Scheider von Gut und Böse

Ich sah mich mit der Aufgabe konfrontiert, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, ja, die Aufgabe wurde mir aufoktroyiert, indem man mir sagte: Seien Sie der Scheider von Gut und Böse! Ich fing daraufhin zu denken an, denn wie sollte ich diese Aufgabe sonst angehen als denkend: Wenn ich gut bin, sehe ich das Böse. Wenn ich böse bin, sehe ich das Gute. Oder ist es umgekehrt: Wenn ich gut bin, sehe ich das Gute… Ehe ich den Gedanken zuende denken konnte, hörte ich jemanden sagen: Negerin, hör auf mit dem Scheiß! Ich wollte einschreiten, denn es schien ein klarer Fall von Rassismus vorzuliegen, als die Angesprochene die Pistole auf den Rassisten richtete und sagte: Ich knall dich ab, du weißer männlicher Macho! und sie ließ ihren Worten Taten folgen, verballerte ihre ganze Munition, und der weiße männliche Macho, der sich eben als Rassist geoutet hatte, starb in einem roten Blutbad.

Ich versuchte gerade, das Erlebte zu verarbeiten, als sie, die ich hier, um dem Lesefluss zu dienen, scheiß Negerin nenne, ohne rassistischen Hintergrund, nur zur besseren Unterscheidung, sagte: Guck nicht so blöd, sonst knall ich dich auch ab! Woraufhin ich dachte: Stimmt, logisch, ich bin auch ein weißer männlicher Macho, wobei der Macho in mir, naja, bin ich nicht eher ein weißer männlicher Weichling?, doch plötzlich überkam mich Angst, die meine Macho- und Weichlingsgedanken verdrängte, und ich beeilte mich zu sagen: Nein, nein, ich guck nicht blöd, im Gegenteil, ich find das gut, klarer Fall von Rassismus, da muss man Zeichen setzen, #notoracism, ■ und so, ja gut, das sind Zeichen, aber ich meine, nur Zeichen?, nein, man muss Taten setzen, es abknallen, dieses weiße männliche Machoschwein, dessen Vorfahren die Neger erst ausgebeutet und dann getötet… Sie winkte ab und ging weg, und ich dachte mir: Wow, krasser Einstieg in meine Tätigkeit als Scheider von Gut und Böse, und folgende Fragestellung drängte sich mir auf: Wäre die scheiß Negerin mit der Pistole ein Bleichgesicht gewesen – wäre es dann Mord gewesen, oder lediglich die Rache einer unterdrückten weiblichen Weißen an einem weißen männlichen Macho? Ich hatte das Gefühl, die Gedanken türmten sich in mir auf, sie zwangen mich in die Knie, und insofern war es gut, dass ich auch diesen Gedanken mit den Weißen beiderlei Geschlechts nicht zuende denken konnte, denn eine Person mit einem kleinen schwarzen Hütchen auf dem Kopf kam mir entgegen, was ich lustig fand. Die Person sagte: Guck nicht so blöd! Das kam mir bekannt vor, doch dann sagte die Person: Bist wohl ein scheiß Nazi, oder was? Ich dachte, ja: Ich dachte schon wieder, und diesmal dachte ich: Vielleicht trage ich die Haare zu kurz?, doch dann begriff ich: Nein, der Nazi ist im Kopf dieser Person mit dem kleinen schwarzen Hütchen auf dem Kopf, ein festes Konzept im Kopf dieser Person, der böse Nazi, ein durchaus plausibles Konzept, ich schien dem Scheiden von Gut und Böse näher zu kommen, als die Person rief: Wir sind das auserwählte Volk und ihr seid alles scheiß Nazis! Schämst du dich denn nicht, du Verbrecher, du Mörder des auserwählten Volkes! Ich böse, Person mit schwarzem Hütchen gut? So denkt zumindest die Person mit dem schwarzen Hütchen, unerbittlich, und in mir blitzte der Gedanke auf, das gut und böse verwerfliche Konzepte sind, Konzepte, die in eine Spirale der Gewalt führen, doch kaum war der Gedanke vom Blitz erleuchtet, fielen Schüsse, begleitet von lauten Schreien – Allahu akbar donnerte es in meinen Ohren, und ich sah die Person mit dem schwarzen Hütchen und mich als die nächsten toten weißen männlichen Machos im roten Blutbad, überhaupt eine ganz schöne Männerveranstaltung hier, war die Negerin nicht doch ein Neger und die Feministin ein Feminist?, doch vor unserem Tod wachte ich schweißgebadet auf und erschrak darüber, wie echt sich dieser Traum angefühlt hatte.