Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Das machst du mit links! (eine sportpsychologische Betrachtung)

Der Elfmeterschütze, der mit seinem linken Fuß viel besser schießen kann als mit seinem rechten, stand bereit zum Schuss. Er war sichtlich nervös und angespannt. Seine Anlaufposition ließ vermuten, dass er den Elfmeter mit dem rechten Fuß ausführen würde, was überraschte, und ich weiß nicht: War es Versehen oder Absicht? War er so nervös und angespannt, dass seine Rechts-Links-Schwäche zum Vorschein kam?

Jedenfalls ging ein Mannschaftskollege zu ihm – ich weiß wieder nicht: War es Ermunterung oder Ermahnung? – und flüsterte ihm ins Ohr: Das machst du mit links!

Rechts vor links

Vor ein paar Jahren fiel mir auf, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer neuartigen Ohrenschmuck tragen: Meist weiße Plastikteile, deren rundliches verdicktes Ende sie direkt im Ohrloch befestigen, es damit quasi verstopfen. Der Fortsatz des Plastikteils hängt seitlich am Ohr nach unten, wie ein kleiner Phallus. Frauen und Männer tragen also an den Ohren kleine Phalli spazieren, mit deren Hoden sie sich das Ohrloch zustopfen, dachte ich mir. Bis ich darüber aufgeklärt wurde, dass es sich bei den Plastikteilen um kabellose Kopfhörer handelt, die per Funk mit dem Handy verbunden sind.

Warum ich das erzähle? Weil ich erst heute eine so beschmückte Person an einer Kreuzung traf. An der Kreuzung gilt die Vorfahrtregel rechts vor links. Ich rollte mit dem Fahrrad heran und blickte nach rechts, als ich im linken Augenwinkel besagte Person mit dem weißen Ohrenschmuck bemerkte, die gedankenverloren in die Gegend blickte, wahrscheinlich weil sie dem Auditiven aus ihrem Kopfhörer lauschte, obwohl sie doch darauf hätte achten müssen, den RechtskommendenInnen Vorfahrt zu geben. Ich bremste, und die Person rollte langsam von links nach rechts an mir vorbei, meine Vorfahrt völlig missachtend. Ich ärgerte mich über diese Unachtsamkeit, die ich als Ignoranz erlebte, und sagte: „Rechts vor links.“
Aber die kopfhörende Person mit dem weißen Ohrenschmuck hörte nichts. Ich fuhr ihr hinterher und rief: „Hier gilt rechts vor links!“
Widerwillig gab sie, die Person, ihren Schmuck aus dem rechten Ohr – nein, dachte ich, falsch verstanden: rechts vor links gilt nicht für das Abnehmen des Ohrenschmucks – als sie, die Person, genervt fragte: „Was ist?“
„An dieser Kreuzung gilt rechts vor links. Du hast das eben völlig missachtet!“
„Na und“, sagte die Person: „Chill mal!“ Sie steckte ihren Ohrenschmuck wieder an und rollte weiter.

Zuhause ließ mir die Sache keine Ruhe. Ich hackte mich in das Handy der vorfahrtmissachtenden Person mit dem weißen Ohrenschmuck und fand folgende Posts darauf:

#Rechtsradikalengetroffen
#Sagtemirunverschämt
#Rechtsvorlinks
#Gehtgarnicht

Ein Rabe kam am Morgen

Ich trat am Morgen auf den Balkon, der mir vertraut und fremd zugleich war. Etwas Neues begann, nämlich ein neuer Tag, das war mir klar, so klar wie der Morgen. Es hört immer Altes auf und Neues beginnt. Zumindest wird es so gesagt. Doch an diesem Morgen hatte dieser sogesagte Neubeginn eine besondere Güte, denn als ich auf den Balkon trat, wusste ich plötzlich nicht mehr, wer ich bin. Ich dachte, ich sei ein Rabe. Ich sah auf die Grünfläche hinunter, die durch die mächtigen Zweige der alten Linde hindurch die ersten Sonnenstrahlen empfing. Ein Rabe war im Gras. Er pickte an etwas herum und verschlang es Stück für Stück. Dazwischen blickte er zu mir auf, doch ließ sich nicht stören. Immer wieder blickte er zu mir auf, nicht ängstlich, sondern bestimmt. Als er sein Morgenmahl verschlungen hatte, ließ er seinen Blick nicht mehr von mir. Durchdringend schaute er mich an. So als sei er ein Bote. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, der Rabe zu sein. Ich konnte nicht sagen: Dort ist der Rabe und da bin ich. Wir waren auf eine Weise eins, der ich mich nicht entziehen konnte.

