Perspektivenwechsel

Ich betrat das Büro und fand Vorderbrandner im Handstand auf dem Schreibtisch stehend vor, sein Gesicht dem Bildschirm zugewandt.

„Was machst du?“ fragte ich erstaunt.

„Agathe hat mir einen Text geschickt, aber ihn leider verkehrt herum eingescannt. Deshalb muss ich ihn verkehrt herum lesen.“

„Du hättest doch den Text um 180 Grad drehen können, anstatt dich selbst zu drehen und in den Handstand zu gehen.“

„Daran habe ich auch gedacht, aber ich war zu faul dazu.“

Etwas verwundert setzte ich mich an meinen Schreibtisch und sah Vorderbrandner dabei zu, wie er kopfüber im Handstand auf dem Schreibtisch stehend den Text las, den Agathe verkehrt herum eingescannt hatte.

„Um was geht es in diesem Text?“ fragte ich.

„Es geht darum, dass das Gehirn eine Gewohnheitsmaschine ist. So steht hier unter anderem, dass es mit ein bißchen Training ohne Probleme möglich wäre, einen Text verkehrt herum zu lesen, also ein Blatt um 180 Grad zu drehen und von rechts unten nach links oben zu lesen, wir aber aus Gewohnheit das Blatt nicht drehen und von links oben nach rechts unten lesen.“

„Dann hat Agathe dir den Text also absichtlich verkehrt herum geschickt: Du solltest den Text normal sitzend von rechts unten nach links oben lesen!“

„Glaubst du?“ fragte Vorderbrandner, während er seine Füße per Überschlag auf den Boden katapultierte. „Agathe meinte jedenfalls, unsere Beziehung brauche einen Perspektivenwechsel, sie bewege sich zu sehr in eingefahrenen Bahnen.“

„Siehst du! Da ist es doch ein guter Start, Texte verkehrt herum zu lesen, um eine neue Perspektive zu bekommen.“

„Finde ich nicht. Wozu soll ich mein Gehirn strapazieren, wenn ich einen Körper habe, den ich bewegen kann!“ sagte Vorderbrandner und katapultierte sich wieder in den Handstand, um weiterzulesen.