Nana, Boris und ich

Eigentlich will ich nichts sagen, denn alles was ich sage, sind Mutmaßungen von dem was ich glaube, das die Wirklichkeit ist. Ich erlebe die Wirklichkeit als ein äußerst fragiles gefühlsbasiertes Gedankenkonvolut, das ständig seine Gestalt ändert; das ständig in Bewegung ist, und ehe man es begreift, einem wieder entwischt. Ich denke die Wirklichkeit gerne als Felsen, auf dem ich stehe, aber ich fühle sie wie Wasser, in dem ich treibe.

Als Nana und ich uns das erste Mal begegneten, trieb ich im Wasser, angenehm, in einem warmen kleinen See, und Nana stand, zumindest was meine Wirklichkeit betrifft, auf einem Felsen. Ich wünschte mir sofort, dass Nana zu mir ins Wasser kommt. Ich fand sie schön und begehrenswert, und wie immer, wenn ich eine Frau schön und begehrenswert finde, kann ich das nicht näher beschreiben: Es ist einfach so. Ich wünschte mir also, dass Nana zu mir ins Wasser kommt. Aber sie kam nicht. Sie lächelte mir freundlich zu, aber sie blieb auf dem Felsen stehen.

Bei jetziger Betrachtung der Dinge sehe ich die Lage allerdings etwas komplexer. Jetzt denke ich, dass ich mir gar nicht wünschte, dass Nana zu mir ins Wasser kommt, sondern dass ich sie so schön und begehrenswert fand, weil sie auf dem Felsen stand und nicht ins Wasser kam. Die Wirklichkeit ist eben ein gefühlsbasiertes Gedankenkonvolut, dass sich schwer begreifen lässt und sich immer wieder neu erfindet.

Doch zurück zu meiner ersten Begegnung mit Nana. Nana wurde begleitet von Boris. Boris sprang sofort zu mir ins Wasser, in den warmen kleinen See. Ich fand das sehr sympathisch, und wir lächelten uns zu. Doch ich war zu abgelenkt von der Schönheit Nanas, die nach wie vor auf dem Felsen thronte. Ich begehrte Nana so sehr, dass ich Boris nicht weiter beachtete. Wir verloren sofort wieder unseren Kontakt. Irgendwann drehte ich mich um und sah Boris am anderen Ufer des Sees aus dem Wasser steigen und in den angrenzenden Wald verschwinden.

Ich blieb im Wasser, im warmen kleinen See. Nana blieb auf dem Felsen stehen und sagte mir, dass Boris nun durch den Wald zum Meer läuft und sich im weiten Wasser verirren wird.

Aber das ist doch schrecklich! sagte ich. Sollen wir ihm nicht folgen und ihn daran hindern, dass er sich verirrt?

Ich habe Boote organisiert, die ihn suchen werden, sagte Nana kühl und bestimmt. Ob sie ihn finden, weiß ich nicht, sagte sie dann noch.

Ich blickte hinüber zum Wald, wo Boris aus dem See gestiegen war, und stellte mir hinter dem Wald das weite Meer vor. Ich bangte um Boris. Dann wanderte mein Blick zurück zu Nana. Ich fand sie schön und begehrenswert, wie sie auf ihrem Felsen stand. Gleichzeitig fand ich mich schön und begehrenswert, wie ich im Wasser trieb und bekam große Lust, gemeinsam mit Nana im Wasser zu treiben. Ich stellte mir vor, wie Nana zu mir ins Wasser springt, mit all der Weiblichkeit, die ich an ihr wahrnahm. Aber Nana zierte sich. Sie steckte ihre Zehen kurz ins Wasser, um dann zu beschließen, auf dem Felsen zu bleiben.

So trieb ich alleine im Wasser weiter. Boris will nicht an Land. Nana will nicht ins Wasser. So ist das eben. Mehr gibt es dazu im Grunde nicht zu sagen.