In der Nacht vor diesem Morgen hatte sie mich zu sich genommen und bei mir Geborgenheit gesucht, ich bei ihr Sinnlichkeit, ich glaube das ist eine gute Zusammenfassung unserer gemeinsamen Nacht. Nach dem Erwachen lag sie auf dem Rücken. Ich setzte mich auf sie und betrachtete sinnlich ihren Körper, während sie sich geborgen fühlte und erzählte. Sie erzählte irgendwelche Sachen, die ich schon in dem Moment als sie sie erzählte vergessen hatte, ich hatte das Gefühl, sie erzählt, um zu erzählen, um die Geborgenheit zu steigern. Ihre Stimme gefiel mir, sie klang vertraut und beruhigend, und wahrscheinlich auch sinnlich, ja, auch sinnlich, denn ich begann mich zu streicheln, sie erzählte unterdessen weiter, ich wusste nicht, ob sie von meiner Erregung ablenken oder sie weitertreiben wollte, jedenfalls begann sie von ihrem Vater zu erzählen, es fiel mir auf, als sie von ihrem Vater zu erzählen begann, wahrscheinlich weil ihr Erzählen anders wurde, als sie von ihrem Vater zu erzählen begann und weil es mich wahrscheinlich zugleich mehr interessierte als das, was sie davor erzählt hatte. Sie erzählte von der tiefen Zuneigung zwischen ihr und ihrem Vater, die dann bei ihrem Vater in Abneigung umschlug, sie wisse bis heute nicht, warum diese Zuneigung in Abneigung umschlug, sie sagte: Wahrscheinlich weil seine siebte Frau jünger war als ich selbst, eine Frau jünger als die eigene Tochter kann man doch nicht lieben, sagte sie, da kann man doch gleich die eigene Tochter lieben! Dann stockte sie plötzlich, sie sagte nichts mehr und starrte schweigend die Decke an.

Ich suchte immer noch die Sinnlichkeit, aber sie war nicht mehr da. Sie befreite sich aus meiner Umklammerung und ging ins Bad. Ich stand ebenfalls auf, da ihr Bett nun ein Unort geworden war, der weder Geborgenheit noch Sinnlichkeit bot. Ich trat auf den Balkon. Der Rabe blickte zu mir und sagte mit seinem Blick: Abneigung ist eine averse Form von Zuneigung. Sie ist unerlöste Zuneigung, aber sie ist Zuneigung. Verstehst du? sagte er: Sie ist Zuneigung! Denn ohne Zuneigung keine Abneigung. Daraufhin krähte er einige Male laut, heftig bewegte er dabei seinen Kopf, um die Wichtigkeit seiner Mitteilung zu betonen, bis er schließlich seine Schwingen spannte und in den blauen Morgenhimmel verschwand.

Bei Ankunft Brunft

Bei Ankunft war die Zukunft noch Zukunft, wir bezogen zunächst unsere Unterkunft und suchten vor der Zusammenkunft nach Auskunft über die Zunft, schließlich kam unsere Einkunft aus Geschäften mit der Zunft.

Bei Herkunft der Zunft wurde es, wie sollte es anders sein, zünftig, mit Bier, Blasmusik und Brotzeit, die Zunft verlangte schließlich, man ist geneigt zu sagen, aus brünftiger Unvernunft, nach weiblicher Kunft, wir bangten um unsere Einkunft und versorgten deshalb die brünftige Zunft.

Bei Ankunft sagte die weibliche Kunft: Wir sind auch eine Zunft, kein Objekt der Brunft! Und schlugen ein auf die brünftige Zunft. Das war das Ende der zünftigen Zusammenkunft, auch unserer Einkunft aus Geschäften mit der Zunft. Die Hoffnung lag nun auf der Zukunft und deren Ankunft. Gibt es menschliche Vernunft?

Heini Heine

Hätte Heine mit seiner Mathilde
einen Sohn gehabt,
er hätte ihn
wohl Heino genannt.

