Huckleberry und Klause

Ich bin Künstler und Psychologe, sagt Uteto Fritz, aber ich bezeichne mich selbst gerne als Sprachenergetiker. Neulich bin ich in meinem sprachenergetischen Tun wieder einmal mit der Liebe in Berührung gekommen, als ich Huckleberry und Klause kennenlernte, ein junges Paar, das eigentlich sehr glücklich miteinander ist.

Ihr seht sehr glücklich aus, sagte ich zu ihnen, sagt Uteto Fritz, woraufhin Klause meinte:

Sind wir auch. Aber wir trauen diesem Glück nicht.

Klause – ein sehr ungewöhnlicher Vorname für eine Frau, sagte ich.

Da fängt das Unglück schon an, sagte Klause, bei meinem Vornamen.

Wieso?

Ich habe vier ältere Schwestern, wir sind also fünf Schwestern. Meine Eltern wollten eigentlich nur zwei Kinder. Mein Vater wollte aber unbedingt einen Sohn, sodass sie weitergemacht haben mit dem Kinderkriegen nach der Geburt meiner zweitältesten Schwester, bis endlich ein Sohn auf die Welt kommen würde. Als ich auf die Welt kam, als fünftes Mädchen, sagte meine Mutter zu meinem Vater: „Klaus, ich mag nicht mehr! Fünf Kinder sind genug, auch wenn kein Junge dabei ist. Ich habe einen Vorschlag: Lass uns unsere Jüngste doch Klause nennen, so wie Simon und Petra eines ihrer Mädchen Simone genannt haben. So hat sie wenigstens deinen väterlichen Namen.“

Kurz überlegte mein Vater, ob er meine Mutter verlassen und mit einer anderen Frau mit dem Kinderkriegen weitermachen sollte, bis ein Sohn dabei herausspringt, doch dann entschied er sich, bei meiner Mutter zu bleiben und stimmte beidem zu: nämlich es bei fünf Kindern zu belassen und mich Klause zu nennen.

Erstaunlich, wie leicht Ihren Eltern das Kinderkriegen fiel, sagte ich. Sie wirken auf mich in Ihrer Erzählung, trotz der Sohn-Problematik, wie ein verständnisvolles und zufriedenes Paar. Was macht nun Sie als Tochter dabei so unglücklich?

Ich weiß nicht, sagte Klause. Ich fühle mich einfach unglücklich. Ich suchte mein Unglück in meinem Namen. Eine Psychologin meinte, Klause bedeutet Enge – ob es denn bei meiner Geburt recht eng zugegangen sei? Ich fragte meine Mutter, sagte Klause, und sie meinte: „Nein, wieso denn? Da kamen doch vorher schon vier andere raus.“ Ein anderer Psychologe meinte, Klause ist ein altes Wort für Einsiedelei – ob denn Einsamkeit eine große Rolle spielt in meinem Leben? Nein, sagte ich, ich bin mit vier älteren Geschwistern aufgewachsen, die jung genug waren, um Spielgefährten zu sein, sagte Klause, als sich plötzlich Huckleberry zu Wort meldete und meinte, in seinem Leben spiele sie dafür eine große Rolle, die Einsamkeit.

Sind Sie Einzelkind? fragte ich.

Ja, sagte Huckleberry, ich bin Sohn einer Amerikanerin und eines Deutschen. Um ihr Heimweh zu lindern, wollte mir meine Mutter einen amerikanischen Namen geben. Mein Vater, Horst Hackl sein Name, gestand meiner Mutter das zu.

Sie heißen also Huckleberry Hackl?

Ja. Allein schon wegen meinem Namen zum Außenseiter erkoren.

Ich wusste nicht, was ich weiter sagen sollte, sagt Uteto Fritz, also ließ ich der Stille ihren Raum. Das junge Paar, so mein Eindruck, war bedrückt von der Stille. Huckleberry wechselte von einer Verlegenheitsgeste in die andere, während Klause mich erwartungsvoll ansah, auf dass ich endlich die Stille beende. Ich dachte jedoch nicht daran, im Gegenteil – ich fand die Stille sehr wohltuend, bis es schließlich aus Klause herausplatzte: „Und das Schlimmste ist: Ich bin schwanger. Stellen Sie sich vor, es wird ein Junge – sollen wir ihm wieder einen amerikanischen Namen geben Huckleberrys Mutter zuliebe, obwohl Huckleberry ihm so gerne einen deutschen Namen geben würde? Oder es wird ein Mädchen! Meine Schwestern haben noch keine Kinder. Können wir meinem Vater das antun, dass sein erster Enkel wieder ein Mädchen wird?“

Für einen Moment dachte ich, nun sollte wieder Stille einkehren, sagt Uteto Fritz, doch dann ergriff ich selbst das Wort und sagte: Das Schöne ist, dass Sie beide, Huckleberry und Klause, sich lieben. Es ist was es ist, sagt die Liebe, sagt Erich Fried in seinem berühmten Gedicht. Und das ist doch, was zählt.

Ja, aber.., sagte Klause, und ich fuhr streng dazwischen und sagte: Ich möchte, dass ihr jetzt für fünf Minuten still seid! Kein Wort!

Klause sah mich entgeistert an, während Huckleberrys Gesichtsausdruck eine Mischung aus Skepsis und Erleichterung war.

Da saßen wir nun zu dritt in der Stille. Nach etwa drei Minuten fing Klause zu weinen an, und mit kurzer Verzögerung weinte auch Huckleberry. Was raus muss muss raus, dachte ich mir, sagt Uteto Fritz. Endlich kommt es raus! Dann legte ich Matten auf den Boden, wir legten uns auf sie und lagen über eine halbe Stunde schweigend da. Als wir uns verabschiedeten, urarmten mich Huckleberry und Klause lang und innig. Ich glaube, ich habe Liebe gespürt, sagt Uteto Fritz.