Krieg und Saufen I

Der Kriegsschauplatz meiner Beziehung zu Josefine hat mich zu meinem Therapeuten geführt. Alles tobt zwischen ihr und mir, dabei bin ich doch der friedfertigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Warum tut Josefine mir das an? Womit habe ich das verdient?

Krieg? Natürlich bin ich gegen den Krieg, schon immer. Manchmal werde ich wütend wegen der Kriege, wegen dem Krieg, der noch immer in den deutschen Köpfen ist. In meiner Wut bekomme ich einen Hass auf die Juden. Die Juden sind die Provokateure der Weltgeschichte. Erlöstes Volk – das ich nicht lache! Sie sind Menschen wie du und ich, die sich zu Opfern hochstilisieren. Ihr Opfer, ihr! Manchmal regt sich in mir eine gewisse Empathie für den Bastard Hitler. Hat er nicht getan, was unausweichlich war? Die deutsche Geschichte – eine Erfolgsgeschichte, wäre da nicht Hitler gewesen! Was für eine Lüge! Die deutsche Geschichte – eine Erfolgsgeschichte, weil da Hitler gewesen ist! Schon besser! Hitler als Stellvertreter der Deutschen, ein Mann des Volkes, der seinen Kopf hingehalten hat für das Volk. Das Volk hat ihn bereitwillig unterstützt. Geh voran, Bastard, und tu endlich, was wir schon lange tun wollten! Ablenkung von der eigenen Not tut immer gut. Da kommt der Jude gerade recht. Da schauen wir lieber auf den Juden und zeigen mit dem Finger auf ihn, anstatt auf uns zu schauen. Wir Täter, wir!

Dachau? Lemberg? Stalingrad? Ich weiß nicht, wo er war. Ich weiß nicht, ob er Juden hasste oder Nazis liebte. Sie sagten und sagen es mir nicht. Er kam nachhause, mein Großvater, haben sie gesagt. Aber von wo er kam, haben sie nicht gesagt. Er war nicht geläutert, haben sie gesagt, er war und blieb der Nazi. Vielleicht wollten sie gar nicht, dass er nachhause kam, aber er kam nachhause. Kam nachhause und war nicht mehr derselbe. War verstört und hat sich dem Alkohol hingegeben. Es war leicht, sich dem Alkohol hinzugeben, sich dem Alkohol hinzugeben und nicht anderen Drogen. Denn Alkohol ist eine legale Droge, im Gegensatz zu anderen Drogen. Saufen bis zur Besinnungslosigkeit, und keiner sagt etwas. Die Gesellschaft gibt ihren Segen dazu. Saufen bis zur Besinnungslosigkeit, um den Krieg zu vergessen. Aber der Krieg geht weiter, im Kopf, gnadenlos, trotz Betäubung.

Natürlich bin ich gegen den Krieg, schon immer. Ich bin der friedfertigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Doch etwas tobt in mir, beständig. Ich will es nicht Krieg nennen, doch nicht Krieg, nein, das ist ein zu krasses Wort, das ich ungern in den Mund nehme, eher innere Unruhe, die mich in meinem friedfertigen Dasein stört. So sage ich es dem Therapeuten. Ich sage, dass ich es nicht mehr aushalte, nicht nur mit Josefine, nein: dass ich insgeheim meine Mutter nicht mehr aushalte, dass ich sie hasse dafür, dass sie mich auf diese Welt gebracht hat, in der nur der Krieg tobt und ich als friedfertiger Mensch völlig fehl am Platz bin.

Ich habe den Eindruck, mein Therapeut will mich nicht hören. Er geht nicht ein auf meine Klagen über meine Mutter, sondern redet von meiner väterlichen Linie und davon, dass Hass auf die Frauen nur entsteht, wenn man sich als Mann selbst nicht liebt. Er legt drei Zettel auf den Boden und sagt: Ein Zettel bist du, einer ist dein Vater, einer ist dein Großvater.

Ich habe meinen Großvater nie gekannt. Er ist gestorben, als selbst mein Vater noch ein Kind war. Er war 45 Jahre alt, als er gestorben ist. Da war der Krieg seit zehn Jahren vorbei. Zehn Jahre hat er den Krieg überlebt, an dem er, wie ich vermute, gestorben ist. Zehn Jahre hat er seinen Leib noch weiter geschleppt durchs Leben, obwohl er innerlich bereits gestorben war. In der Familie wurde nicht darüber gesprochen, warum er so früh gestorben ist, aber ich glaube es zu wissen: Er hat sich zu Tode gesoffen. Nach zehn Jahren hatte er es endlich geschafft: Genug gesoffen, um zu sterben. Der Zettel, der da als mein Großvater auf dem Boden liegt, wird lebendig, und ich werde wütend. Es ist Krieg im Raum. Ich bin im Krieg mit meinem Großvater. Ich fühle mich bedroht in meiner Friedfertigkeit. Mein Großvater bedroht diese Friedfertigkeit. Ich zeige mit dem Finger auf ihn.

Fortsetzung folgt…