachte über mich, er hatte mich sagen hören: Du Depp du, er wusste auch von mir und Julia und machte sich lustig über meinen Kopf in ihrem Schoß, ich wurde wütend, ich werd’s dir zeigen, dachte ich mir, er aber ging einfach weiter, ich machte ein paar Schritte, bemerkte meine Erschöpfung und verfolgte ihn nicht weiter, rief ihm aber hinterher, was ich von ihm halte:

Er aber ging weiter und weiter ohne sich einmal umzudrehen, zähneknirschend ging ich daraufhin in die Stadt zurück, es kamen mir lauter Deppen entgegen, wirklich, lauter Deppen, ich hatte auch keine Lust mehr auf Julia, soll sie sich doch zum Teufel scheren, ich wusste nicht wohin, alles ist Sünde, meine Studie zur Vergangenheitsbewältigung schien erfolglos ihrem Ende entgegenzustraucheln, mitten in diesem Straucheln stieg ich aus dem Bett und trank ein Glas Wasser. Und dachte an Julia.

Oben über Trieben

Etwas trieb mich nach Trieben, Vorderbrandner fand es übertrieben, aber ich ließ mich nicht aufhalten, nicht einmal, als er mir hinterherrief: „Warum nicht wenigstens Leoben?“, sein Hinterherrufen irritierte mich ein wenig, denn ich verstand das erste E in Leoben wie ein Ö, ich dachte an den französischen Artikel Le, Le Oben klang es in meinen Ohren, Le Haut, das Oben oder besser der Oben, und ich dachte: Es ist eine gute Idee, in Trieben nach oben zu gehen, auf einen der umliegenden Berge, diese Idee setzte ich, in Trieben angekommen, in die Tat um, ich stieg auf einen der umliegenden Berge, den Triebenstein, und befand mich nach erfolgreichem Aufstieg oben über Trieben.

Leoben von oben
Oben über Trieben

Wolfgang Acquodios Tierreich

Als Kind saß ich wie gebannt vor dem Radio und lauschte der Stimme Wolfgang Acquodios, wenn er seine Geschichten aus dem Tierreich erzählte. Er erzählte von den Tieren im Wald, wenn sich Fuchs und Dachs nach ihrem Tagwerk abends in ihrer gemeinsamen Höhle treffen, oder wenn sich die Rehe unter dem dichten Tann zum Schlafen zusammenkuscheln. Ich lag anschließend in meinem Bett und stellte mir vor, bei Fuchs und Dachs oder bei den Rehen zu sein, und schlief mit einem Gefühl großer Geborgenheit ein.

Jedenfalls hat sich die Stimme Wolfgang Acquodios so in mir eingebrannt, dass ich sie neulich – nach all den Jahren seit meiner Kindheit vor dem Radio – erkannte, als ich im Park unterwegs war. Da redete ein älterer Herr mit einer älteren Dame, anfangs war ich irritiert ob der Vertrautheit der Stimme die da sprach, einer Vertrautheit, die wie aus einer fernen Zeit klang, bis sich in mir alles zusammenfügte, und ich sie als die Stimme Wolfgang Acquodios erkannte.

Ergriffen blieb ich stehen, gab mich schließlich zu erkennen und fragte: Sind Sie Wolfgang Acquodio? Acquodio verzog fast keine Miene, ich glaube, er fühlte sich gestört und geschmeichelt zugleich, ich hatte Zeit, ihn und die Dame zu betrachten, wie sie dastanden am Teich mit ihren Pelzmänteln und strengen Frisuren, die Dame gezeichnet von mehreren Schönheitsoperationen. Ich konnte mir ein ausführliches Bild machen, doch bevor ich begann, es zu interpretieren, antwortete Wolfgang Acquodio auf meine Frage mit einem Ja. Szenen meiner Kindheit spielten sich daraufhin in meinem Kopf ab, die Geborgenheit des Waldes, bei Dachs, Fuchs und Rehen, Bilder, die so gar nicht zu dem Bild passten, das gerade vor mir war: Zwei harte alte Menschen, die mir unerbittlich erschienen, es war schwer zu ertragen, das Bild schrie nach Auflösung, wahrscheinlich deshalb sagte ich: Der Teich hier ist schön.

