Deter und Pieter

Es waren einst Dieter und Peter. Wenn ihnen langweilig war, nannte Dieter Peter Pieter und Peter Dieter Deter. Meistens war ihnen jedoch nicht langweilig, denn sie wuchsen in Pasing auf und waren jede freie Minute an der Würm, die an Pasing, umrandet von grünen Auen, vorbeifließt.

Später, während Peter in Pasing blieb, zog Dieter nach Dasing. Dasing fand Dieter langweilig, langweiliger jedenfalls als Pasing, fließt doch an Dasing, im Gegensatz zu Pasing, nicht die Würm, umrandet von grünen Auen, vorbei. So fuhr Peter oft von Pasing nach Dasing, um Dieter zu besuchen und ihm seine Langeweile zu vertreiben. Doch selbst Peters Besuche konnten Dieters Langeweile nicht vertreiben. Peter griff daher zum letzten Mittel, um Dieters Langeweile zu vertreiben: Er nannte ihn Deter.

Als auch das nicht half, beschloss Peter, aus Dasing ab- , nach Dasing zurückzureisen und Dieter seinem langweiligen Schicksal in Dasing zu überlassen. Während seiner Abreise traf Peter Doro, bei der er sich interessanterweise als Pieter vorstellte. Peter beschloss daraufhin, bei Doro in Dasing zu bleiben. Währenddessen hatte Dieter beschlossen, seiner Langeweile in Dasing ein Ende zu bereiten und zurück nach Pasing zu gehen. Er hörte die Ufer der Würm nach ihm rufen.

Und auch Pedi rief nach ihm. Pedi hatte sich überraschend bei ihm gemeldet. Pedi hatte Dieter, das sei nur nebenbei erwähnt, interessanterweise schon immer Deter genannt. Pedi wohnt nicht in Pasing, sondern in Menzing, was aber von Pasing würmabwärts fußläufig gut zu erreichen ist.

Die Würm fließt, aus dem Starnberger See kommend, westlich an Pasing und Menzing vorbei und mündet nördlich von Dachau in die Amper. Die ehemals eigenständige Stadt Pasing und die ehemals eigenständigen Gemeinden Ober- und Untermenzing sind seit 1938 Teil der Stadt München. Die Gemeinde Dasing liegt etwa 45 Kilometer nordwestlich von Pasing im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg.

Wieso soll ich meine Seele halten?

In meiner Trauer und Melancholie las ich schon früh die Zeilen von Rainer Maria Rilke, die er als Liebes-Lied betitelte:

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

 

Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt? In meiner Trauer und Melancholie glaubte ich, diese Frage fragen zu müssen. Diese verzweifelte Frage. Mittlerweile frage ich mich: Wieso soll ich meine Seele halten? Ich kann das gar nicht, meine Seele halten. Wenn ich sie halte, trenne ich mich von dir, treibe mich in die Einsamkeit und verfalle in Trauer und Melancholie. Ich habe sie lange genug gehalten, weil ich von Menschen umgeben war, die nicht in der Lage waren, mich zu lieben. Ich will sie nicht mehr halten, sondern sie los lassen. Ich will sie sein lassen. Wieso soll meine Seele nicht an deine rühren? Sie tut es ohnehin, ob ich will oder nicht. Nein, ich werde sie auch nicht hinheben über dich zu andern Dingen. Auch das kann ich nicht. Ich kann sie nur an deine rühren lassen, damit sie durch dich zu andern Dingen durchdringt. Es gibt keinen Umweg um dich, es gibt nur den Weg durch dich.

Verloren im Dunkel, an einer fremden stillen Stelle, wo ich in meiner Trauer und Melancholie versinke, war ich lange genug. Dort will ich nicht mehr sein. Ich will weiterschwingen, wenn deine Tiefen schwingen. Ich liebe deine Tiefen, auch wenn du sie mir nicht zeigen willst, weil du glaubst, deine Seele halten zu können, halten zu müssen. Auch du kannst sie nicht halten, auch sie schwingt zu mir durch und durch mich hindurch zu andern Dingen. Ich will durch die Rührung unserer Seelen ins Licht treten. Licht und Dunkel, was ist das überhaupt? Es ist das, was das Auge wahrnimmt. Dich will mein Auge sehen, durch das Dunkel hindurch, dich will meine Seele rühren, weil mich deine rührt. Natürlich sind wir zusammen, auf dem Instrument, das wir Leben nennen.

