Flo und Mu Skel

Morten Skel ist ein dänisch klingender Name, und der Träger dieses Namens, von dem ich schreibe, ist dänischer Herkunft. Er ist geboren und aufgewachsen in Padborg, zu deutsch Pattburg, an der dänischen Grenze zu Deutschland, gegenüber von Flensburg, was passend erscheint, bedeutet Skel doch soviel wie Grenze. Doch Skel hielt es nicht an der Grenze, nein, Umstände, die hier nicht näher erläutert werden können, ließen ihn nach München geraten, wo er eine Frau names Birte Olsen kennenlernte, deren dänische Mutter sie in München gebar, woraufhin ihr dänischer Vater nach Dänemark zurückkehrte. Doch das nur nebenbei.

Birte Olsen hatte trotz ihres dänischen Namens einen deutschen Pass, weshalb sie Morten Skel riet, sie zu heiraten, damit er auch einen deutschen Pass bekäme. Morten Skel nahm den Rat an: Die beiden heirateten, und er konnte Birte dazu überreden, als seine künftige Frau nicht mehr Olsen, sondern Skel zu heißen.

So lebten die beiden, man könnte es so beschreiben, in München ein dänisches Leben. Als sie jedoch Kinder bekamen, beschlossen sie, dass die Kinder ein deutsches Leben leben sollten, und so gaben sie ihnen deutscher klingende Namen als die ihren: Ihren Jungen nannten sie Florian, ihr Mädchen Muriel. Doch als sie die Kinder so genannt hatten und es amtlich hatten eintragen lassen, waren ihnen die Namen plötzlich zu deutsch, und so riefen sie Florian fortan Rian und Muriel fortan Riel, weil ihnen das dänischer erschien. Andere jedoch, vor allem die Kinder in ihrem Umfeld, scherten sich nicht um diese scheinbar dänisch klingenden Rufnamen – es waren ja meist deutsche Kinder, denen dänischer Klang nicht so wichtig ist – und riefen Florian Flo und Muriel Mu.

Soweit, so nicht schlimm, also gut, doch speziell Florians Heranwachsen war nicht bedenkenlos: Ab einem gewissen Alter, als sein Sprechvermögen ausreichend entwickelt war, stellte sich heraus, dass er nur hohles Zeug redete. Er plapperte irgendetwas, ohne ihm Bedeutung geben zu können. Morten und Birte gingen deshalb mit Flo zum Psychiater, und der konzedierte: Ihr Sohn redet in Floskeln.
Er heißt ja auch Flo Skel! rief Morten Skel entsetzt, und Birte Skel schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Tief geknickt verließen sie die ärztliche Praxis und machten sich bittere Vorwürfe, die Entwicklung von Flo durch ihre Namensgebung verursacht zu haben: Sie hatten einen Jungen namens Flo Skel, der nur in Floskeln redete.

Ihre ganzen Hoffnungen ruhten nun auf Muriel. Doch als Muriel etwa zehn war, begann sie, intensiv ihre Muskeln zu trainieren und äußerte bald den Wunsch, professionelle Bodybuilderin werden zu wollen. Morten und Birte sahen dem taten- und fassungslos zu. Als Muriel in die Pubertät kam, hatte sie durch ihr Training bereits imposante Muskeln entwickelt, natürlich auch an der Brust, sodass man nicht erkennen konnte, ob sich an ihr eine weibliche Brust entwickelte. Morten und Birte brauchten mit Muriel nicht zum Psychiater gehen, sie erkannten selbst, dass ihr Mädchen namens Muriel Skel, das Mu gerufen wurde, nur noch aus Muskeln bestand. Und erneut machten sie sich bittere Vorwürfe, auch bei Mu durch ihre Namensgebung deren Entwicklung verursacht zu haben.

Flo wird mittlerweile von anderen Die Floskel und Mu Der Muskel genannt, wodurch ihre geschlechtlichen Identitäten ins Wanken gerieten. Mutter Birte grämt sich darüber immer noch sehr, läuft mit den beiden von Therapeut zu Therapeut, während Vater Morten es nicht mehr aushielt und Birte bat, ihn freizulassen.

Mittlerweile lebt Morten Skel mit einer Senegalesin finnischen Ursprungs in Freilassing an der Grenze zu Österreich, gegenüber von Salzburg.

Geburts- und aktueller Wohnort des Morten Skel, beide an der Grenze:
Padborg
Freilassing