Acquodio wandte sich daraufhin zum Teich, in der seitlichen Silhouette sah sein Gesicht noch strenger aus, und sprach: Das Tierreich im Teich ist vom Wasser ganz weich! Dann nahm er die Dame mit dem starren Schönheitsgesicht beim Arm und schritt mit ihr davon.

Erstarrt starrte ich auf den Teich, einerseits ergriffen vom poetischen Satz der Stimme meiner Kindheit über das Tierreich im Teich, anderseits entsetzt über meine unbedachte Äußerung über den Teich: Acquodio hat immer Geschichten über den Wald, nie welche über das Wasser erzählt. Wie konnte ich nur den Teich erwähnen! Dazu noch sein Name – Acquodio – was soviel bedeutet wie: Wasser hasse ich. Doch was steht er auch am Teich, dieser Wasserhasser, dieser Boscamo, dieser Waldlieber!

Ich zog meine Schuhe aus und hielt meine Füße in das Wasser des Teichs. Mit der Gewissheit, meine Kindheit nun endgültig hinter mir gelassen zu haben.

Weiden in der Oberpfalz 1: Weiden

Matthew Smith aus Chicago meldete sich und sagte, er habe meine Nummer von Bekannten von Bekannten von Bekannten von mir, die ihm sagten, ich könne ihm weiterhelfen bei seinen Annäherungen an die Oberpfalz.

Ich fragte ihn, ob er ein Auto hat, dann wäre es ein Leichtes, sich der Oberpfalz von München aus anzunähern – die Autobahn führt direkt dorthin. Matthew mietete sich daraufhin ein Auto, ein paar Tage nach unserem Telefonat holte er mich ab und wir fuhren auf die A9 Richtung Norden. In der Holledau bogen wir auf die A93 ab. Matthews Gesicht war voll gespannter Erwartung, und als wir Regensburg erreichten, rief er voller Freude: Ah, Regensburg, die Hauptstadt der Oberpfalz!
Ich blickte skeptisch, und er blickte fragend, mich an, worauf ich zu einer Erklärung ansetzte:
Offiziell ja, offiziell ist Regensburg die Hauptstadt der Oberpfalz.
Offiziell?
Heidelberg war auch mal die Hauptstadt der Oberpfalz.
Heidelberg?
Ja. Wegen der Pfälzer Linie der Wittelsbacher. Deshalb heißt die Oberpfalz auch Oberpfalz.
Matthew Smith blickte vollkommen verwirrt, ich redete trotzdem weiter, denn ich kann nichts dafür, dass die deutsche Geschichte eine verwirrende ist:
Viele sagen, dass die Oberpfalz generell nicht regierbar ist, auch nicht von Regensburg aus, obwohl Regensburg näher an der Oberpfalz ist als Heidelberg. Und wahrscheinlich soll man die Oberpfälzer gar nicht regieren wollen, auch nicht von Amberg oder Weiden aus, das zeigt doch die Fuchsmühler Holzschlacht.

Ich bemerkte, dass ich Matthew als Zuhörer verloren hatte und setzte meinen Vortrag daher nicht fort, sondern schlug vor, nach Weiden zu fahren.
Nach Weiden? fragte Matthew.
Ja, nach Weiden in der Oberpfalz.

Wir setzten unsere Fahrt auf der A93 Richtung Norden fort. Bevor wir allerdings nach Weiden kamen, legten wir eine Pinkelpause ein. Vom Parkplatz aus hatte man eine schöne Aussicht auf die Landschaft, und Matthew sagte: Dort ist ein Fluss!
Ja, die Naab. Mit schönen Weiden am Ufer, sagte ich.
Das ist Weiden? fragte Matthew erstaunt. Weiden in der Oberpfalz? Er machte ein Foto.
Nein, das sind Weiden, sagte ich: Bäume, die an Flüssen wachsen.
Matthew blickte ratlos auf sein Handy. Wir gingen wieder zum Auto und fuhren weiter nach Weiden.

