…Untermann…

Die Nächte voll quälender Unruhe. Jede Nacht der Fall ins Bodenlose. Oleg surft davon auf dem wilden Wasser, während ich in die schwarzen Fluten des Atlantiks stürze. Schweißgebadetes Aufwachen vor dem vermeintlichen Ertrinken.

Ich hatte mich aufgerappelt, aber ich stand in der Ecke wie ein Mauerblümchen. Völlig geschafft von diesen geträumten nächtlichen Abstürzen. Ich war kurz davor zu gehen. Da spürte ich die bewundernden Blicke von Jannick auf mir. Kokett blickte ich zu ihm auf. Wie schön, bewundert zu werden! Er näherte sich mir. Nein, komm mir nicht nahe! Nein, lass mich in Ruhe! – Doch! Komm her! Komm her! Ich lächelte ihn an. Er kam zu mir, ganz nah zu mir. Er gefiel mir. Mein Gott, er war jung! Noch keine zwanzig, oder gerade mal so. Jannick redete, aber ich nahm das nur undeutlich wahr. Ich wollte nur, dass er mich erlöst. Ja, Jannick, sei mein Erlöser!

Als er mich am nächsten Morgen verließ, war sein Rücken voller Kratzer, so fest hatte ich mich an ihn gekrallt. Ich hielt mich fest an ihm. Ja, durch Jannick würde dieses Fallen ins Bodenlose aufhören, dieses allnächtliche Ertrinken im Strudel meiner Gefühle. Wir trafen uns wieder und wieder und wieder. Jannick wurde mein neuer Oleg. Nein, Jannick ist nicht mein neuer Oleg! Bei Oleg taumelte ich. Bei Jannick stehe ich fest. Bei Jannick habe ich die Kontrolle. Ich habe die Reife. Ich habe das Geld. Ich habe die Macht. Er hat den Schwanz, über den ich herrsche.

Aber da ist die Geschichte mit Emil. Emil spricht von seiner Übermutter und davon, dass er ihretwegen kein normales Verhältnis zu Frauen aufbauen könne. Ich kann mit dem, was er sagt, nichts anfangen. Ich bin doch eine Frau, und er redet ganz normal mit mir, die ganzen Jahre, die wir uns mittlerweile schon kennen. Er verwirrt mich. Ich fühle mich bedroht. Er ist nämlich ein Mann. Ein gefährlicher Mann!

Mit Emil, das hat so angefangen: Ich fühlte mich sehr entspannt an jenem Abend. Ich war in die Sauna gegangen. Da saßen wir auf unseren Handtüchern und schwitzten, nur er und ich in der Kabine, und lächelten uns an. In der Dusche, im Ruheraum, im Gang: Unsere Blicke trafen sich immer wieder. Schließlich stieg ich wie eine Meerjungfrau vor ihm ins Warmwasserbecken und räkelte mich darin. Er kam zu mir, und ich sprach ihn an.
Künstlerin? fragte er.
Ja! sagte ich.
Künstler sind verlorene Seelen, sagte er. Wir sind zwei verlorene Seelen, die im Wasser schweben.
Wir zwei schwebten im Wasser. Freiheit! Er sagte, er werde nun ins Dampfbad gehen, und ich sagte: Ich auch! Im Dampfbad räkelte ich mich auf den Fliesen. Als ich das Dampfbad verlies, wurde mir klar, dass ich rausmuss aus dieser Nummer. Er aber passte mich in der Umkleide ab und fragte, ob wir nicht noch gemeinsam ins Café gehen nebenan. Ich zierte mich. Wir schlenderten vor die Tür. Er reizte mich. Mit seiner gelassenen Beharrlichkeit. Schließlich willigte ich ein. Ich kann mir diese Einwilligung nur so erklären: Wir waren jetzt angezogen. Die Nummer war nicht mehr so heiß wie in der Sauna, als wir beide nackt waren.