Das ist das Wunder: dass ich lebe trotz all der Menschen, die nicht in der Lage waren, mich zu lieben, die mich in meine Trauer und Melancholie trieben zu einer fremden stillen Stelle, wo keine Seelen schwingen, am Ende aller Hoffnung, verloren im Dunkel, wo ich meine Seele halten musste, um zu überleben. Ich habe überlebt. Es ist ein Wunder, dass ich lebe und an deine Seele rühre und du an meine. Wieso soll ich meine Seele halten? O süßes Lied!

 

Druck (Auszug aus der Enzyklopädie über die tiefenpsychologische Bedeutung von Popsongs: Traumatischer Stress)

Ich spüre den Druck in mir, der sich über die Jahre meines (traumatischen) Lebens aufgebaut hat. Ich bin bereit loszuschlagen. Doch ich schlage nicht los. Ich gehe einen Schritt zurück und spüre ihn noch mehr, den Druck in mir. Ich spüre ein starkes Verlangen, nicht loszuschlagen. Das überrascht mich, das ist neu. Ich will den Druck für mich behalten, meinen Druck selbst aushalten. Es ist befreiend, ihn zu spüren, obwohl er kaum auszuhalten ist. So unter Druck stehe ich also. Ich bin ein Kind des Krieges.

Ich bin stärker als dieser Druck, sagen mir meine (befreienden) Tränen. Ich bin fest entschlossen, ihm standzuhalten und ihn hinter mir zu lassen. Ich will liebend leben. Währenddessen beginnen sie um mich, aufeinander loszuschlagen.

Unbetäubt (Noch nie waren wir uns so nah)

Ich betäube mich mit Worten. Mit dem Wort betäuben. Betäuben kommt von täuben. Täuben kommt von taub. Taub kommt von weit her, vom althochdeutschen toub: unempfindlich, stumpf, unsinnig. Im Mittelhochdeutschen hieß es dann döf, woraus englisch deaf und neuhochdeutsch doof hervorging. Doof ist also das ursprüngliche, über das gehörlose hinausgehende taub.

Zurück zum heute gebräuchlichen Verb betäuben, mit dem ich mich betäube. Ich stoße auf umfangreiche Lektüre. Klassisches Betäuben heißt unterdrücken, oft gewaltsam. Das zeigen die Jahrhunderte, die seit dem Althochdeutschen vergangen sind. Moderneres Betäuben heißt ablenken: mit Arbeit, mit ausschweifenden Vergnügungen, mit digitalem Gedaddel, mit Lektüre.

Ich lege die Lektüre, mein Betäubungsmittel, ab, um mich selbst abzulegen. Ich fühle mich schwach und verletzlich, gleichzeitig stark und mächtig. Keine betäubenden Gedanken mehr. Gibt es das Gegenteil von betäubt, von taub, von doof? So fühle ich mich: ruhend, gleichzeitig wach und klar.

Du liegst neben mir, und ich spüre, wie du dich fühlst: schwach und verletzlich, gleichzeitig stark und mächtig. Liegend ruhen wir. Wir lenken uns nicht ab mit ausschweifenden körperlichen Vergnügungen. Wir sind unbetäubt. Unser Atem hält uns wach und klar. Noch nie waren wir uns so nah.

Auf der Suche nach Gründen für die Niederlage

Es war einst ein MenschIn, das ging sehr gern umher. Es liebte diese Umhergänge. Jedoch wurde es bei diesen Umhergängen oft sehr plötzlich sehr müde. So müde, dass es sich umgehend niederlegen musste. Es legte sich dann nieder, wo es gerade war: am Weg, am Waldrand, auf der Wiese, meist jedoch auf dem Weg, da es überwiegend in besiedeltem Gebiet umherstreifte, das mit Wegen durchsetzt war, und wenn es sehr plötzlich sehr müde wurde, schaffte es es nicht mehr, sich aus dem Weg zu räumen, sondern es musste sich auf dem Weg niederlegen, um nicht unkontrolliert hinzufallen.