In Weiden gingen wir durch die Stadt, und Matthew machte auf mich einen angestrengten Eindruck, als ob er ständig etwas suche.
Suchst du etwas?
Ja, die Weiden.
Die Bäume?
Ja, die Bäume.
Die wachsen nicht in der Stadt. Wir müssen an den Fluss gehen, an die Waldnaab. Dort wachsen sie.
Wir gingen ans Ufer der Waldnaab. Dort fanden wir Weiden, und Matthew machte wieder ein Foto von den Weiden.

Ich sagte zu Matthew: Das Foto vom Parkplatz nennst du Weiden in der Oberpfalz, und das Foto von hier nennst du Weiden in Weiden in der Oberpfalz.

Matthew blickte mich wieder verwirrt an, doch ich ging nicht darauf ein, sondern zum Auto und schlug vor, weiter nach Amberg zu fahren.

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Uteto Fritz und die Hamsterradiaden der Menschheit 3: Die Schönheit des Todes

3 Die Schönheit des Todes

Fortsetzung von Teil 2

Uteto Fritz sitzt am Stamm seines Baumes, der von der Wintersonne erwärmt wird. Die Hamsterradiaden sind wie durch ein Wunder einer angenehmen Ruhe gewichen. Uteto Fritz liest Zeitung. Dann blickt er auf zu mir und sagt: Thomas Bernhard hat gesagt, er lese die Zeitung, um mehr vom Irrsinn dieser Welt zu erfahren, ich lese also wie er, um vom Irrsinn dieser Welt zu erfahren, und dabei lese ich von Virologen, von den neuen Chefs der Menschheit, die von der Bundeskanzlerin zu Rittern geschlagen werden, von Leuten wie Thomas Brussig geadelt werden, von Thomas Brussig, der unter dem Titel Mehr Diktatur wagen fordert, die Demokratie aufzugeben und Virologen zu unseren Diktatoren zu befördern, vielleicht weil er die DDR-Diktatur erlebt hat und die Diktatur von Google, Apple und Co. heraufziehen sieht, besser eine staatlich-naturwissenschaftliche Diktatur als eine privat-technokratische, denkt er sich vielleicht. Jedenfalls ist das eine orthodoxe Wissenschaftsgläubigkeit, die ich irrsinnig finde, nein mehr noch, die mir Angst macht, sagt Uteto Fritz, Angst um meine Freiheit, ich glaube nicht an Google, Apple & Co., ich glaube auch nicht an Virologen, ich glaube an mich und mein Leben, das tödlich enden wird.

Das Treiben der Viren unter dem Mikroskop zu beobachten stelle ich mir Furcht einflößend vor, vielleicht ist es auch faszinierend, vielleicht beides zugleich: die Welt als Vire und Vorstellung, dabei vergesse ich, dass durch das verordnete Nichtstun wegen der tödlichen Virengefahr neue Risikogruppen herangezüchtet werden, zum Beispiel die Fettleibigen, die dann wieder die Intensivbetten blockieren, was zu weiterem Nichtstun führt… – ich verliere mich in den Gedanken zur Pandemie. Gibt es noch etwas anderes als die Pandemie, zum Beispiel das Leben an sich?

Uteto Fritz legt die Zeitung beiseite und sagt: Ein Virus ist potentiell tödlich, so wie das Leben. Solange ich mich nicht damit abfinde, dass mein Leben tödlich enden wird, werde ich Angst vor dem Tod haben, und diese Angst zum Beispiel auf ein Virus projizieren. Vor ein paar Tagen brachte ich meine Nichte ins Bett, sie konnte nicht einschlafen und sagte, sie habe Angst vor den Viren, die kommen sicher heute Nacht zu ihr ins Bett und töten sie. Da sagte ich zu ihr: Die Viren wollen genauso leben wie wir Menschen. Als einmal ein Mensch gestorben war, den die Viren befallen hatten, setzten sie sich in einer Runde zusammen wie die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, waren sehr traurig über den Tod dieses Menschen und meinten einhellig: Die Lebenskraft dieses Wirtes haben wir überschätzt, seine Gastfreundschaft endete tödlich. In Zukunft wollen wir uns Wirte suchen, die mit uns leben können.