Und dieser Sohn Heino,
der immer von Papa Heini sprach,
empfing Heinrike in seinem Gemach.
Die in der Ehe dann Heina war:
Heino und Heina Heine also
bekamen eine Tochter.
Und Mutter Heina,
die einst Heinrike war,
fand Heike einen passenden Namen,
und berichtete über Heino:
Heike war ein Name für die Tochter,
den mocht er.

Und Heike Heine fand einen Mann,
Heiko Hebenstreit genannt,
und wurde bald gewahr,
dass frau als Frau
ihren Namen nicht behalten kann.
Heike Hebenstreit gefiel ihr nicht –
Heiko und Heike Heine passt viel besser
in ein Gedicht.
Und wollte weiter Heine heißen,
und Heiko sollte statt Hebenstreit
künftig ein Heine sein.
Doch ein Gericht
untersagte ihr dies,
weshalb sie,
um weiter Heine zu heißen,
Heiko Hebenstreit verließ.

Doch wie wir wissen hat Heine,
der übrigens Harry und nicht Heini hieß,
mit seiner Mathilde keinen Sohn gehabt,
und so erledigt sich jeder weitere Streit,
ob frau als Frau
ihren Namen behalten kann.

 

aus Wikipedia:
Christian Johann Heinrich Heine, geboren am 13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf, war einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts. Im Deutschen Bund mit Publikationsverbot belegt, verbrachte er seine zweite Lebenshälfte im Pariser Exil. Dort lernte er die Schuhverkäuferin Augustine Crescence Mirat kennen, die er Mathilde nannte. Die Ehe sollte kinderlos bleiben. Heine starb am 17. Februar 1856 in Paris.

Der Raum zwischen Städten und zwischen deinen Lippen

Die Dinge der Welt sind zum Beispiel Städte. Ich verlasse die Stadt Nürnberg mit dem Zug: Die Häuser brausen an mir vorbei, bis ich die Kiefernwälder südlich der Stadt erreiche, die den Anfang des Raums zwischen Nürnberg und München markieren. Es ist Mai, die Sonne steht noch hoch im Westen und beleuchtet das satte Grün zwischen den Kiefern.

Die Dinge brauchen Raum zwischen sich, und der Raum zwischen Nürnberg und München ist ein weiter Raum. In diesem Raum fließt zum Beispiel die Altmühl, ein Ding, das als Fluss bezeichnet wird, eingebettet zwischen Hügeln fließt sie, die der Hochgeschwindigkeitszug, der mich von Nürnberg nach München bringt, durch Tunnel hindurch durchrast. Das Altmühltal erscheint als kurzer Lichtfleck zwischen den Tunneln, und ich schaue sehr konzentriert aus dem Zugfenster, um das in der Sonne glitzernde Wasser der Altmühl kurz zu sehen.

Der Raum zwischen Nürnberg und München ist weit, aber die Zeit in ihm ist im Hochgeschwindigkeitszug kurz. Die Momente rasen dahin, und ich wünsche mir, in der Kutsche über die Hügel und durch die Landschaft zu poltern, um die Momente länger zu erleben. Das ist eine romantische Vorstellung, die ich mir im Hochgeschwindigkeitszug bequem vorstellen kann, im Hochgeschwindigkeitszug, der mich zu dir nach München bringt, und als der Zug in den nächsten Tunnel rast, stelle ich mir vor, wie sich unsere Lippen berühren und ich merke, dass mich das Fahren im Hochgeschwindigkeitszug müde macht und mich sehnen lässt nach der Zartheit deiner Lippen. Wie komme ich überhaupt auf die Idee, durch die Landschaft poltern zu wollen? Schnell zu dir, das ist doch alles was ich will.

Ich erreiche, nach vielen Tunneln: Ingolstadt, und mir stellt sich die Frage, ob der Raum zwischen Nürnberg und München aufgeteilt werden sollte in den Raum zwischen Nürnberg und Ingolstadt einerseits und in den Raum zwischen Ingolstadt und München andererseits. Oder teilen sich nur die Dinge, wie zum Beispiel Städte, Flüsse oder Lippen im Raum auf und der Raum selbst ist unaufteilbar?

Der Raum zwischen deinen Lippen ist unendlich weit. Das wird mir jetzt bewusst, wo ich mich so nach ihnen sehne, und ich nehme mir fest vor, nicht mehr über sie hinwegzuhuschen, als wären sie fest definierte Dinge, die ich zu beküssen habe.

