Das Lied vom sonnigen Sonntag

Valentin, der sich auch Karl nennt, ist ein Freund von mir, der sich der gesellschaftskritischen Kleinkunst verschrieben hat. Doch es ist nicht leicht, sich der gesellschaftskritischen Kleinkunst zu verschreiben, sagt Valentin, denn die Leute wollen mich nicht leben lassen, wenn ich sie kritisiere.

Am meisten, sagt Valentin, hasse er die Sonntage, denn da haben die Leute Zeit und tragen ihre Neurosen, die er an ihnen kritisiert, spazieren. An Sonntagen tritt ihm die Gesellschaft so geballt gegenüber und überfordert ihn, und er muss sich nur noch über sie aufregen und ist nicht mehr fähig, sie konstruktiv zu kritisieren.

Er geht deshalb an Sonntagen nicht in den Stadtpark, wo er sich sonst gerne aufhält, denn dort lungern am Sonntag die Leute aus der Stadt herum. Sie wollen sich von ihrem neurotischen Leben entspannen und bringen doch nur ihre neurotische Anspannung mit. Und sie bringen ihre Hunde mit, sagt Valentin, und ein Hund, der in der Stadt lebt und keine natürliche Aufgabe habe, entwickle zwangsläufig eine Neurose, sagt Valentin, und außerdem nehme der Hund die Neurosen seiner Halter an. Ein Stadthund leide also an einer Doppelneurose: an einer Umgebungs- und an einer Halterneurose, sagt Valentin.

Nun ist es jedoch so, dass in der kalten Jahreszeit die Sonnenstunden rar sind und Valentin deshalb im Winter auch an einem Sonntag, wenn er schon sonnig ist, in den Stadtpark gehen möchte. Er hat deshalb beschlossen, seinen Frieden mit der neurotischen Gesellschaft zu schließen. Diesen Frieden will er mit einem Ritual schließen. Er hat ein Lied zum sonnigen Sonntag komponiert und will es im Stadtpark vortragen. Dazu tragen ich und weitere Freunde von Valentins Kleinkunst eigens sein Piano von seiner Wohnung in den Stadtpark. Dick eingepackt wegen der winterlichen Temperaturen schwitzen wir in der tiefen Wintersonne, aber Valentin ist wildentschlossen, sein Ritual durchzuführen. So schleppen wir ächzend und stöhnend das Piano weiter. Endlich angekommen, bauen wir das Piano im Amphitheater des Stadtparks auf. Um ums herum setzt der übliche Sonntagstrubel ein. Leute spazieren zuhauf vorbei und starren neugierig auf das Piano. Valentins Friedensbeschluss mit dem sonnigen Sonntag beginnt zu bröckeln, und als schließlich ein Hund das Piano laut bellend anbrüllt, befiehlt Valentin, das Ritual abzubrechen und das Piano wieder nachhause zu tragen. Alles Zureden hilft nicht: Nach einiger Zeit machen wir uns wieder auf den Weg und schleppen das Piano zurück in Valentins Wohnung.

In seiner Wohnung hat Valentin ein kleines permanentes Auditorium aufgebaut, wo er Probekonzerte seiner Werke für den engeren Bekanntenkreis gibt. Wir ermunteren ihn, sein Lied zum sonnigen Sonntag für uns zumindest hier vorzutragen. Nach anfänglichem Zögern stimmt er zu, doch hat Elisabeth, die sich auch Karlstadt nennt, wie zum Hohn einen Hund mitgebracht:

München für Gscheidhaferl: Wieso heißt das Sendlinger Tor Sendlinger Tor?

Das Sendlinger Tor ist die südliche Begrenzung der Münchner Altstadt. Von dort führt seit jeher ein Weg ins ehemalige Bauerndorf Sendling. Der Weg heißt heute Lindwurmstraße und das ehemalige Bauerndorf ist heute ein Stadtbezirk Münchens.