Wenn es dann so darniederlag auf dem Weg, kam fast immer ein anderes MenschIn des Weges und sagte zum MenschIn: Du kannst dich doch nicht mitten auf dem Weg hinlegen!
Manchmal schlief das MenschIn wegen seiner überwältigenden Müde so fest, dass es von einer Ansprache nicht aufwachte. Nette andere MenschInnen gingen dann weiter, wenn auch etwas verwundert, andere MenschInnen aber störten sich so sehr am liegenden schlafenden MenschIn mitten auf dem Weg, dass sie es rüttelten und schüttelten bis es aufwachte. Das MenschIn hatte dann meist schon wieder etwas Kraft, stand auf und torkelte weiter, bis es erneut von seiner Müde überwältigt wurde und sich wieder niederlegte.

Einmal jedoch kam ein MenschIn des Weges, das ließ nicht locker. Nachdem es gerüttelt und geschüttelt hatte, das MenschIn etwas weitergetorkelt war und sich wieder niedergelegt hatte, rüttelte und schüttelte es wieder, aber das übermüde MenschIn ließ sich davon nicht in seinem Schlaf stören, sodass es mit den Füßen auf es eintrat.

Das darniederliegende MenschIn erwachte plötzlich und schnell, da es sich in Todesgefahr wähnte. Panisch robbte es in völliger Übermüde ins nächste Gebüsch. Dort hörten die Tritte auf. Das Gebüsch war jedoch ein Dornengebüsch. Blutüberströmt robbte das MenschIn aus dem Dornengebüsch und schleppte sich unter großen Müdesqualen nach Hause.

Zuhause fiel es auf sein Ruhelager. Als es nach langem Schlaf wieder erwachte, ersann es folgenden Plan:
Ich muss Gründe finden für meine Niederlagen. Ich will mich bei meinen Umhergängen niederlegen können, um dann ungestört zu ruhen.
Also machte es sich auf den Weg und suchte nach Gründen für seine Niederlagen. Nach Gründen, nicht nach Plätzen, denn ein Platz ist zu bevölkert für Niederlagen, da kommen sofort andere MenschInnen und reden und rütteln und schütteln, oder sie treten sogar, bis sich das MenschIn wieder robbend und torkelnd einen anderen Platz für die Niederlage suchen muss. Nein, es muss ein Grund sein, geräumig, nicht direkt einsehbar, um die Ruhe zu finden, die es zum Ruhen braucht.

Doch da das MenschIn in besiedeltem Gebiet umherstreifte, fand es kaum geräumige, nicht direkt einsehbare Gründe für die Niederlagen, und wenn es einmal einen passenden Grund fand, war es meist hellwach und wollte sich gar nicht niederlegen. Außerdem war es zunehmend genervt, dass es nur mehr umherstreifte, um Gründe für die Niederlage zu finden, und nicht mehr aus Neugier, Lust und Laune.

Es gab die Suche nach Gründen für die Niederlage bald wieder auf. Es legte sich wieder dorthin auf den Weg, wo es gerade müde wurde, in der Hoffnung, dass während seiner Niederlage nur MenschInnen vorbeikommen, die schweigend vorbeiziehen oder seinetwegen ein bißchen mit ihm reden und es nicht rütteln und schütteln oder sogar treten.

Zylinderkopf-Dichtung

wehmütige Verse an den Verbrennermotor

Zylinderkopf
du armer Tropf
der Druck ist groß
der Kolben klopft
Ventile rein, Ventile raus
zu hoffen ist
dass nichts verstopft
und auch dass nichts
den Raum verlässt
weil sonst die Kraft
ins Leere bläst

Zylinderkopf
verlier dich nicht
mit dem Zylinder
halte dicht

Welt Wer Worte