Mit Suzanne auf dem Hügel

Armin ist aufs Land gezogen, um Ruhe zu finden. Er wohnt in einem ehemaligen Bauernhof, den er zu einem modernen Wohnhaus umgebaut hat. Gleichzeitig hat er seine Wohnung in der Stadt behalten. Kann er sich das leisten? fragte ich mich anfangs. Mittlerweile frage ich mich das nicht mehr sondern denke nur: Armin kann sich das leisten. Armin führt zwei Haushalte, aber nicht alles hat er doppelt. Wenn er auf seinem Bauernhof ist und etwas braucht, das in seiner Stadtwohnung ist, ruft er mich an und ich bringe es ihm. Armin bezahlt mich dafür. Er hat mir einen eigenen Wagen für diese Dienste zur Verfügung gestellt.

Armin hat mich heute Früh angerufen, er sagte, er bräuchte dringend ein Buch aus seiner Stadtwohnung, und ich sagte: Ja, Armin, ich habe Zeit, ich bringe es dir. Ich radelte zu seiner Wohnung, suchte das Buch in seinem gut sortierten Bücherschrank und fand es: Alte Ansichten des Ammersees. Wieso braucht er denn das? Er braucht doch nur aus den Fenstern seines Bauernhofs zu sehen und hat neue Ansichten. Aber dann dachte ich: Er braucht es halt. Ich ging zum Stellplatz des Wagens in der Tiefgarage, legte das Buch auf den Beifahrersitz und fuhr los. Ich fuhr über die Autobahn, denn wenn Armin Dinge haben will, dann will er sie schnell haben, da brauche ich ihm nicht zu kommen mit: Ich bin über die Landstraßen gefahren, das ist schöner. Und schließlich bezahlt er mir für die Dienste, also halte ich mich an die Regeln, an Armins Regeln.

Nur beim Zurückfahren in die Stadt, da nehme ich mir die Freiheit, Umwege zu fahren, stehenzubleiben, ein paar Schritte zu gehen, die Landschaft zu spüren. Diesmal fuhr ich von Armin gleich den Hügel hoch in den Wald. Oben, schon ziemlich weit oben, ist eine weite Lichtung. Dort stellte ich den Wagen ab. Ich ging ein paar Schritte über die Wiese und schaute über den See unter mir. Der Himmel war mächtig mit Wolken aufgeladen, kam jetzt am Abend aber doch zur Ruhe und ließ ab und zu ein paar tiefe Sonnenstrahlen herab. Warum schreibe ich das? Von den Wolken und den Sonnenstrahlen. Weil ich nicht malen kann. Sonst würde ich ein Bild malen. Das würde meine Stimmung viel besser beschreiben als Worte. Glaube ich zumindest.

Worte. Kamen mir in den Kopf, dort oben auf dem Hügel. Wurden mir eingeflüstert. Und ich kann es nicht lassen, sie aufzuschreiben:

Hinter diesem Weg ist ein weiterer, es ist der Pfad, den ich noch nicht gehe, aber ich spüre, wie er sich nach mir sehnt, er ruft mich, laut und schmerzvoll.

Ich kannte einen Mann: Er lebte in seinem Gefängnis. Seine Geschichte erzähle ich mir oft. Er träumte von etwas, er nannte es seine heilige Erfüllung, und als er sich befreit hatte, führte er sein Land, er lehrte die Liebe und lebte sie.

Ich gehe auf diesem Weg, ich lebe wie ich lebe, und die Liebe zieht mich hin zu diesem weiten, wahren Horizont.

Die Luft um mich war klar, dort oben auf dem Hügel mit dem See unter mir, den Bäumen neben und dem Himmel über mir. Alle Wege vereinigten sich für einen kurzen Moment zu einem wahren. Ich hörte eine Trompete. Ihr Klang berührte mich und heiligte den Moment. Ihr Klang erschien mir wahrhaftiger als alle Worte, die ich jemals schreiben werde. Ich will nicht schreiben, Worte frustrieren mich. Es fehlt ihnen etwas. Ich schreibe nur, weil ich nicht Musik machen kann.

Die Trompete verschallte. Ich ging zurück zum Wagen und summte die Melodie, die sie gespielt hatte. Ich konnte sie nicht notieren, nein, Musik notieren kann ich nicht, ich notiere so viel, aber Musik fliegt mir dauernd davon. Vielleicht berührt sie mich genau deswegen so. Trotzdem, diese Melodie wollte ich nicht verlieren.

Im Wagen machte ich das Radio an. Es war wie ein Wunder: Die Musik, die ich gesucht hatte, kam zu mir. Ich danke dem Redakteurin, die sie für mich gefunden hat. Ich danke Suzanne für die Musik, die sie gemacht und aufgenommen hat. Sie begleitete mich über die Wege durch die grünen Hügel nachhause.