Im 14. Jahrhundert, als das Sendlinger Tor gerade errichtet worden war, ging ein junger Mann aus Sendling den Weg entlang nach München, so erzählt es die Legende. Als er am Sendlinger Tor angelangt war, begehrte er vehement Einlass in die Stadt, aber die Wachen ließen ihn nicht hinein. Er sagte, er habe das Landleben satt und wolle Städter werden, aber die Wachen blieben standhaft. Da begann er so laut zu jammern und zu klagen, dass es in der ganzen Stadt zu hören war.

König Ludwig der Bayer war gerade in der Stadt anwesend und ließ sich, weil es nicht aufhörte, zum Ort des Jammern und Klagens bringen. Dort angekommen, hielt sich der König die Ohren zu ob des ohrenbetäubenden Lärms und fragte seine Begleiter: „Was ist denn das für ein Tor?“
„Das, Majestät“, erwiderte einer der Begleiter, „ist das auf Ihren Auftrag hin errichtete Sendlinger Tor, und die jammernde und klangende Person davor ist ein Sendlinger Tor, oder, besser gesagt: der Sendlinger Tor, der stadtbekannte Sendlinger Tor. Er kommt aus dem Dorfe Sendling südlich der Stadt: Er ist ein Dummkopf, ein Narr, ein einfältiger Mensch, ein behinderter, nicht zurechnungsfähiger, wie man an seinem unbesonnenen Handeln sieht.“
„Sendlinger Tor“, konkludierte der König nachdenklich und meinte weiter: „Bewundert die von mir errichteten Tore, aber unterschätzt mir die Toren nicht. Ein Lob der Torheit!“
Dann ließ er sich wieder in die Stadt bringen.

Und so heißt das Sendlinger Tor nicht nur so, weil es ein Tor ist, sondern weil ein Tor aus Sendling, der Sendlinger Tor, dort so laut jammerte und klagte, dass sogar der König erschien.

Trotzdem gefahren

Jeder sagte
ich solle nicht
zum Verfahren fahren
die Straßen
seien voller Gefahren
und nicht zu befahren

Sie sagten:
Lass das Verfahren
fahren

Ich bin
trotz aller Gefahren
gefahren
nur um mich
auf dem Weg zum Verfahren
zu verfahren

Posi und Nega (bringen die Brühe zuwega)

Der Posi und die Nega sind zwei Gebirgsflüsse, die sich in der Ebene vereinigen und von dort gemeinsam weiterfließen. Der Posi durchfließt Gebirge mit rötlichem Gestein. Sein Wasser hat von Anfang an eine rötliche Färbung. Das Wasser der Nega ist im Gebirge kristallklar, ehe sie in der Ebene vor dem Zusammenfluss mit dem Posi eine Moorlandschaft durchfließt, was ihr Wasser schwärzlich färbt.

Ab ihrem Zusammenfluss werden die beiden Flüsse Brühe genannt, sodass jedes Kind aus dem Posi-Nega-Brühe-Gebiet lernt: Posi und Nega bringen die Brühe zuwega.

Beim Zusammenfluss hat die Nega das tiefere Flussbett, sodass ihr schwarzes Wasser unter das rote des Posi taucht. Die Brühe ist deshalb einige Kilometer lang ein roter Fluss wie der Posi, ehe das schwarze Wasser der Nega mehr und mehr nach oben drängt und sich die Wassermassen zu einer rot-schwarzen Brühe vermischen.

Manchmal aber führt der Posi Hochwasser und die Nega nicht. Der Posi führt dann so viele rote Mineralien mit sich, dass sein rotes Wasser, weil es mit den Mineralien sehr schwer ist, sich sofort mit dem schwarzen Wasser der Nega mischt. An solchen Tagen sagt man: Heute ist die Brühe von Anfang an eine Brühe.

Symbolische Darstellung des Posi-Nega-Zusammenflusses anhand zweier Batterieladekabel

Podium zur Internationalisierung der deutschen Sprache

Ein Franzose namens Jean Allemand saß mit mir auf dem Podium und eröffnete die Diskussion mit folgenden Worten:

Es ist seltsam – es habt in die deutsche Sprache die Worten Egel und Igel, aber nicht die Worten Agel, Ogel und Ugel.