An den Tod, sagt Uteto Fritz, glaube ich wie an das Leben, durch den Tod werde ich meine letzte intimste Begegnung mit mir selbst haben, es wird hoffentlich eine schöne Begegnung sein voller Zufriedenheit, zumindest ist das mein Ziel. Doch ich stelle fest: Gerade lebe ich, als Mensch auf dieser Erde, voller Neugier, was mir heute noch passieren wird, sagt Uteto Fritz, drückt mir die Zeitung in die Hand, steht auf und geht über die Wiese der Sonne entgegen.

Moritz Mozart

Vorderbrandner stößt bei seinen Recherchen immer wieder auf Dinge, die mich erstaunen lassen. So hat er tatsächlich einen Nachfahren von Wolfgang Amadeus Mozart ausfindig gemacht, der sich Moritz Mozart nennt und behauptet, der Ururururururenkel seines berühmten Ururururururgroßvaters zu sein. Das wäre schon erstaunlich genug, aber das, was mich noch mehr erstaunt, ist, dass Vorderbrandner solche Menschen, die er ausfindig macht, auch zum Reden bringt. So sagte ihm Moritz Mozart, sagt Vorderbrandner, dass er von Freunden liebevoll Momo genannt wird, während andere Bekannte, die mit seiner Homosexualität nicht klarkommen und behaupten, er sei derjenige, der bei seinen Liebesaffären immer anal penetriert wird, ihn zarte Ritze nennen, Anlass dafür war eine Verletzung am After, die er sich tatsächlich beim Analverkehr zugezogen hatte und von der er einem heterosexuell veranlagten Bekannten erzählt hatte, diesen Bekannten hatte er liberal und offen eingeschätzt, doch dieser Bekannter ist ein verstockter Christ, er kam mit dieser Erzählung nicht klar und teilte sie mit anderen verstockten Christen die er kennt, und einer dieser anderen verstockten Christen hat wohl das Wortspiel mit der zarten Ritze erfunden, das seitdem in aller Munde ist.

Natürlich, sagt Vorderbrandner, habe er Moritz Mozart auch nach seinem Ururururururgroßvater gefragt, was er anfangs fast bereut hätte, denn Moritz Mozart war auf diese Frage hin plötzlich still, dann aber wurde er wütend und schimpfte auf seinen Ururururururgroßvater, Wolfgang Amadeus hätte nichts als Unglück über die Mozarts gebracht, er redete sich in Rage, sodass von Stille nicht mehr die Rede sein konnte, sondern von ihrem Gegenteil, er sagte, sein berühmter Vorfahr sei ein Frauenheld gewesen, ein charmanter zwar, aber ein Frauenheld, sein musikalisches Genie und die damit einhergehende Berühmtheit habe er ausgenutzt, um sich durchs Leben zu prassen und um nichts zu hinterlassen als einen Scherbenhaufen. Er könne Frauen deshalb nicht ausstehen, sagt Moritz Mozart, weil sie für die Dekadenz seines Ururururururgroßvaters stehen, mit ihrem tiefen Loch zwischen den Beinen, in dem man sich verliert und in das man versinkt, er wisse nicht, warum ihn seine Mutter als Kind dazu zwang, Röckchen und Kleidchen anzuziehen, wie konnten sich die Mozarts nur über so viele Generationen fortpflanzen, es muss doch ein Ekel geherrscht haben vor dieser schleimigen Höhle, in die man den Penis steckt, jedenfalls habe er diesen Ekel bei einer schamanischen Sitzung deutlich gespürt, seitdem ekle ihm noch viel mehr vor Frauen, ihm ekle vor jeglichen schleimigen Öffnungen, sogar vor seinem eigenen After wenn er es für den Analverkehr eincremt, merkwürdigerweise lerne er nur Partner kennen, die ihn anal nehmen wollen und nicht umgekehrt, einmal habe er sich vor lauter Ekel nicht genug eingecremt, dabei sei diese Verletzung entstanden, die ihn zur zarten Ritze machte, sein Liebespartner habe ihn blutend zurückgelassen, seitdem ekle es ihm vor Analverkehr, er hat geträumt, dass eine Frau mit ihren Fingern zart sein After gestreichelt habe, dann aber kam sie mit ihren Brüsten über ihn, die ihn fast erschlagen hätten, er kann seinem Ururururururgroßvater einfach nicht verzeihen, was er ihm angetan hat, er kann Frauen nicht lieben, er hat zuviel Angst vor ihnen, seit seiner Verletzung kann er auch Männer nicht mehr lieben, er könnte sich natürlich einen Partner suchen, den er penetriert, aber er macht sich zu viel Druck wenn es ans Penetrieren geht, sein Penis erschlafft dann regelmäßig, und so ist er in die Rolle des Penetrierten gerutscht, ohne dass er es wollte, vielleicht würden schamanische Sitzungen helfen, um die Lockerheit für die Penetration zu erlangen, er habe keine Lust mehr, der Penetrierte zu sein, je mehr er über die Penetration nachdenkt, desto mehr will er eine feuchte Frauenhöhle penetrieren statt einen eingecremten Männerafter, aber das macht ihm wieder Angst, diese Höhle, vor der sein Penis erschlafft, er kann seinem Ururururururgroßvater die Wunden nicht verzeihen, die er geschlagen hat.

