Barfuß bis zum Hals

Das Eigenartige ist, dass von allem immer auch das Gegenteil wahr ist. Wenn ich sage, es geht mir gut, impliziere ich damit, dass es mir auch schlecht gehen kann. Wenn ich nur sage, es geht mir, ohne gut oder schlecht, so halte ich mir damit die Möglichkeit offen zu sagen, es steht mir, vielleicht sogar bis zum Hals. Wenn ich sage Hals, erkläre ich alles andere am Körper zum Nicht-Hals. Neulich las ich: barfuß bis zum Hals. Der das schrieb, verneint alles am Körper vom Fuß bis zum Hals, was er ebensogut bejahen könnte.

Barfuß bis zum Hals, so ging ich auf der Wiese, um im See zu baden, was eine Dame, die mir entgegenkam und mich mit entsetztem Blick betrachtete, nicht tat, nein, sie tat das Gegenteil: Sie war nichtbarfuß bis zum Hals, was man als vollständig bekleidet bezeichnen könnte, und hatte nicht vor zu baden. Ich fragte sie – ob ihres entsetzten Blickes – ob sie noch nie einen Mann nackt gesehen habe. Sie nickte und sagte, ihr Mann und sie wären selbst beim Sex nie vollständig nackt und hätten ihn außerdem nur im Dunkeln. Ihr Schamgefühl erlaube ihr nicht, einen Mann nackt zu sehen und sich einem Mann nackt zu zeigen. Dann hoffe ich, sagte ich, dass es dunkel war, als Sie geboren wurden, ansonsten wären Sie bereits zu diesem Zeitpunkt ihrem Schamgefühl schutzlos ausgeliefert gewesen.

Ich ging weiter, als sich mir eine andere Frau näherte, die sich im selben Zustand befand wie ich, nämlich barfuß bis zum Hals oder mit unbedecktem Hals bis zu den Füßen, je nach Sichtweise. Diese Frau gefiel mir, doch ehe ich ihr das sagen konnte, sagte sie zu mir, dass ich ihr gefalle und dass ihr mein Penis gefalle und ob es mir gefallen würde, ihren Penis zu streicheln und zu lecken. Ich sagte ihr, dass ich nicht genau wissen würde, was sie damit meine, also sagte sie mir, dass ihre Klitoris zwar Klitoris heiße aber in Wahrheit ein Penis sei, ein kleiner aber feiner Penis. Mich erregte, wie sie das sagte und ich stimmte zu, ihren kleinen feinen Penis zu streicheln und zu lecken. Ich kniete mich vor sie und sie spreizte ihre Beine ein wenig, damit ich sie besser streicheln und lecken konnte. Während ich ihren Penis namens Klitoris streichelte und leckte, bewegte sich mein eigener Penis in die Höhe, oder – das ist vielleicht die bessere Beschreibung – er bewegte sich in die Tiefe, denn er zeigte zum Himmel, und nur im Himmel sind die tiefsten, unendlichen Tiefen, während die Erde zwar tief ist, aber irgendwann kommt man auf der anderen Seite wieder raus. Galilei stellte fest: Die Erde ist eine Kugel und keine Scheibe mit Höhen und Tiefen.

Ich streichelte und leckte weiter die Klitoris, und mir war, als ob sich alles Gegensätzliche auflösen würde, als ob die Welt eins und ganz wäre. Da sagte die Frau: Jeder Moment ist da, um zu vergehen. Alles bewegt sich, immer und fortwährend, und alles Körperliche ist nur dazu da, uns die Existenz des Unkörperlichen zu zeigen. Da entdeckten wir unsere Körper abseits von Klitoris und Penis, wir erkundeten ihre Oberflächen und Öffnungen. Diese Erkundungen erregten mich sehr, ließen mich fallen in einen Zustand der Glückseligkeit. Ich ringe nach Worten, und mir scheint, das Nicht-Wort wäre in dieser Situation angebrachter.

Plötzlich ging Wittgenstein neben uns ins Wasser zum Baden. Ja, es war Wittgenstein, barfuß bis zum Hals, und ich rief zu ihm hinüber: Du hast recht, Ludwig – wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen, während er kopfüber ins Wasser tauchte, ohne ein Wort.