Ich erwiderte, dass dies so nicht stimme, dass es vor allem für Menschen mit französischen Sprachhintergrund die Wörter Agel, Ogel und Ugel sehr wohl gebe. Es werde lediglich ein H vorangestellt, welches von den Menschen mit französischem Sprachhintergrund nicht ausgesprochen wird. Aus dem Agel wird so der Hagel. Aus dem Ogel wird der Hogel, welcher durch konsonantale Verschiebung zum Hobel geworden ist. Und aus dem Ugel wurde das deutsche Wort Hugel, welches heute auch im Singular in seiner Pluralform Hügel gesprochen wird.

Besonders trickreich ist die Sache ausgerechnet bei den Wörtern Egel und Igel, denn wenn man diesen im Deutschen ein H voranstellt, werden sie zu Wörtern mit eigener Bedeutung. Ein Hegel ist ein Philosoph, welcher aber im gesprochenen Französisch der Egel bleibt. Ein Higel, also ein Igel mit vorangestelltem H, ist eine relativ neue Wörtschöpfung von Zuwanderern aus dem slawischen Srpachgebiet, vor allem aus dem Balkan, die sich mit der Aussprache des deutschen Vokals Ü sehr schwer tun und ihn in der Regel durch I ersetzen. Aus dem Hügel wird für sie also der Higel.

Marinko Njemački, der in Bosnien und Kroatien aufgewachsen ist, meldet sich nun zu Wort und sagt:

Das stimmt! Deutsche Sprache, schwere Sprache: Missen iben, iben, iben!

Das Publikum applaudierte nach unseren Ausführungen. Ich war froh, dass ich mit meinen Bekannten einen Beitrag zur Internationalisierung der deutschen Sprache geleistet hatte.

Anton Habergesell

Anton Habergesell ist Bauunternehmer. Sein Sohn aus erster Ehe, der ebenfalls den Namen Anton trägt, ist inzwischen altersmäßig in seinen späten Zwanzigern angekommen. Er eifert seinem Vater nach und hat das Ziel, eines Tages seine Geschäfte zu übernehmen. Aber sein Vater traut es ihm nicht recht zu. Deshalb wird Anton der Jüngere von denen, die ihn kennen, nicht Anton, sondern Beton genannt: Erstens nach dem Baustoff, zweitens weil sein Vater immer A und er immer B ist.

Anton Habergesell der Ältere hat auch eine Tochter, aus zweiter Ehe: Anja. Anja ist zehn Jahre jünger als ihr Halbbruder Anton, altersmäßig also in ihren späten Zehnerjahren und vor kurzem volljährig geworden. Sie eifert ihrem Vater in keinster Weise nach. Seit ihrer Geburt setzt sie ihm Widerstand entgegen, was er mehr schlecht als recht toleriert. Seit sie volljährig ist, lebt sie in einer Hippie-Kommune. Anja wird von denen, die sie kennen, Annein genannt, weil sie zu nichts Ja, aber zu allem Nein sagt.

Anton Habergesell der Ältere ist inzwischen in fünfter Ehe verheiratet. Mit seinen Frauen drei, vier und fünf hat er keine Kinder mehr bekommen. Er sagt, zwei Kinder reichten ihm: Der Sohn klebt an mir wie eine Klette, die Tochter macht nichts als Ärger.

Weil sich nun auch seine fünfte Frau von ihm scheiden lassen will, wie die vier zuvor, hat er, um diese Ehe zu retten, auf Anraten seiner Frau einen Heiler aufgesucht. Der Heiler sagt: Herr Habergesell – alles was geschieht, geschieht zu Ihrem Besten. Hören Sie auf Ihre Kinder – sie wollen ihnen, jedes auf seine Art, etwas Wichtiges sagen.

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