Vorderbrandner hat die Geschichte von Moritz Mozart mehreren Verlagen zur Veröffentlichung angeboten, aber alle sagten: Mozart ohne Musik – das geht nicht!

Kurze Biographie des Ururururururgroßvaters

Denk an Jiří Parma 2: Drosten der Pfosten

Fortsetzung von Teil 1

In München war er noch immer geladen, er setzte sich an den Computer und legte sich eine Netzidentität zu, er nannte sich Prag Matiker, der Mathematiker aus Prag, es kam ihm genial vor, er legte sofort los und postete: Drosten der Pfosten, Drosten, das ist der Mann, den er im Radio gehört hatte und der ihn so wütend gemacht hatte, dieser Drosten kam ihm müde und erschöpft vor, aber dieser Drosten redete und redete wie ein Politiker, er redete von Viren und Infektionskontrolle, Kontrolle, da war es wieder, dieses Reizwort, dieser Drosten leidet an Angst vor Kontrollverlust, genauso wie er, dieser Drosten hat eine Manie gegenüber Viren und ihrer Infektiosität, das hat ihn so wütend gemacht, aber so weit konnte er nicht denken in seiner Wut, er ging auf volle Attacke gegen diesen Drosten.

Pavel, sein Hund, der ihn immer an Pavela erinnerte, saß in seiner Wut neben ihm, und so wurde auch Pavel vernetzt, er gab Pavel den Netznamen Dog Matiker. Pavel stand auf Knochen und Fleisch wie Drosten auf Viren, er verbiss sich manisch an ihnen, Pavel war ein wütender Hund, der nicht leicht zu halten war, trotzdem liebte Jiří Pavel, Pavel gab ihm etwas, das ihm fehlte, vielleicht die Wut, die ihm gefehlt hatte und die ihm jetzt nicht mehr fehlte, jetzt, wo sie sich an diesem Drosten verbeißen konnte.

Alles mutiert im Leben, schrieb Parma als Prag Matiker, zum Beispiel wenn eine Frau plötzlich sagt: Ich liebe dich nicht mehr, niemand hat ein Recht auf Beständigkeit, nicht einmal die Mathematik, die die Welt logisch erfassen will, niemand kann den Viren ihr Recht auf Mutation verweigern, sie mutieren ohne Einverständnis, das kann nicht einmal Herr Drosten mit seinem Kontrollwahn verhindern, ich wünsche ihm, von seinem Kontrollwahn loszulassen, ich wünsche ihm die Freiheit, zu leben und dabei den Tod zu riskieren, das wünsche ich der ganzen Menschheit, manchmal wünsche ich der ganzen Menschheit, dass sie einfach aufhört zu leben und diesen Planeten endlich in Ruhe lässt.

