Der Kot ist ein Segen

Der Kot ist ein Segen, sagte einer der Käfer, und dann fraßen sie weiter an ihren Pillen. Wie kam es dazu?

Es war so, sagt Vorderbrandner: Ich ging durch die Stadt, im milden Dämmerlicht, an einem klaren Abend im frühen Frühling. Ich sah durch die erleuchteten Fenster in die Restaurants hinein. Ich sah Menschen um Tische sitzen, sah sie abwechselnd ihre Münder öffnen, um Ess- und Trinkbares in sich hineinzuwerfen. Bei diesem Anblick dachte ich unvermittelt ans Scheißen, denn Scheißen ist ja sozusagen das Gegenteil von dem was ich sah: Das Auswerfen von für den Körper nicht mehr Verwertbarem. Und bei dem, was da alles hinter den Scheiben gegessen wurde, brauchte es keine große Phantasie, um sich vorzustellen, was da alles geschissen werden wird. Essen und Scheißen sind zwei komplementäre Vorgänge, aufs Nächste miteinander verwandt. Ohne Essen kein Scheißen und ohne Scheißen kein Essen. In der menschlichen Kommunikation gibt es zwischen diesen beiden Dingen allerdings ein großes Mißverhältnis: Man redet viel übers Essen, aber wenig übers Scheißen. Lass uns was essen gehen, lautet eine beliebte Ansage. Lass uns was scheißen gehen führt zu Irritation und Abscheu.

Ich ging weiter durch die Stadt, sagt Vorderbrandner, und sah die essenden Menschen hinter den erleuchteten Fenstern. Meine Gedanken waren gefangen zwischen Essen und Scheißen. Ich hatte gerade gegessen, ja, ich hatte keinen Hunger, und ich glaube, Hunger spielte auch bei den Menschen auf der anderen Seite der Fenster nur eine untergeordnete Rolle. Nein, sie aßen gegen die innere Leere und glaubten, sie mit Essen auffüllen zu können. Muss der Mensch wirklich so viel essen, oder isst er bloß so viel, weil er es sich angewöhnt hat? Essen als Droge gegen innere Leere? Ich bekam nun doch Hunger, obwohl ich gerade etwas gegessen hatte. Ich beneide das Meerschweinchen, dass sein Essen immer in sich trägt. Es scheißt dazu das Gegessene und frisst es nochmal, um es in einem zweiten Verdauungsdurchgang besser zu verwerten. Der Mensch verwertet zu gut, sonst könnte er wie das Meerschweinchen das Essen immer in sich tragen.

Es war einst ein König, der so unglücklich über das Scheißen war, dass er Goldklumpen aß, um Gold zu scheißen. Sein Körper konnte die Goldklumpen aber nicht verwerten, sie verletzten seinen Darm tödlich und er starb daran. Er ist rektal verreckt. Der Mensch hat das Scheißen aus seiner Kultur verdrängt. Kommt vom Klo und tut als wäre nichts gewesen. Das war nicht immer so. Bei Rabelais, neben Cervantes der Mitbegründer der europäischen Hochkultur des Romans, wird gefressen und geschmaust was das Zeug hält, um danach zu scheißen und zu furzen was das Zeug hält. Und auch Till Eulenspiegel macht bei jeder Gelegenheit einen Haufen. Ist das Essen ein Fest, ist das Scheißen ein mindestens genauso großes.

Die Dämmerung wich fast schon der Dunkelheit. Ich ging aus der Stadt in den Stadtwald. Unter den Bäumen bekam ich große Lust zu scheißen. Ja, es kann sehr lustvoll sein, nicht nur etwas aufzunehmen wie beim Essen, sondern auch etwas abzugeben wie beim Scheißen, sagt Vorderbrandner. Ich schiss einen beherzten Haufen auf den Boden, und sein Aroma stieg wie ein Wohlgeruch in die Nasen der nahe lagernden Käfer und lockte sie an. Sie flogen heran und freuten sich. Sie nahmen vom Haufen und rollten den Kot zu kleinen Pillen. Deshalb nennt man sie Pillendreher. Als jeder sich eine Pille gedreht hatte, setzten sie sich zu einer Runde zusammen und labten sich daran. Der Kot ist ein Segen, sagte einer der Käfer: Mir ist unbegreiflich, wie man ihn verschmähen kann. Dann fraßen sie weiter unter dem Mond dieser klaren Frühlingsnacht.