Boris Bru

Boris lebte am Fluss Bru, der das nach ihm benannte Brutal durchfloss. Dunkle hohe Auwälder säumten den Bru, riesige alte Bäume streckten ihre gewaltigen Äste über das Wasser, sodass sich kein Sonnenstrahl auf ihm reflektierte. Niemand wusste, wieso Boris im Brutal lebte, wie er dort hingekommen war. Niemand wagte sich in die dunkle tiefe Welt des Bru. Manche sagten sogar, im Brutal würden noch Dinosaurier leben.

Der Bru vereinigte sich mit einem anderen Fluss namens Fa, und als gemeinsam weiterfließender Fluss wurden sie Le genannt. Auf dem Le, der an jenem Tag sehr gemächlich dahinfloss, ruderte Joris flussaufwärts, um Doris zu besuchen, die am Fa wohnte. Um Doris rankten sich keine solchen Mythen wie um Boris, man kannte sie, hatte sie schon öfter besucht. Auch war der Fa ein offener Fluss mit lichtdurchfluteten Auwäldern und grasgrünen Lichtungen. Sein Wasser glitzerte in der Sonne. Dennoch wurde Doris mit Boris in Verbindung gebracht, manche sagten, Doris sei die weibliche Form von Boris.

Joris ruderte also auf dem Le dahin, und ihm ging die Geschichte von Boris durch den Kopf, von dieser sagenumwobenen Gestalt aus dem Brutal, und Joris kam auf die tollkühne Idee, statt auf dem Fa zu Doris zu rudern, dessen unter die Blätterdächer der riesigen Bäume am Bru zu tauchen, um Boris zu suchen. Sein Herz fing immer mehr zu klopfen an, je näher er dem Zusammenfluss von Bru und Fa in den Le kam.

Joris konnte nicht ahnen, dass Doris beschlossen hatte, das Fatal zu verlassen, um künftig bei ihm im Letal zu leben. Noch weniger konnte er ahnen, dass Boris den Bru flussabwärts fuhr, um erstmals in seinem Leben das Brutal zu verlassen.

Joris ruderte also nichtsahnend weiter den Le flussaufwärts, als er links schon den Bru unter den gewaltigen Blätterdächern erblickte und rechts den unter freiem Himmel dahinfließenden Fa. Er sah zu seiner Überraschung Doris auf dem Fa, ihm entgegenkommend. Er freute sich sie zu sehen und er bedauerte es gleichzeitig, denn er wollte doch eigentlich das Tollkühne wagen und weiter den Bru hinauffahren statt den Fa, um in die Welt des Boris zu tauchen. Just als er diesen Gedanken gedacht hatte, tauchte Boris aus den Tiefen des Brutals auf. Er war eine mächtige muskulöse Gestalt, die Furcht und Schrecken einjagte. Boris aber sah Joris nicht, sondern Doris, die im genau gleichen Moment aus dem Fa kam. Boris erschrak sehr, erzählte Joris später, denn er stieß einen lauten Schrei aus und schlug mit seiner Ruderstange brutal auf Doris ein. Wie konnte sich so eine mächtige muskulöse Gestalt so über ein zierliches Wesen wie Doris erschrecken? Nach Boris brutalen Schlägen lag Doris blutüberströmt und reglos auf ihrem Floß. Boris gab flennende Laute von sich. Erbärmlich klangen diese Laute, von ihm, der eben noch so laut gebrüllt und kräftig geschlagen hatte. Dann stieß er Doris leblosen Leib vom Floß ins Wasser, machte kehrt und verschwand wieder im Dunkel des Brutals, ohne Joris bemerkt zu haben.

Joris versuchte für einen Moment, Doris toten Leib aus dem Wasser zu retten, aber schnell begriff er, dass es zwecklos war, gegen die Fluten des Les anzukämpfen. Traurig überieß er ihren Leib dem Le und ließ sich flussabwärts treiben, und als er an Land ging, erzählte er den Menschen des Letals, was er erlebt hatte. Die Menschen fragten ihn, ob er wirklich Boris gesehen habe, oder ob Doris nicht in jenen Strudel an der Mündung geraten sei, der so vielen schon den Tod gebracht habe und von dem das Letal seinen Namen trage? Ob er sich Boris nicht nur einbilde, um Doris Tod zu überwinden?

Nein, sagte Boris: Der Le ist nicht todbringend – der Le ist der Tod! Und fortan nannte er den Le Tot und das Letal Total.

