Gelzer und Gürzer und das versteinerte Geld

Was bisher geschah:
Gelzer und Gürzer (Teil 1)
Gelzer und Gürzer und das verlorene Geld (Teil 2)

Gürzer, der Wohlhabende, will endlich leben, während Gelzer, der Einfache, endlich Geld haben will…

Gelzer und Gürzer sitzen auf den Steintreppen vor dem Eingang zu Gürzers Villa. Es ist wie früher. Scheinbar. Gelzer hat Gürzer schon oft besucht in seiner Villa, und Gürzer hat ihn dabei immer auf den Steintreppen der Villa empfangen. Aber es ist anders als früher. Denn früher haben sie nie auf den Steintreppen gesessen, sondern sind ins Haus oder in den Garten gegangen.

Es hat sich nichts verändert, die Villa ist diesselbe. Aber die Veränderung liegt in der Luft: Gürzers Villa ist versteinertes Geld. Gelzer hat Gürzers gesamtes bares, flüssiges Geld verloren. Jetzt, ohne flüssiges Geld, wird das versteinerte Geld zu bröckeln beginnen, denn es braucht flüssiges Geld, um das versteinerte Geld zu erhalten. Oder das versteinerte Geld muss sich auflösen, um flüssiges zu werden. Wie gelähmt sitzen Gelzer und Gürzer auf den Steintreppen vor dem versteinerten Geld in Form der Villa, durch den Verlust des baren, flüssigen Geldes scheinbar all ihrer Handlungsmöglichkeiten beraubt.

„Ich habe immer gehabt. Ich habe immer Geld gehabt“, sagt Gürzer, „und mein Ziel war es immer, zu sein. Das Haben hat mich gefangen genommen, sodass ich glaubte, nicht mehr zu sein. Deshalb habe ich dir mein gesamtes bares, flüssiges Geld gegeben, mein Haben, weil ich mir erhoffte, mehr zu sein, wenn ich mich der Bürde des Habens entledige.“

„Du hast doch noch immer. Du hast deine Villa!“ entgegnet Gelzer.

„Das stimmt. Ich sollte konsequenter sein. Ich sollte dir auch meine Villa geben, mein gesamtes Vermögen, nicht nur mein bares Geld, das ich dir ja schon gegeben habe.“

Gelzers Augen leuchten: Ein Verkauf der Villa, also eine Auflösung des versteinerten Geldes in bares, flüssiges, würde sie beide, Gürzer und ihn, finanziell wieder sanieren! Das Haben ist immer Gelzers Ziel gewesen, ganz im Gegensatz zu Gürzer, und deshalb hat er Gürzer immer verehrt in seiner habenden Existenz. Doch das Leuchten in seinen Augen weicht augenblicklich einer für ihn ungewohnten Nachdenklichkeit: Er war vor kurzem unverhofft in Besitz von Gürzers gesamtem Geld gekommen, durch die Idee Gürzers, ihm sein gesamtes Geld zu geben, eine Idee, die er immer noch nicht versteht. Das Denkmal Gürzer hat sich seines Habens entledigt und sich selbst gestürzt. Aber wie auch immer, er hatte plötzlich Geld im Überfluss, er hatte Haben im Überfluss, doch weil er vom Haben nicht genug bekommen konnte, wollte er es vermehren. Mit dieser Habsucht hat er das gesamte Haben ebenso schnell wieder verloren, wie er es gewonnen hatte. War er zum Haben nicht geeignet? Mitten in diese Nachdenklichkeit durchzuckt ihn wie ein Blitz die Faszination des Habens, des Besitzes, des Geldes, ein für ihn vertrautes Gefühl. Er spürt seine Erregung darüber und sagt zu Gürzer:

„Ja, gib mir deine Villa! Ich werde sie verkaufen und wir beide haben wieder Geld.“

Während also Gelzer zu dem schlussendlich nicht überraschenden Entschluss gekommen ist, Gürzers Villa haben zu wollen, ist Gürzer mittlerweile nicht mehr überzeugt von seiner Idee, Gelzer seine Villa zu geben. Ihm wird unbehaglich bei dem Gedanken, Gelzer seine Villa zu geben. Er sagt zu Gelzer: „Die Lösung für mein Sein kann nicht dein Haben sein. Oder ist die Lösung für mein Sein dein Haben? Sein oder Haben, ist das hier die Frage?“

„Ohne Haben sind wir nicht: Wir verhungern, wir erfrieren, wir sterben, ohne Haben. Haben ist die Voraussetzung für das Sein. Ich habe, seit ich lebe, Angst, dass ich ohne Haben nicht bin.“

„Und deshalb hast du ohne Not mein ganzes Geld verbraten? Ich habe dir Haben in Hülle und Fülle gegeben, doch du willst offensichtlich nur sein, sonst hättest du mein Geld, dass ich dir anvertraut habe, nicht so rücksichtslos verbraten. Ich werde dir meine Villa nicht geben!“

Betreten blickt Gelzer zu Boden, wie ein Diener, der von seinem Herrn gemaßregelt wurde.

Gürzer sitzt auf der Steintreppe und spürt Unbehagen. Er spürt die Veränderung in der Luft. Zu viel frische Luft dringt plötzlich in seine Lungen. Er steht auf, kehrt Gelzer den Rücken und flüchtet in seine Villa, in sein versteinertes Geld. Er schlägt die Tür hinter sich zu. Er ist zornig auf Gelzer, dass dieser so brav gelernt hat, dass scheinbar nichts so viel zählt wie der schnöde Besitz, der Reichtum, das Geld, das Haben; dass man ohne Haben nicht ist, wie er es ausgedrückt hat.

Er fühlt sich unfähig zu sein. Sein Haben hat er verloren, weil er sein Geld dem nichtsnützigen Gelzer anvertraut hat. Er fühlt sich schwach, lehnt sich an eine der Mauern seiner Villa, an einen Teil seines versteinerten Geldes. Wie lange werden diese Mauern noch halten, bis sie zu bröckeln beginnen?