Ich merkte, wie er mich verliebt ansah, als wir am Tisch saßen. Ich merkte, wie toll er es fand, dass ich Künstlerin bin. Zwei verlorene Seelen, die sich gefunden haben. Mitten in seine Euphorie hinein erwähnte ich Jannick. Ich schob Jannick als Riegel zwischen uns. Jannick als Stoppschild gegenüber anderen Männern. Die meisten von ihnen ziehen sich dann zurück, wenn sie merken, dass nichts geht. Emil aber zog sich nicht zurück. Zwar meldete er sich wochenlang nicht. Dann aber plötzlich und unerwartet. Ich merkte, wie ich mich freute, dass er sich meldete. Wir trafen uns immer wieder, im Abstand von Wochen, manchmal im Abstand von Monaten. Halbe Nächte lang saßen wir beisammen und redeten und redeten. Er sagte, es wäre doch gut, dass wir beide einen Partner hätten, so wäre das ganze unbefangener, und ich versuchte ihm zu glauben, aber ich glaubte ihm nicht. Ich vermisste etwas bei unserem Gerede, eine Berührung, einen Kuss, aber gleichzeitig fürchtete ich mich davor, vor einer Berührung, vor einem Kuss. Ich hatte das Gefühl, eine Berührung, ein Kuss, könnte meine ganze Welt ins Wanken bringen.

An einem schönen Frühlingstag verabredeten wir uns im Park. Ich trug ein tiefes Dekolleté. Das wurde mir erst bewusst, als wir uns gegenüberstanden und er es betrachtete. Was will ich eigentlich von ihm? Was will er von mir? Wir setzten uns ins Gras. Dann streckte er sich und legte sich hin.
Leg dich doch auch hin! sagte er.
Nein, nein! sagte ich: Ich bleibe lieber sitzen!
Viel zu gefährlich, dachte ich, sich neben ihm ins Gras zu legen. Viel zu gefährlich mit ihm, alles, sowieso, dachte ich plötzlich. Wie hatte ich ihn nur so anmachen können damals in der Sauna!

Er lag im Gras und redete von den Blumen neben uns und dem Himmel über uns und plötzlich ertappte ich mich dabei, dass ich mich neben ihn ins Gras gelegt hatte.
Er schaute zum Himmel und sagte: Vera und ich haben uns getrennt. Ich will mein Leben endlich in meine eigenen Hände nehmen, und ich habe das Gefühl, dass ich das mit ihr nicht schaffe. Dann schaute er mich an und meinte: Durch dich, Liliane, habe ich gemerkt, dass ich, wenn ich eine Frau will, erst ein Mann sein muss.

Ich schreckte hoch. Jetzt brachen die Dämme, und die schwarzen Fluten über mich herein. Er redete weiter: Der erste Schritt in mein neues Leben ist, ehrlicher zu sein. Ehrlicher zu mir selbst. Ehrlicher zu anderen. Und deshalb, Liliane, sage ich dir jetzt, was ich gerade denke. Deshalb sage ich dir jetzt, dass ich dich berühren, dass ich dich küssen will.

Nein! Nein! Jetzt ging er zu weit! Was erlaubt er sich? Warum berührt und küsst er mich nicht einfach? Was labert er da herum? Männer sind Alphatiere, die sich nehmen was sie wollen und reden nicht davon. Nein! Nein! Ich will nicht, dass er mich berührt und küsst! Die schwarzen Fluten stürzten auf mich ein. Ich begann zu zittern. Oleg! Oleg! rief alles in mir. Ich liebe dich doch noch immer! Vater, du Schuft, so hilf mir doch! Jannick! Ja, Jannick, ich muss zu dir! Rette mich! Ich stand auf und rannte weg, ich rannte so schnell ich konnte. Die Wiese so grün und der Himmel so blau, doch um mich herum nur schwarze Fluten. Ein Schluchzen in mir, dass die ganze Umgebung erfasste und alles fortriss und ich konnte nicht anders und weinte und weinte und weinte…