Jiří Parma, der Mathematiker, war ein Star im Netz, natürlich nicht als Jiří Parma, sondern als Prag Matiker, Prag Matiker war eine Ikone der Querdenker, andere beschimpften ihn als Rechtsradikalen und glaubten herausgefunden zu haben, dass er aus einer Familie von Nazis stammt, die sich nach dem Krieg als Tschechen ausgegeben haben und nur deshalb nicht aus dem Sudetenland vertrieben wurden.

Mitten in seiner Prag Matiker-Drangphase träumte Jiří von Pavela, sie sagte zu ihm: Nedrž se mě!, das ist tschechisch und heißt soviel wie Klammere dich nicht an mich! Das klang schön, viel schöner als Už tě nemiluji. Nachdem Pavela Nedrž se mě! gesagt hatte, gab sie Jiří einen sanften Kuss, er fühlte sich geliebt nach diesem Traum, er hatte sich noch nie so geliebt gefühlt. Am nächsten Morgen löschte er seine Identität als Prag Matiker. Pavel, den Hund, musste er einschläfern lassen, nachdem er einer Frau ein Bein abgebissen hatte. Seitdem geht er alleine spazieren und denkt dabei oft an Jiří Parma, den Schispringer, wie er sanft die Hänge von Harrachov entlanggleitet und butterweich landet, mit einem wunderschönen Telemark. Das beruhigt ihn ungemein, das freut ihn, und er wünscht sich, dass Drosten ihm verzeiht, Drosten, an dem er sich in seiner grenzenlosen Wut verbissen hatte.

Denk an Jiří Parma 1: Pavela Plocova

Im Netz kannte man ihn als Prag Matiker, aber er heißt Jiří Parma, genauso wie der ehemalige Schispringer. Er ist in Harrachov aufgewachsen, wo die Schanzen stehen, von denen Jiří Parma, der Schispringer, am liebsten gesprungen ist. Er hat als Kind geträumt von Jiří Parma, Parma sprang von der großen Čerťák-Schiflugschanze in Harrachov und hat während des Flugs die Kontrolle verloren, es überschlug ihn in der Luft, er schlug hart auf dem Boden auf und versank ins bewusstlose Delirium, und obwohl er am nächsten Tag an der Schanze war, wo er Jiří Parma springen sah, nicht elegant wie einen Vogel, aber kontrolliert, sicher, ohne Sturz, glaubte er nicht was er sah, er sah Jiří Parma den Stürzenden, dieses Bild verfolgte ihn, obwohl Jiří Parma wenig gestürzt ist bei seinen Sprüngen. Kontrollverlust war seitdem eine ständige Bedrohung für ihn, Harrachov bedeutete für ihn Kontrollverlust, deshalb ging er weg aus Harrachov, er wollte seinen Namensvetter nicht mehr springen sehen, er ging nach Prag, er studierte Mathematik, um mittels Geometrie und Zahlen die Kontrolle über das Leben zu erlangen, doch inmitten der Geometrie und Zahlen traf er Pavela Plocova und verliebte sich heftig in sie – ja, sie hieß tatsächlich Pavela Plocova – und sie erinnerte ihn an Pavel Ploc, auch ein ehemaliger Schispringer, den er seit seinen Kindertagen in Harrachov auch als einen Stürzenden gespeichert hat, obwohl das wahrscheinlich gar nicht stimmt,