Freundesquadrat

Er ist ein Typ mit Ecken und Kanten, das sehe ich vor allem an seinem Schädel, der kantig und wuchtig über seinem Rumpf thront. Er ist ein Quadratschädel aus dem Bilderbuch. Sein Schädel scheint zu groß und zu wuchtig für seinen Körper, der den Schädel schließlich tragen muss. Sein Rumpf, der schmalschultrig daherkommt und dessen markantestes Merkmal der zu einer Kugel ausgeformte Bauch ist, wird durch zwei stelzenartige Beine mit der Erde verbunden. Die stelzenartigen Beine, das sehe ich im Sommer wenn er kurze Hosen trägt, haben zwei auffallend spitze Knie, womit wir wieder bei den Ecken und Kanten wären.

Doch trotz gesamtkörperlicher Betrachtung bleibt am auffälligsten sein quadratischer Schädel, die Form seines Schädels ist mit ziemlicher Sicherheit auch der Grund, warum er sich nicht in einem Freundeskreis, sondern in einem Freundesquadrat bewegt. Zu viert sitzen er und seine drei Freunde an einem quadratischen Tisch, jeder hat dabei Karten in der Hand, sie schweigen, ab und zu nimmt einer einen kräftigen Schluck von seinem Bier. Tiefenpsychologen sprechen bei dieser Viererrunde, oder besser: bei diesem Viererquadrat, von latenter Homosexualität. Wobei ich diese These nicht bestätigen will. Nicht nur wegen der homophoben Thesen, die bei den seltenen Gesprächen am Tisch geäußert werden, sondern wegen der seltsamen Unkörperlichkeit am Tisch. Die vier Freunde führen nur minimalistischste Bewegungen aus, und zwar zum Kartenwerfen und zum Biertrinken. Ich habe noch nie gesehen, dass einer den anderen anfasst, berührt, an den Händen, an den Füßen, an den Schultern, am Rücken, im Gesicht, oder gar – und das spräche für die homosexuelle These – oder gar am Penis. Eine ganz und gar körperlose Runde, wobei es natürlich sein kann, dass durch die geäußerte Homophobie eine lähmende Angst vor Berührung herrscht, sodass vielleicht die latente Homosexualität im Raum herumschwirrt, ohne sich jemals körperlich zu äußern. Die Bäuche der vier Freunde scheinen sich gerade aus Protest gegen die körperlose quadratische Welt am Quadrattisch zu runden Kugeln zu formen. Als wollten sie sagen: Raus aus euren Ecken!

Kürzlich sehe ich den Quadratschädel in ungewohnter Umgebung: Er, der Schweigsame, geht lauthals parlierend inmitten zweier Frauen die Straße entlang. Er, der sich in quadratischer Runde nicht nur homophob, sondern auch misogyn gibt. Es ist jedoch zu bedenken, dass gerade in misogynen Kreisen, und hierbei sind wohl auch misogyne Quadrate wie in unserem Fall einzubeziehen, eine große soziale Verpflichtung herrscht, sich ein Weib zu nehmen, gerade wegen der Misogynie. Denn was ist ein Frauenfeind ohne Frau?

Der Quadratschädel spaziert mit den beiden Frauen die Straße entlang, er in der Mitte. Unentwegt redet er, dazu fuchtelt er wild mit den Armen, eine maximalistische Bewegungsverschwendung, ganz im Gegensatz zur Minimalistik der quadratischen Runde. Seine Storchenbeine stellt er breitbeinig in jeden Schritt, doch sein Fortgang sieht sehr wackelig aus, während sich das gebügelte Hemd um seinen Bauch spannt.

Dann erweitere ich meinen Blick auf das ganze Szenario und sehe, dass links von ihm seine Braut geht. Die Braut ist gelangweilt, denn der Quadratschädel redet hauptsächlich mit der Frau rechts von ihm, die die Brautmutter ist, bei der er um die Braut wirbt. Er hat seine quadratische Männerwelt verlassen, um eine Frau zu erobern. Es scheint eine Pflichtübung zu sein, eine lästige Aufgabe außerhalb seiner Welt. Er muss eine Frau erobern, um seinen Platz am Quadrattisch nicht zu verlieren. Um nicht von einem männlicheren Mann ersetzt zu werden. Also doch latente Homosexualität? Ist Homophobie Angst vor Homo- und Misogynie Angst vor Heterosexualität?