aber Pavel Ploc bedeutete für ihn genauso Kontrollverlust wie Jiří Parma, der Kontrollverlust verfolgte ihn auch in Prag, indem er Pavela Plocova traf und sich heftig in sie verliebte, er vernachlässigte wegen ihr Geometrie und Zahlen, bis sie eines Morgens von der Geliebten zur Hassfigur mutierte, eine Mutation, die ihn schwer verletzte, sie lagen im ersten Morgenlicht gemeinsam im Bett, als Pavela sagte: Už tě nemiluji, das ist tschechisch und heißt Ich liebe dich nicht mehr, nun war auch Prag durch Pavela endgültig ein Ort des Kontrollverlusts geworden, er versuchte sich von Prag zu abstrahieren, indem er sich jetzt voll auf Geometrie und Zahlen stürzte, dieses Stürzen wurde zur Manie und brachte ihn nach Deutschland, wo er Mathematik lehrt.

Das Deutsche, sagt Parma, habe immer eine Rolle gespielt in seiner Familie, sein Name habe zwar etwas mit der Stadt Parma in Italien zu tun, Vorfahren von ihm kämen von dort, als Parma aber unter habsburgischem, also österreichischem Einfluss war, deshalb seine Affinität für das Deutsche, nicht zufällig sei er in Deutschland, nichts im Leben sei zufällig, auch wenn er sich nicht erklären kann, wieso ihn der Kontrollverlust ständig verfolgt, so wie auf der Autofahrt vergangenes Frühjahr von Prag nach München, da habe ihn der Kontrollverlust wieder heimgesucht, als er diesen Mann im Radio hörte, der tiefe Ängste in ihm weckte, er hätte den Sender wechseln können, um diesem Mann nicht weiter zuzuhören, aber er hörte ihm weiter zu, er schrie den Mann an: Geh scheißen und entspann dich! – das hatte mal ein österreichischer Kollege zu ihm gesagt, als er stundenlang über Mathematik geredet hatte – aber der Mann im Radio hörte nicht auf, er redete und redete. Als er endlich aufgehört hatte zu reden und keine Resonanz mehr bot, fuhr Parma von der Autobahn ab und tief in einen böhmischen Wald hinein, dort stieg er aus dem Wagen und fing laut zu schreien an, seine Wut war eine unermessliche. Er rannte umher, verwirrt und verzweifelt, er hetzte mit Pavel, seinem Hund – nach Pavela benannt -, stundenlang über Stock und Stein. Sehr viel später, als er sich endlich beruhigt hatte, stieg er wieder ins Auto und fuhr weiter nach München.

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Systemrelevanter Kältetod

Bei meiner systemrelevanten Tätigkeit der Überstellung von reparatur- und servicebedürftigen Automobilen von ihrem Besitzer in die Werkstatt, die ich momentan verstärkt ausübe mangels systemischer Relevanz meiner künstlerischen Aktivitäten, bin ich viel draußen. Deshalb trage ich in der kalten Zeit meine daunengefütterte Jacke. Sie ist meine Überlebensversicherung gegen die Kälte.

Bei meiner wärmenden Jacke ist jedoch der Reißverschluss kaputt gegangen. Ich verschränke die Arme vor meinem Körper, um sie notdürftig zu schließen und gehe mit dringlichen Schritten zur Änderungsschneiderei, um den Reißverschluss reparieren zu lassen. Bei diesem Gang stoße ich auf einen Demonstranten, der ein Schild in die Höhe hält mit der Aufschrift:

IMPFSTOFF IN FLASCHEN STATT IN DOSEN! STOPPT DEN ÖKOLOGISCHEN WAHNSINN!

Sie steht dabei vor einem Berg entsorgter Weihnachtsbäume, die gestorben sind, um Gottes Sohn zu gebären.

Ich fröstle mich weiter zur Änderungsschneiderei, die, als ich sie erreiche, verschlossen ist. An der Tür steht:

Lieber Kunde,
falls Sie mich dringend benötigen, irren Sie sich, denn meine Tätigkeit ist nicht systemrelevant.

Plötzlich schleicht die Kälte noch mehr unter meine Haut, eine Angst vor dem Erfrierungstod beschleicht mich. Ich stehe an der verschlossenen Tür, während die Autos an mir vorbeibrausen. Ein Auto müsste ich haben, das könnte ich reparieren lassen, damit es mich warm hält – im Gegensatz zu meiner Jacke: Die kann ich nicht reparieren lassen. Ich könnte eine neue Jacke online bestellen, aber die ökologische Verwerflichkeit dieser Tat widert mich an, sodass sie nicht in Frage kommt. Stoppt den Online-Konsumwahnsinn!

Während ich so verfroren dastehe und nach Lösungen suche, sagt Hubert zu Markus in der warmen Staatskanzlei:
„Moorkus, ich denke Änderungschneidereien sollten wir öffnen lassen, die Leute erfrieren uns sonst!“
„Ganz ehrlich Hubert“, meint Markus daraufhin: „Tote, die erfroren sind, sind meistens dumm und drogenabhängig gewesen – die hätten niemals CSU gewählt, oder – meinetwegen – Freie Wähler. Während Corona-Tote tendenziell alt oder krank oder beides gewesen sind – eine wichtige konservative Wählerschicht. Die dürfen wir nicht einfach so sterben lassen. Lieber ein erfrorener Toter als ein Corona-Toter. Jede Stimme zählt!“

Ich sehe mich als Halberfrorener vor einem Supermarkt betteln, ob mir jemand eine Semmel mitnehmen kann, da ich keine FFP2-Maske besitze. FFP2-Masken-Produzent müsste man sein – da bekäme man einen warmen Empfang in der Staatskanzlei. Plötzlich, mitten in die kalte Depression hinein, kommt mir die rettende Idee: Ich gehe zurück zum Demonstranten, werfe mich in den Haufen toter Tannenbäume hinter ihr und vergrabe mich darin. Die toten Tannenbäume werden mich warmhalten wie einen Igel unterm Laub, bis meine Änderungsschneiderei wieder öffnet und meine Jacke repariert. Und sollte ich der Kälte nicht trotzen, dann muss ich erkennen, dass mein Leben nicht relevant genug ist, um vor dem Tod geschützt zu werden.

Nachweihnachtswinterquartier

Kadaver im Kader

Die Redaktion hatte die Berichterstattung über den Kader für das Schirennen gerade abgesegnet, als plötzlich die Nachricht die Runde machte, dass von einem gewissen Noit, einem Mitglied des Kaders für das Schirennen, der Kadaver gefunden worden sei, woraufhin ein Mitglied der Redaktion meinte, man könne nun unmöglich über den Kader für das Schirennen berichten, sei doch Noit so etwas wie das Schlüsselmitglied des Kaders gewesen, schließlich lese sich Redaktion von hinten gelesen Noitkader, und dies sei der einzige Grund gewesen, überhaupt über den Kader für das Schirennen zu berichten, jetzt, ohne Noit, sei dieser Grund weggefallen, man werde nun über den Kader für das Schirennen überhaupt nicht mehr berichten, woraufhin sich ein anderes Mitglied der Redaktion meldete mit dem Vorschlag, die Redaktion solle sich ab sofort Revadaktion nennen, um über den Noitkadaver zu berichten, die Reaktion der restlichen Redaktion auf diesen Vorschlag war allgemeines Kopfschütteln, mitten in diesem Kopfschütteln fuhr ein Schieber an den Redaktionsmitgliedern vorbei, also ein auf Schiern fahrendes männliches Schwein, ein Mitglied der Redaktion machte daraufhin den Vorschlag, Noit durch den Schieber im Kader zu ersetzen, die Reaktion der restlichen Redaktion war noch mehr Kopfschütteln, denn schließlich, so die einhellige Meinung der restlichen Revadaktion, schließlich sei die Würde des Menschen unantastbar, man könne Noit, selbst wenn er nur mehr ein Kadaver sei, nicht durch ein auf Schiern fahrendes männliches Schwein ersetzen, was allgemeines Kopfnicken hervorrief und in dem Beschluss mündete, nicht mehr über den Kader für das Schirennen zu berichten. Der Vorschlag, als Revadaktion über den Noitkadaver zu berichten, wurde ebenfalls nicht weiter verfolgt.